Kritiker verurteilen die Evolutionstheorie von Charles Darwin. Sie nehmen die Schöpfungsgeschichte aus der Bibel wörtlich. Die Bewegung aus den USA bekommt auch in Europa Zulauf.

Mehr als 50 Prozent der US-Bürger verneinen, dass Mensch und Affe einen gemeinsamen Vorfahren haben. Doch auch in Europa wächst die Anti-Evolutionsbewegung, wie die Diskussion auf der Jahrestagung der amerikanischen Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften (AAAS) zeigt, die gestern in San Francisco begann.

"Etwa zwanzig bis dreißig Prozent der Europäer neigen zu anti-evolutionären Ideen. Im Unterschied zu den USA, wo der Kreationismus vor allem von fundamentalistischen Christen propagiert wird, hat er in Europa unterschiedliche Wurzeln", sagt der Evolutionsbiologe Prof. Ulrich Kutschera von der Universität Kassel, der an der Tagung als eingeladener Redner teilnimmt.

Schlaglichter: In Italien, wo vor drei Jahren die Bildungsministerin per Erlass die Evolutionsbiologie aus dem Lehrplan der Mittelstufe streichen wollte, halten es nur noch elf Prozent für richtig, diesen Zweig der Biologie in der Schule zu unterrichten. "Wir stehen vor einer dramatischen kulturellen und politischen Regression", zitierte kürzlich die US-Wissenschaftzeitschrift "Science" den Philosophen Telmo Pievani (Mailand).

In Russland drängt eine protestantische Minderheit darauf, dass Evolutionsbiologie aus den Schulen verschwindet. Sie arbeiten dabei mit amerikanischen Gesinnungsfreunden eng zusammen.

In der Türkei gibt es eine starke kreationistische Bewegung, die auch mit Material arbeitet, das vom "US-Institut für Kreationistische Forschung" hergestellt worden ist. "Nach unseren Informationen ist der Kreationismus in alle Schulbücher eingezogen, die im Biologieunterricht in der Türkei verwendet werden", schrieb kürzlich das Wissenschaftsmagazin "Nature".

In Großbritannien wird an einigen jüdischen Schulen Kreationismus gelehrt, britische Oberschulen wurden mit Material zum Intelligent Design, der kreativen Variante des Kreationismus, überschwemmt. Das rief das "Britische Zentrum für Naturwissenschaftliche Bildung" auf den Plan. Es startete eine Kampagne, um das geringe Wissen der Biologielehrer über Evolutionsbiologie zu verbessern.

Das könnte bald auch in Deutschland nötig sein. In Hessen wurde bereits an zwei Schulen Intelligent Design gelehrt, und zwar im Biologieunterricht. Zum Einsatz kam dabei ein Schulbuch, das von der Studiengemeinschaft Wort & Wissen verlegt wird, in der sich die anti-evolutionären Kräfte sammeln. "Es ist von Leuten verfasst worden, die keine Evolutionsbiologen sind und nicht durch wissenschaftliche Originalarbeiten ausgewiesen sind", kritisiert Kutschera. Die hessische Bildungsministerin Karin Wolf (CDU) fand dies nicht problematisch.

"Ich bin auch dagegen, dass die darwinsche Abstammungslehre in ihrer Version von 1859/1872 als alleinige These im Biologie-Unterricht gelehrt wird", sagt Kutschera. Denn die moderne Evolutionstheorie, die vor einigen Jahren von einer Gruppe forschender Evolutionsbiologen formuliert wurde, geht weit über Darwin hinaus, ja widerlegt seine Thesen teilweise sogar. "Beispielsweise ging Darwin davon aus, dass erworbene Eigenschaften vererbt werden. Das haben schon die Neodarwinisten wenige Jahre später widerlegt. Darwin setzte nur auf Konkurrenz, Evolution durch Kooperation und Integration auf zellulärem Niveau kannte er nicht. Darwin konnte nicht ahnen, dass extraterrestrische Ereignisse wie Meteoriteneinschläge oder geologische Prozesse entscheidende Evolutionsfaktoren sind. Für ihn war die Welt stabil. Auch die Rolle von Bakterien und Einzellern für die Evolution konnte er nicht beurteilen, weil er sie, genauso wenig wie seine Zeitgenossen, kannte", nennt Kutschera einige der Gründe, weshalb diese Thesengebäude aus dem Zeitalter der Dampfmaschinen in ihrer Urform nicht in der Schule als einzige Theorie gelehrt werden sollten.

"Wir brauchen Schulbücher, die den aktuellen Stand der Evolutionsbiologie darstellen. Nicht einmal die Architekten der Synthetischen Theorie aus dem Jahr 1950 sind den meisten Schülern geläufig", sagt Kutschera.

Sicher sei es so, dass die Aktivitäten der Kreationisten in Europa noch keinen Flächenbrand wie in den USA ausgelöst haben, aber punktuell flackere er auf. "Man muss verhindern, dass wir uns auf diesem Gebiet amerikanischen Verhältnissen annähern", mahnt Kutschera. Die wissenschaftliche Forschung auf diesem Feld, die würde der Wissenschaftler allerdings gern auch in Europa sehen. "Die umfassendste und hochwertigste Forschung zu evolutionsbiologischen Fragestellungen wird noch immer in den USA betrieben." Dort gibt es auch eigenständige universitäre Forschungszentren zum Thema Evolution.

Weitere Informationen:

"Evolutionsbiologie", U. Kutschera (2006) 2. Auflage. Verlag Eugen Ulmer, Stuttgart. 39,90 Euro.

"Kreationismus in Deutschland. Fakten und Analysen", U. Kutschera (Hg., 2007), Lit-Verlag, Münster, 19,90 Euro