In Neumünster und Soltau entstehen Outlet-Center, die Markenware zu günstigen Preisen anbieten. In Kaltenkirchen stocken Erweiterungspläne.

Kiel/Hannover. Mehr als ein Jahrzehnt wurde gestritten und prozessiert, jetzt werden Fakten geschaffen. Sowohl im schleswig-holsteinischen Neumünster als auch im niedersächsischen Soltau wird an den beiden ersten norddeutschen Outlet-Centern gebaut. Fast zeitgleich sollen sie pünktlich vor dem diesjährigen Weihnachtsgeschäft öffnen. Dann wird sich zeigen, ob - wie jetzt schon in Süddeutschland - die Kunden strömen. Und erst dann wird auch klar, ob diese Herstellerdirektverkaufszentren den klassischen Einzelhandel in den Mittel- und Kleinstädten nachhaltig gefährden.

"Nach dem derzeitigen Stand der Planungen gehen wir davon aus, dass wir das Designer-Outlet Neumünster im September 2012 eröffnen", sagt Andrea Erichsen, Centermanagerin des Betreibers McArthurGlen. Mit dem Center, kurz DOC genannt, beginnt in Schleswig-Holstein eine neue Konkurrenzsituation. Der einem Dorf nachempfundene Komplex, der in einem Gewerbegebiet nahe der A 7 liegt, soll mit gut 100 Geschäften, Restaurants und Cafés jährlich mehr als eine Million Kunden insbesondere aus Hamburg anlocken. Verkauft werden soll Markenware, vor allem Kleidung, aber auch Sportartikel und Schmuck. Geht das Konzept auf, will McArthurGlen das Outlet-Center in einem zweiten Bauabschnitt um 5000 auf 20.000 Quadratmeter Verkaufsfläche erweitern.

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Alarm schlägt der Einzelhandelsverband Nord. "Wir fürchten durch das DOC einen Kannibalisierungseffekt", sagt Verbandsgeschäftsführer Dierk Böckenholt. Das DOC werde aktuelle Markenware günstig anbieten und so dem Einzelhandel in der Region das Geschäft verderben. Mit seinen Bedenken steht Böckenholt nicht allein. Städte wie Rendsburg, Henstedt-Ulzburg, Bad Segeberg, Itzehoe und Schleswig hatten gemeinsam vergeblich durch alle Instanzen gegen das DOC gekämpft. Nach Landesrecht sind Outlet-Center in Schleswig-Holstein in den vier Oberzentren zulässig, also Neumünster, Lübeck, Kiel und Flensburg. Pläne für weitere Center gibt es nach Auskunft des Kieler Innenministeriums aber nicht.

Klar ist, dass Neumünster mit seinem Modedorf eine Kettenreaktion in Gang gesetzt hat. Andere Orte denken darüber nach, wie sie ihre Shoppingmeilen, Möbelhäuser und Einkaufszentren erweitern können. "Das schaukelt sich hoch", warnt Böckenholt. Ein Beispiel sei Dodenhof in Kaltenkirchen, das derzeit auf fast 50 000 Quadratmetern neben Möbeln auch Bekleidung, Sportartikel und Spielwaren anbietet und seine Verkaufsfläche um 19.000 Quadratmeter (über Schmuck und Elektrowaren bis zu Sportgeräten) erweitern möchte. Innenminister Klaus Schlie (CDU), für die Landesplanung zuständig, lehnt die großen Pläne im kleinen Mittelzentrum Kaltenkirchen trotz Aufschreis der mitregierenden FDP bisher ab.

Reaktionen auf das DOC gibt es weiträumig: Teppich Kibek rundet sein Angebot am Stammsitz Elmshorn mit einem Elektromarkt ab, plant in Ahrensburg an der A 1 einen großen Einkaufspark mit Teppichhaus, Möbelgeschäft, Elektro- und Sportmarkt. In Bad Segeberg möchte Möbel Kraft einen Elektrofachmarkt ansiedeln. Auch die Oberzentren rüsten nach: In Kiel plant Möbel Kraft ein Einrichtungshaus, in Lübeck Ikea ein Scandinavian-Center, und in Neumünster wird darüber nachgedacht, vom Designer-Outlet-Center angezogene Kunden mit einem großen City-Einkaufszentrum in die Innenstadt zu locken.

