Zugverhalten: Erkenntnisse der Ornithologen sollen Menschen helfen. Wie schaffen es Zugvögel, riesige Fettreserven anzulegen, ohne krank zu werden? Die Forschungsergebnisse könnten Diabetikern nützen.

Zugvögel ziehen die Menschen in ihren Bann. "Erst die Erfindung der Beringung vor gut 100 Jahren ermöglichte, ihre geheimnisvollen Wanderungen zu erforschen. 200 europäische Vogelarten überwintern beispielsweise im tropischen Afrika südlich der Sahara", sagt Prof. Franz Bairlein. Der Leiter des Instituts für Vogelforschung in Wilhelmshaven ist Generalsekretär des 24. Internationalen Ornithologenkongresses, der in Hamburg tagt. Hier tauschen mehr als 1300 Experten aus 80 Ländern bis Sonnabend neueste Erkenntnisse aus der Vogelwelt aus und schmieden Pläne, um die weltumspannende Forschung zu vertiefen.

Dabei setzen die Wissenschaftler auf moderne Technik, um den Vogelzug zu erforschen. "Wir wollen Satelliten nutzen, um die individuellen Zugwege kleinerer Vögel rund um die Uhr zu verfolgen", sagt Prof. Franz Bairlein, der heute Abend einen Vortrag über die "Faszination Vogelzug" hält (s. Textende). Bislang können nur Störche, Kraniche, Adler oder Gänse mit Sendern ausgestattet werden, die von Satelliten geortet werden. "Mit der Europäischen Weltraumagentur (Esa) denken wir darüber nach, wie wir die Sender miniaturisieren und von der Weltraumstation ISS überwachen lassen können."

Erst die Erforschung des individuellen Zugverhaltens gibt Wissenschaftlern Aufschluss darüber, welche Rolle Wind, Wetter und andere Umweltfaktoren dabei spielen. Bislang habe man sich darauf konzentriert, die genetischen Faktoren des Vogelzugs zu studieren. Deren Bedeutung erkannten sie, als sie das Zugverhalten der Kuckucks erforschten. Obwohl die Jungtiere von fremden Eltern aufgezogen werden, zogen sie im Herbst in ihre Winterquartiere ins südliche Afrika. "Das ist also angeboren." Die Möglichkeiten, das Zugverhalten mit Minisendern zu beobachten, soll die Forschung des Vogelzugs revolutionieren.

Neben der Raumfahrt setzen die Vogelforscher auf die Hilfe von Chemikern und Geologen. "Viele Zugvögel wechseln im Winterquartier ihr Gefieder. Da die chemische Zusammensetzung einer Feder die Zusammensetzung des Bodens widerspiegelt, entnimmt man hiesigen Brutvögeln nach der Rückkehr eine Federprobe und analysiert diese. Die Analyse erlaubt einen Rückschluss darüber, wo die Feder gewachsen ist."

Die Erkenntnisse könnten sogar Licht in das Krankheitsgeschehen beim Menschen bringen, sagt Prof. Bairlein, der erforscht, woher Vögel den "Treibstoff" für den Zug beziehen. "Fliegen ist energieaufwendig, und Millionen Zugvögel haben auf ihren Zügen große ökologische Barrieren wie Wüsten und Meere zu überwinden. Treibstoff für diese Reisen ist das Fett im Körper", so Bairlein. Eine der auffälligsten Anpassungen vieler Arten sei, dass sie zu bestimmten Zeiten fett werden. Manche Arten legen nur jeweils kleine Fettdepots an, weil sie während der Reise immer wieder Futterplätze finden. Andere - wie die Gartengrasmücken - speichern gewaltige Mengen. Die kleinen 16 bis 18 Gramm schweren Vögel steigern ihr Gewicht zur Zugzeit auf bis zu 37 Gramm.

"Interessanterweise zeigt diese rasche Fettdeposition große Ähnlichkeiten mit menschlichem Diabetes Typ II und Fettleibigkeit. Dabei besteht jedoch ein wichtiger Unterschied: Was beim Menschen ein Krankheitszustand ist, ist bei den Zugvögeln ein regelmäßiger normaler, das heißt regulierter Vorgang. Vielleicht helfen uns Zugvögel, diese Vorgänge besser zu verstehen und neue therapeutische Wege zu finden", hofft Prof. Bairlein.

Weitere Informationen: Vortrag: "Faszination Vogelzug", Prof. Franz Bairlein, heute, 20 Uhr, CCH, Raum 2, Eintritt frei