Auf tschechischer Seite spricht man auch Deutsch. In Hrensko, Westtor der Böhmischen Schweiz, dominiert Vietnamesisch: das überrascht.

Hrensko. Denn kaum den winzigen Fähranleger verlassend, wähnt sich der Grenzgänger in Klein-Saigon. "Hallo, Mann!", ruft die zierliche Händlerin mit Strohhut, einladend auf ihr Sortiment deutend.

Kitsch as Kitsch can: Badelatschen in Pink, grellblaue Frotteetücher mit Himalaja-Motiven, monströse Gürtelschnallen, braune Plastikadler, jede Menge CDs mit teutonischem Liedgut. "Bestes Preis!", ruft sie.

Supergünstige Kurse ruft auch der Landsmann nebenan auf. Drei Euro für einen batteriebetriebenen Gummiaffen, der über den Asphalt rast und wie ein Irrer auf die Pauke haut. Zweifünfzig für ein HSV-Trikot mit der Nummer 15. Sieben Euro für einen Rucksack der Marke "Omni". "Fünf Euro", lockt der Verkäufer. "Bestes Preis." Als finale Werbemaßnahme hält er einen Gartenzwerg mit Deutschlandflagge hoch. Außerdem: "Rolex, ganz billig!" Ein Segen, dass ihn eine Vietnamesin mit blauem Overall und Strohhütchen ablenkt. Ihre mobile Suppenküche bietet Nudelgerichte in Pappschalen. Dobrou chut. Guten Appetit.

Und Schreck lass nach! Doch er lässt nicht nach: In der Hauptstraße des Dorfes mit seinen nur noch 300 Einwohnern, den einstmals schmucken Fachwerkhäusern und der hübsch restaurierten Kirche Nepomuk reiht sich ein Shop an den anderen, teilweise in Bretterverschlägen. Nippes und Plagiate ohne Ende. Touristen, dem Dialekt nach zumeist aus dem benachbarten Sachsen, schlendern in Scharen die Gasse am Bergbach entlang. Kaum einer kauft. Die zu CSSR-Zeiten aus ihrer Heimat eingereisten Vietnamesen können einem leid tun.

Lieber sitzen die Gäste in den Straßenrestaurants und erfreuen sich wahrhaftig günstiger Preise: Der (echte) Halbe Pilsner Urquell kostet 20 Kronen, umgerechnet knapp 90 Cent. "Die fetten Jahre sind vorbei", sagt Kellnerin Natalja im Becherovka, nachdem sie Stephansbraten mit Salzgurke und Ei für umgerechnet 2,50 Euro serviert hat. Gemeint sind die Jahre des DDR-Tourismus, viel mehr noch die Zeit nach Fall von Mauer und Grenzen. Goldgräbertage waren das. Mitte der 90er hätten hier gut 150 Buden gestanden, jetzt ist gerade noch ein Drittel übrig. Seit dem EU-Beitritt und Schengen ist Schluss mit zollfrei und richtig billig. Ein gutes Dutzend Wechselstuben steht leer. Auch die Bordsteinschwalben sind verschwunden. Was ebenso für zwei Bürgermeister a. D. gilt: Einer sitzt in Haft, der andere steht vor Gericht - wegen dubioser Grundstücksgeschäfte.

Kurz nach 18 Uhr herrscht Totenstille in Hrensko, dem ehemaligen Herrnskretschen. Die Busse sind weg, die Fähre hat abgelegt. Ein paar Bergwanderer und Radler sind noch zu sehen. Doch auch sie wenden sich mit Grauen ab und steuern ihre Quartiere an, um am nächsten Morgen zeitig in den Nationalpark aufzubrechen. Das weltberühmte Prebischtor fünf Kilometer weiter sowie die unberührte Natur im Nationalpark Nordböhmens mit Schluchten, Sandsteintürmen und kuscheligen Dörfern gelten als Geheimtipp. Seit der Umweltfrevel in den weiter entfernten Industriegebieten eingedämmt ist, befinden sich die Elbe plus Nebenflüsse in saubererem Zustand.

"Da auch die Privatisierung allmählich Früchte trägt und die natürlichen Pluspunkte der Region europaweit in den Blickpunkt rücken, wird Hrensko bald wieder früheren Standard erreichen", meint Reiseführer Olivier-Jan Miks auf der Terrasse des Hotels Praha am Ortsausgang. Seit der Renovierung vor 13 Jahren ist das Haus eine der wenigen Schmuckstücke im Ort.

"Und wenn die Buden weg sind, wird das Dorf wieder auferstehen", ergänzt Rezeptionistin Dana Procházková, als sie sich nach Feierabend hinzugesellt. Da auf der Elbe seit drei Monaten endlich wieder eine Fähre nach Sachsen verkehre, erwarte sie zukünftig bessere Geschäfte.

Morgen: Bei Graf Lobkowicz auf Schloss Melnik