Derzeit laufen die Geschäfte im Einzelhandel prächtig. Die 2000 Fachgeschäfte in Schleswig-Holstein konnten ihren Umsatz 2011 um knapp zwei Prozent steigern. Im laufenden Jahr sollen es 1,5 Prozent mehr werden. Jedes zweite Geschäft gehört einer Kette an. Verlierer ist der inhabergeführte Fachhandel. Sein Marktanteil hat sich in den vergangenen 15 Jahren nahezu auf 14,6 Prozent halbiert.

Gegen vehemente Proteste der Mittelstädte wie Lüneburg, Uelzen und Celle hat im Jahr 2009 die niedersächsische Landesregierung das Designer-Outlet-Center in Soltau genehmigt. Für den Spätsommer ist die Eröffnung geplant, aber ähnlich wie in Neumünster macht der Investor, die süddeutsche Mutschler-Gruppe, derzeit noch ein Geheimnis aus der Frage, ob es gelingt, alle Ladenflächen zu vermieten. Man liege über 50 Prozent und sei damit sehr zufrieden, lautet die Auskunft.

Insgesamt ist Niedersachsen bei der Zulassung von Centern noch zurückhaltender als Schleswig-Holstein. Obwohl das Land knapp die dreifache Bevölkerungszahl hat, soll es kein weiteres Center geben, in Soltau ist die Verkaufsfläche auf 9900 Quadratmeter beschränkt. Der Komplex mit Gaststätten und Nebenräumen kommt auf 13 500 Quadratmeter. Betreiber wird die ROS Retail Outlet Shopping GmbH in Wien.

Die eigenen Ausbaupläne im Kopf, grenzt sich Centermanagerin Erichsen aus Neumünster von der Konkurrenz in Soltau ab: "Wir bieten in Neumünster 125 Shops auf 20.000 Quadratmetern, doppelt so viel wie in Soltau." Neumünster liegt deutlich näher an der Millionenstadt Hamburg, aber Soltau im Dreieck der großen Städte Hamburg, Bremen und Hannover. Investor Mutschler rechnet mit einer Zielgruppe von sechs Millionen Menschen im Umkreis von 90 Autominuten.

Heiner Schilling, Landesfachbereichsleiter für den Einzelhandel in Niedersachsen bei der Gewerkschaft Ver.di, verweist auf ein bereits vorhandenes Überangebot an Verkaufsflächen: "Diese neuen Center brauchen wir überhaupt nicht." In solchen Einkaufszentren gebe es zudem besonders viele Verstöße gegen das Tarifrecht und häufig Dumpinglöhne. Um das eine niedersächsische Designer-Outlet-Center hat es dennoch einen erbitterten Kampf zwischen den Nachbargemeinden Soltau, Bad Fallingbostel und Bispingen gegeben: Es geht um Gewerbesteuereinnahmen, aber eben auch um 300 bis 400 dauerhafte Arbeitsplätze.

Insgesamt gibt es im niedersächsischen Einzelhandel 250 000 Beschäftigte, dank steigender Umsätze sind das 5000 mehr als noch vor zwei Jahren. Aber auch Hauptgeschäftsführer Ullrich Thiemann vom Handelsverband warnt vor den Folgen des Soltauer Projekts: "Die Einzelhändler in Lüneburg, Celle und Uelzen werden die Folgen spüren, so etwas kann ein Sargnagel sein für ein Geschäft."

Wie der Gewerkschaftsvertreter ist auch Thiemann dankbar, dass Niedersachsen es bei einem Center belassen will. Was beiden Funktionären fast wortgleich Sorge macht, ist der Trend zum Bau immer größerer Einkaufszentren in den Mittelstädten. Wenn die wie in Hameln oder Wolfsburg zu groß ausfallen, verdrängen sie den klassischen Einzelhandel. Wenn sie wie in Oldenburg kleiner ausfallen, können sie die Innenstädte sogar beleben.