Im Kieler Prozess um einen millionenfachen Betrug mit Flirt-SMS hat ein professioneller Chatter einen der Hauptangeklagten schwer belastet. Der Mann beschrieb die Arbeitsbedingungen der “Animateure“ im Flirt-Chat vor dem Landgericht als “erbärmlich“ und “katastrophal“.

Kiel. Der 48-Jährige war der erste fest angestellte Chatter, den das Gericht hörte. In dem Verfahren müssen sich drei Betreiber von Callcentern und drei ihrer Gehilfen wegen gewerbsmäßigen Bandenbetrugs und Beihilfe dazu verantworten. Sie sollen rund 700 000 Handy-Nutzer um gut 46 Millionen Euro geschädigt haben. Die Angeklagten haben auf Rat ihrer zwölf Verteidiger bisher noch keine Aussagen gemacht.

Der Zeuge erkannte zwei Hauptangeklagte. Einer von beiden sei sein direkter Chef gewesen, der andere später gekommen, "um den Laden auf Trab zu bringen und die Umsätze zu steigern", sagte er in seiner mehrstündigen Vernehmung. Dieser Geschäftsführer habe ihm bei seinem Rauswurf gesagt: "Das hier ist quasi das Sparbuch für mein Kind." Der Ex-Animateur sagte: "Grundregel war, die Kunden lange zu halten - wie auch immer." Er habe von Mitte 2004 bis Anfang Januar 2006 im Chat gearbeitet, zuletzt als einer der Teamleiter, dann als "Oberaufseher" über die anderen Kollegen. Als ihm gekündigt wurde, "hat mich die Arbeit nur noch angekotzt", meinte er.

Beim Chatten gab es dem Zeugen zufolge drei Verbote: "Keine sexuellen Handlungen an Kindern, Toten und Tieren zu beschreiben", sagte er. Nie sei es um die tatsächliche Vermittlung von Partnerschaften gegangen. Keinem Animateur habe die Arbeit Spaß gemacht, alle hätten dringend Geld gebraucht. Seine Bezahlung sei anfangs miserabel gewesen, am Schluss habe er rund 2500 Euro brutto verdient. Zur Frage des Gerichts, ob er die Arbeit nicht für illegal hielt, erwiderte der Zeuge: "Juristisch wurde uns gesagt, solange ihr euch an die Vorgaben haltet, ist alles in Ordnung." Sie seien "ja weisungsgebunden gewesen".

Solange von den großen Netzbetreibern keine Beschwerden gekommen seien, hätten sie gedacht, es sei in Ordnung. "Aber moralisch fand es keiner von uns okay", sagte der Zeuge.

Die Kunden seien "jung, etwa Mitte 20 und überwiegend männlich" gewesen, "sehr viele Ausländer" und "überwiegend nicht die Hellsten", meinte der 48-Jährige. Es seien Menschen, die im realen Leben Probleme gehabt hätten, andere kennenzulernen. Die Chatter hätten unter falschen Profilen mit wechselnden Identitäten "rund um die Uhr" gearbeitet, sagte der Zeuge, gegen den ebenfalls ermittelt wird. Die vermeintlichen Traumpartner fanden die Kunden auf Internetseiten. Der Kontakt war nur über SMS möglich: "Es gab drei Frei-SMS, dann wurden 1,99 Euro je SMS fällig." Kunden, die auf Treffen drängten oder über Privatnummern telefonieren wollten, seien hingehalten worden. Einer der Hauptangeklagten habe die Chats direkt kontrolliert. Mitarbeiter hätten für ihn auch als Selbstständige von zu Hause aus gechattet.