Eine 26-Jährige gab in zwei Monaten mehr als 800 Euro für Chat mit dem vermeintlichem Liebhaber aus. Sie bekannte: “Du bist mir jeden Cent wert.“

Kiel. Im Kieler Prozess um die millionenfache Abzocke mit Flirt-SMS hat das erste Opfer am Dienstag ausgesagt. Die Zeugin wurde vor dem Landgericht zu ihrem SMS-Chat mit einem vermeintlichen Traumpartner gehört. Dafür hatte die 26-Jährige in knapp zwei Monaten mehr als 800 Euro gezahlt.

In der Vernehmung würden "SMS mit ganz persönlichen Inhalten wie Krankheit und sexuelle Fantasien" angesprochen, sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht, Gunther Döring. Deshalb wurden die Zuhörer ausgeschlossen. Durch eine öffentliche Aussage würde möglicherweise "ihr Ansehen in der Öffentlichkeit gemindert". Die angehende Steuerfachangestellte aus Köln hatte selbst darum gebeten, nur dem Gericht Rede und Antwort zu stehen.

In dem Verfahren müssen sich drei Betreiber von Callcentern und drei ihrer Helfer wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und Beihilfe dazu verantworten. Sie sollen über teure Kurzwahl-Nummern rund 700 000 Handy-Nutzer um gut 46 Millionen Euro geschädigt haben.

Die Zeugin hoffte laut Chat-Protokollen, die vom Gericht verlesen worden waren, auf den Traumpartner. Doch laut Anklage flirteten sogenannte Animateure im Auftrag der Hauptangeklagten mit ihr. Das Profil des ersehnten Partners hatte die Zeugin in einer Partnerbörse im Internet gefunden. Kontakte zu dem angeblichen Versicherungskaufmann aus Berlin waren nur per SMS für 1,99 Euro über eine Kurzwahlnummer möglich, die zum Firmengeflecht der Hauptangeklagten gehören soll.

Als die Kölnerin trotz immer neuer Versuche weder den Namen ihres vermeintlichen Partners noch seine Privatnummer erfuhr und auch ein persönliches Kennenlernen nicht zustande kam, brach sie den Chat schließlich ab.

Die 26-Jährige hatte sich "Hals über Kopf in Dich verliebt", wie sie schrieb. Auch ihr Gegenüber gestand ihr seine Liebe und hielt sie so auftragsgemäß im Chat, um Kasse zu machen. Sie bekannte per SMS: "Es ist zwar sehr teuer, aber Du bist mir jeden Cent wert" und träumte sogar von einem "Weihnachten zu Dritt" im folgenden Jahr. Um die steigenden Kosten senken zu können, versuchte sie immer wieder, ihre private Handy-Nummer zu übermitteln oder seine zu erhalten. Die Arbeitsanweisungen für die professionellen Chatter zeigten jedoch Wirkung: Angeblich ließen sich die Zahlen nicht korrekt übermitteln. Als sie seinen Namen erbat, um selbst die Privatnummer herausfinden zu können, wurde die Verbindung kurzerhand getrennt.

Mehrfach soll die verliebte junge Frau sogenannte "Bill-Warnings" erhalten haben, die sie auf die aufgelaufenen Kosten hinwiesen - nach sechs Tagen immerhin schon über 300 Euro. Ihr Drängen auf ein persönliches Treffen schlug fehl: Der vereinbarte Termin wurde - wie in den Arbeitsanweisungen vorgegeben - kurzfristig abgesagt, angeblich war der Bruder des Chatpartners bei einem Autounfall schwer verletzt worden. Dann kündigte der vermeintliche Partner seinen Umzug von Berlin nach Köln an - ein Vorwand für eine Serie weiterer kostenpflichtiger SMS. Dass die 26-Jährige es mit verschiedenen professionellen Chattern zu tun hatte, erkannte sie anscheinend nicht, wurde aber schließlich doch misstrauisch, weil der Partner nichts unternahm, ihr seine Privatdaten zu übermitteln.

Auch am zwölften Verhandlungstag verzögerte sich die Zeugenaussage, weil die Verteidiger erneut unvollständige Akteneinsicht rügten. Es bestehe der Eindruck, dass die Staatsanwaltschaft "ihren Wissensvorsprung kultivieren und keine Verhandlung auf Augenhöhe ermöglichen" wolle, kritisierten die Verteidiger.