Das Schicksal von Moderatorin Monica Lierhaus rührt Deutschland. Zwei Hamburgerinnen erzählen von ihrem Leben mit einem Hirn-Aneurysma.

Hamburg. Jeden Tag fünfeinhalb Tabletten am Morgen und dreieinhalb am Abend - so hält Monika Herbst, 48, zwei Hirn-Aneurysmata in Schach. Das Leben mit der ständigen Bedrohung lasse sich nur mit Galgenhumor ertragen, sagt die Hamburgerin. Ihre Tabletten nennt sie "meine Smarties" oder "meinen Drogencocktail".

Monika Herbst hat die gleiche Krankheit wie Monica Lierhaus. Nur, anders als bei der Moderatorin, ist eine Operation ihrer Blutgefäßverdickungen zu gefährlich. "Sie sind klein und liegen an Stellen, wo viel kaputtgehen kann. Deshalb bleiben sie drin", sagt sie. Alle zwei Jahre muss sie "in die Röhre". Jedes Mal fürchtet sie die Diagnose.

Und dann sind da noch diese Kopfschmerzen. "Wenn sie kommen, kriege ich Panik und verliere die Kontrolle", sagt Monika Herbst. Denn mit unerträglichen Kopfschmerzen hatte auch der 17. November 2002 begonnen. Am Ende dieses Tages lag sie im Wachkoma. Ein drittes Aneurysma war geplatzt, aber das wusste damals noch niemand.

"Ich hatte schon ein paar Tage Kopfschmerzen, aber mein Neurologe meinte, das sei nur Stress. Obwohl ich Schmerztabletten wie Bonbons schluckte", erinnert sich die Neuallermöherin. Eines Morgens werden die Schmerzen zu stark. "Ich schrie und spuckte, mein zehnjähriger Sohn hat dann Hilfe gerufen", sagt sie. Den eintreffenden Krankenwagen schickt sie jedoch weg, weil sie unbedingt zur Arbeit will. Erst ihre Mutter und Schwester fahren sie ins Krankenhaus.

Der Zustand verschlimmert sich im Laufe des Tages. Monika Herbst quälen nun Krämpfe. Die Ärzte versetzen sie ins Wachkoma. Dann entdecken sie die drei Aneurysmata. Eines zu spät. Monika Herbst wird sofort zur Not-Operation ins UKE gebracht - aber bis sie aus dem Koma erwachen wird, werden noch mehr als vier Monate vergehen.

Wie aus dem Nichts traf auch Elke Christiansen, 73, aus Wedel die Diagnose Aneurysma. Ärzte untersuchen sie 2001, weil sie einen leichten Schlaganfall gehabt hat. Die Entdeckung lässt sie erschauern: "Es ist das Damoklesschwert im Kopf. Du sitzt auf einem Pulverfass. Ich habe es zügig operieren lassen." Auch Christiansen geht zu den Spezialisten des UKE. Dort wird das Aneurysma "geklippt", wie Ärzte zum Abklemmen der Verdickung des Blutgefäßes sagen. Elke Christiansen hat Glück: Fünf Tage verbringt sie im Krankenhaus und zwei Wochen zur Pflege bei ihrer Schwester. Dann hat sie keine Beschwerden mehr. "Ich kann über die OP nur Gutes erzählen", sagt sie.

Für Monika Herbst hingegen beginnt mit dem Erwachen aus dem Koma ein langer Weg zurück ins Leben. "Oh Gott, die Haare sind weg", ist ihr erster Gedanke beim Blick in den Spiegel. Und dann bemerkt sie, dass ihre linke Seite nicht funktioniert. Bis heute ist sie gelähmt und auf Krücken angewiesen. Selbst einfach nur zu sitzen fällt ihr zunächst schwer: "Ich kippte immer nach rechts. Die Ärzte erklärten, es handele sich um eine schlaffe Lähmung."

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Im Laufe der Behandlung schnappt Monika Herbst immer mehr medizinisches Fachwissen auf. "Meine Lähmung ist anders als bei Monica Lierhaus. Die hat nämlich eine steife Lähmung. Das haben die Fernsehbilder gezeigt. Den Unterschied haben mir Ärzte erklärt: Bei einer steifen Lähmung kann man mit der Therapie und Reha noch etwas mehr erreichen."

