Die Elbe ist nach dem Rhein der längste Fluss Deutschlands. Wie lebt es sich am Strom jenseits von Hamburg? Jens Meyer-Odewald ist auf Tour .

Cuxhaven. Direkter kann der Kontakt zu Elbe und Nordsee nicht sein. Nicht nur weil Cassen Eils von seinem Büro aus beide im Blick hat, sondern weil er hier wie da in seinem Metier ist. Seit mehr als einem halben Jahrhundert steuert der Kapitän Schiffe über Fluss und Meer - meist von Cuxhaven oder Büsum Kurs Helgoland. Oder umgekehrt. Was schon wegen des gesegneten Alters des auf Norderney geborenen Seebären bemerkenswert ist: Im vergangenen Monat feierte Käpt'n Eils seinen 87. Geburtstag. Bleiben die Gesundheitszeugnisse passabel, will er weiter auf der Brücke stehen.

Elbmündung und Nordsee sind sein Leben; ganz einfach ist das. "Schon als Buttje war die Seefahrt mein Traum", sagt Eils in seinem Kontor an der Alten Liebe 12 in Cuxhaven, vis-à-vis des Feuerschiffs Elbe 1. Hier mündet die Elbe in die Nordsee (offizielle "Endstation" ist eine Tonne ein paar Seemeilen weiter), hier hat seine Reederei "Cassen Eils" ihren Hauptsitz, hier sticht seine MS "Flipper" in See - Richtung Neuwerk oder zu den Seehundbänken in der Nähe.

Die erste große Etappe führte Eils - entgegengesetzt - die Elbe hinauf nach Hamburg, an der Seite seines Vaters. 1938 war das. Bei der Laeisz-Reederei heuerte der 15-Jährige als Decksjunge an. Monatslohn: fünf Mark. 60 Mark mussten die Eltern beisteuern. Auf der Viermastbark "Priwall" segelte er nach Südamerika. Kriegswirren machten die Rücktour zur Tortur: Die "Priwall" musste in Chile bleiben, das Ersatzschiff "Frankfurt" des Norddeutschen Lloyds wurde nach der Passage um Kap Hoorn im Nordatlantik versenkt. Fünf Tage trieben Cassen Eils und andere Seeleute in einem Ruderboot übers Meer, bevor erst Norweger, später Portugiesen die kleine Crew retteten. Aus Lissabon kehrte der junge Mann mit dem Zug nach Hamburg zurück. "War 'ne aufregende Zeit", sagt Eils heute trocken, nippt an einer Tasse mit schwarzem Tee und deutet auf ein gewaltiges Modell der "Priwall" auf dem Regal - Handarbeit, seinerzeit 10 000 Mark teuer, von Spezialisten in Kiew in seinem Auftrag angefertigt. Kurzes Schweigen. Fotos an der Wand gegenüber zeigen ihn drei Jahre nach Gründung der Bundesrepublik als Jungunternehmer. Am Kai an der Alten Liebe, mit einer Ledertasche in der Hand, quasi das erste mobile Büro. Auf diese Weise akquirierte Eils Passagiere für seine Nordseetörns. Am 15. Juni 1952 startete er als Erster den Liniendienst nach Helgoland. Für den Kauf des Fährschiffs "Rudolf" musste das Elternhaus verpfändet werden. "Nach und nach ging die Rechnung auf", sagt der Reeder. Anfangs beförderte er überwiegend Handwerker und Bauarbeiter nach Helgoland: Die restlos zerstörte Hochseeinsel musste wieder klargemacht werden. Später folgten immer mehr Butterfahrer und Touristen. In Hochzeiten des Geschäfts, zwischen 1970 und 1999, dirigierte Reeder Eils gut 100 Mitarbeiter und sieben Schiffe, die auf allen möglichen Linien verkehrten, auch auf der Ostsee. Das Aus für den zollfreien Warenverkehr und ein Einbruch der Besucherzahlen auf Helgoland - von mehr als 800 000 jährlich zu Beginn der 90er-Jahre auf weniger als die Hälfte heute - führten zu einem Abbau der Flotte. "Dennoch laufen die Geschäfte ordentlich", sagt Eils. Vom Fenster aus sieht er die Kundschaft nahen; am Kassenhäuschen steuerbords stehen Passagiere Schlange. Hochsaison. Die Einnahmen stehen fein säuberlich mit Bleistift in einem Journal, das aufgeklappt neben dem Schreibtisch liegt. "Der Chef muss wissen, wo's langgeht", meint Eils. Zumindest die grobe Richtung betreffend; denn die genaue Buchhaltung erledigen Mitarbeiter per Computerprogramm. Der alte Tresor, einst Eils' liebstes Bürostück, steht seit einem Einbruch im Keller - praktisch bargeldlos.

"Moin!" Tochter Georgina (51) schaut kurz nach dem Rechten. Die Physiotherapeutin stieg erst vor einem Jahr ins väterliche Geschäft ein. Schwester Nicola arbeitet als Psychologin in Hamburg. Cassen Eils selbst, der vor 55 Jahren von Norderney nach Cuxhaven umzog, wohnt am Deich, nicht weit entfernt vom Büro. Apropos "Alte Liebe": Ehefrau Christa lernte der Kapitän einst an Bord seiner MS "Rudolf" kennen.

"Hat gefunkt, hält auch lebenslang." Ebenso wie seine Verbindung zur Elbe und Nordsee. Damit Letztere gleichfalls nicht rostet, hält sich der 87-Jährige in Schwung: Mit Beginn des Winterfahrplans am 1. Oktober steuert er mit seiner "Funny Girl" Helgoland von Cuxhaven aus an, als einzige Fähre während der Wintermonate. Gute Gelegenheit für Käpt'n Eils, gerade bei rauerer See mal wieder das Kommando zu übernehmen.

Der Reeder und Kapitän Cassen Eils fährt mit 87 noch zur See. Die Mündung bei Cuxhaven ist die erste Station der großen Abendblatt-Serie "Meine Elbe".

Nächste Folge am Montag: Wo 140 Störche klappern