Vogelforschung: Wichtigstes Forum der Ornithologen. 1500 Experten treffen sich in Hamburg. Durch versiegelte Fassaden und Umwelteinflüsse findet gerade der Haussperling kaum noch Nistplätze und Futter.

Etwa 1500 Wissenschaftler und Amateur-Vogelforscher aus gut 80 Ländern werden in der kommenden Woche zum 24. Internationalen Ornithologen-Kongress (IOC) im Congress Centrum Hamburg (CCH) erwartet. Die alle vier Jahre ausgerichtete Fachtagung ist das wichtigste wissenschaftliche Forum der internationalen Ornithologie und findet auf Einladung des Instituts für Vogelforschung (Wilhelmshaven) und der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft nach 1910 und 1978 zum dritten Mal in Deutschland statt. 48 Symposien mit zahlreichen Vorträgen sind geplant, dazu Exkursionen in die Hamburger Vogelwelt.

Das Themenspektrum reicht vom Zusammenhang von Vogelgesang und menschlicher Sprache bis zum Magnetsinn der Vögel. "Wie die Orientierung am Magnetfeld der Erde genau funktioniert, ist noch nicht ganz klar", sagt Sven Baumung, Ornithologe beim Naturschutzbund Hamburg und einer der Organisatoren des Kongresses. "Man vermutet spezielle Rezeptoren in der Retina (Netzhaut des Auges), die mit einem separaten Nervensystem die Reize ins Vogelhirn leiten. Die Wahrnehmung funktioniert anders als beim Sehen - ein weites Feld mit viel Forschungsbedarf."

Viele Fachthemen sind von den teilweise dramatischen Umweltveränderungen geprägt, die auf allen Kontinenten die Vogelwelt beeinflussen. Beispiel Klimawandel: Er führt dazu, dass viele europäische Zugvögel früher aus ihrem Winterquartier heimkehren und bei vielen Arten mehr Individuen überhaupt nicht mehr oder nicht so weit in den Süden ziehen.

Es gibt auch indirekte Effekte. Baumung: "Durch die Erwärmung des Meeres verändert sich die Zusammensetzung des Planktons. Dieses erste Glied der Nahrungskette ist die Basis für Fische und Seevögel." Hinzu kämen Einflüsse durch die Fischerei. "2004 registrierten britische Ornithologen, dass Eissturmvögel, Seeschwalben, Trottellummen und Raubmöwen (Skuas) aus Nahrungsmangel fast keinen Bruterfolg hatten. Vermutlich lag es am Ausfall des Sandaals, eines kleinen Fisches, der zur Fischmehlproduktion gefangen wird. Er ist der zentrale Nahrungsorganismus der Vögel."

Während einige Seevogelarten unter der Fischerei leiden, profitieren andere. Fischtrawler sind die besten Freunde der Möwen. Die Schiffe werfen Jungfische und anderen "Beifang" tonnenweise über Bord. Die sterbenden Meeresbewohner schwimmen an der Oberfläche und sind leichte Beute für die Vögel. "Ich bin auf einem Trawler mitgefahren, den bis zu 800 Heringsmöwen verfolgten", erzählt Sven Baumung.

Drastische Veränderungen gibt es auch an Land. Dafür steht zum Beispiel der Spatz, der als "Wappenvogel" das Kongress-Logo schmückt. Der Allerweltsvogel, der sich allmählich rar macht. Gerade in den Städten ist er auf dem Rückzug. Moderne Fassaden bieten ihm keine geeigneten Brutplätze, versiegelte Flächen ermöglichen weder Sandbäder zur Reinigung des Gefieders, noch wachsen dort Kräuter aller Art, die aus Spatzensicht köstliche Sämereien bieten. Baumung: "Untersuchungen am Großneumarkt zeigten, dass die erste Brut der Haussperlinge im April komplett ausfällt, weil die Eltern nicht genug Nahrung finden." Die vorzeitige Brut hänge mit dem wärmeren Stadtklima zusammen.

Auf dem Land ist die offene Viehhaltung weitgehend verschwunden und damit der Zugang zu Stroh mit Getreideresten, Pferdeäpfeln und Fliegen als Eiweißlieferanten zur Aufzucht der Jungen. Dagegen sei auf Höfen mit traditioneller Tierhaltung der Spatzenbestand noch in Ordnung, betont der Hamburger Vogelexperte.

Ein weiterer Einflussfaktor ist der Wandel in der Vegetation. Durch die "Düngung" der Natur mit Stickstoffverbindungen aus der Luft verdrängen Nährstoff liebende Pflanzen wie Brennnessel oder Brombeere diejenigen Gewächse, die mageren Boden brauchen. Mit der Pflanzenvielfalt schwindet die Insektenvielfalt, das Nahrungsspektrum der Vögel verringert sich.

Bodenbrüter wie die Feldlerche leiden unter den wuchsstarken Pflanzen. Das gilt vor allem Wiesenbrutvögel, zum Beispiel den Kiebitz: Noch vor Ende der Brutzeit wird das Nest überwuchert. Die Vögel können keine herannahenden Feinde mehr erkennen, und bei feuchtem Wetter hockt der Nachwuchs mit klammen Federn im Nest und kann daran sterben.

Zudem werden die Wiesen so intensiv bewirtschaftet, dass kaum noch Zeit zur Jungenaufzucht bleibt. Das erste Gelege fällt der Walze zum Opfer, das zweite wird von Gülle überschwemmt, und vor dem Ende des dritten Versuchs rücken die Mähmaschinen an. Baumung: "Immerhin scheinen die Kiebitze in diesem Jahr einen guten Bruterfolg gehabt zu haben. Vermutlich liegt dies am langen kalten Frühjahr, das das Vegetationswachstum verzögerte."

Neueste Erkenntnisse zum Einfluss des globalen Klimawandels auf die Vogelwelt werden eines der Hauptthemen der Hamburger Tagung sein, sagt Prof. Franz Bairlein, Generalsekretär des fünftägigen Kongresses. Der Leiter des Instituts für Vogelforschung und Präsident der Deutschen Ornithologen-Gesellschaft möchte seine Wissenschaftsdisziplin auch den Hamburgern nahebringen. Deshalb hält er auf dem ansonsten englischsprachigen Fachkongress am Dienstagabend den Vortrag "Faszination Vogelzug" in Deutsch. Interessierte Vogelfreunde sind herzlich eingeladen: um 20 Uhr in den Räumen des CCH.