Doch Monika Herbst hat sich entschieden. Sie gibt sich nicht auf. "Wegen meiner beiden Söhne", sagt die Alleinerziehende. Die beiden neun- und zehnjährigen Kinder zogen zur Oma, während Monika Herbst ein halbes Jahr in der Reha bei Schwerin schuftete. "Der Therapeut hetzte mich dort die Treppen hoch und runter, hoch und runter, bis ich ihn erschlagen wollte. Heute aber bin ihm dafür dankbar."

Sie lernte wieder richtig zu essen. "Zunächst hatte ich wegen der eingeschränkten Wahrnehmung immer die linke Tellerhälfte voll gelassen", sagt sie. Sie lernte aufzustehen, wenn sie in der Wohnung hinfiel. "Dafür brauche ich heute nur einen Stuhl." Sie lernte Tricks, um im täglichen Leben nur mit der rechten Hand klarzukommen. Während sie erzählt, öffnet sie einhändig eine Wasserflasche. Sie klemmt sie dazu zwischen den Beinen ein und schraubt sie mit der rechten Hand auf.

Zweimal in der Woche geht Monika Herbst noch heute zur Bewegungstherapie. Laufband, Radfahren, Bälle fangen und Gleichgewichtsspiele. Hinterher sei sie meistens völlig fertig. "Du musst kämpfen", sagt sie sich. "Deshalb fühle ich mich Monica Lierhaus eng verbunden. Sie kämpft auch." Da passe es ins Bild, dass Lierhaus zukünftig Botschafterin der ARD-Fernsehlotterie werde. Auch den Heiratsantrag kann Monika Herbst gut verstehen: "Der Lebensgefährte und die Familie sind wirklich wichtig." Während der Tage im Wachkoma saß ihre Mutter Marion Herbst jeden Tag am Krankenbett. Die heute 64-Jährige hielt ihrer Tochter den Rücken frei, kümmerte sich um die Kinder und warf sich in manchen Streit mit Behörden und Krankenkassen.

Obwohl die Operation bei Elke Christiansen ohne Komplikationen verlief, verändert das Aneurysma auch ihr Leben: "Ich war 61 Jahre alt und Chefsekretärin bei einer großen Firma im Hafen. Ich habe mich entschlossen, mit der Arbeit aufzuhören und das Leben zu genießen." Sie bemühte sich aber zeitgleich, ihr Gehirn fit zu halten, lernte Italienisch an der Volkshochschule und reiste in das Mittelmeer-Land. Um andere mit der gleichen Erkrankung zu unterstützen, engagiert sie sich in der 2002 gegründeten Aneurysma-Selbsthilfegruppe am UKE. Einmal im Monat treffen sich dort Patienten und Angehörige zum Erfahrungsaustausch.

Monika Herbst geht ebenfalls zur Selbsthilfegruppe. "Ich mache dort oft den Pausenclown und bin dafür beliebt", sagt sie. Viele Patienten könnten die Krankheit nicht so leicht wegstecken. "Ich habe schon in der Reha versucht, Härtefälle und Patienten mit angeschlagener Psyche aufzumuntern."

Sie habe sich mit ihrem Leben abgefunden, sagt Herbst. Sie weiß, ihre Arbeit als Altenpflegerin wird sie nie wieder machen können. Die Söhne bleiben bei der Oma, bis sie erwachsen sind. Regelmäßig bekommt sie Botox in die linke Hand gespritzt, damit die Finger beweglich bleiben. "Da wird auch nichts mehr besser", sagt Herbst. Zwei bis drei Jahre nach der Operation seien Fortschritte noch spürbar gewesen. "Jetzt krabbele ich auf dem gleichen Niveau."

In der Wohnung gibt es einen Alarmknopf, falls zu starke Kopfschmerzen die nächste Katastrophe ankündigen - und trotzdem fühlt sie sich als Gewinnerin. "Am Beginn der Reha saß ich ganze Tage im Rollstuhl. So gefesselt, das war für mich der schlimmste Horror. Das musste ich unbedingt beenden." Sie schaffte es. "Heute bleibt der Rollstuhl zusammengeklappt in der Kammer", sagt sie.