Feuchte Fragmente werden zunächst tiefgekühlt und gelagert. Erst 15 bis 20 Prozent des Bestands wurden bisher gefunden.

Es ist ein Schutthaufen der europäischen Kulturgeschichte: Zwischen wertlosen Trümmerteilen verbergen sich die Fragmente einzigartiger Kostbarkeiten: Mittelalterliche Handschriften und Besitzurkunden, Handschriften von Gelehrten, Erlasse von Kaisern und Kurfürsten, aber auch Nachlässe von Schriftstellern, Gerichtsakten, Register, Verzeichnisse - Weltbewegendes und scheinbar Banales, Schrift gewordene Mosaiksteine vergangener Jahrhunderte. Wohl nie zuvor haben Archivare und Restauratoren vor einer solchen Aufgabe gestanden wie jetzt in Köln. Wie viel vom historischen Gedächtnis dieser alten und einst so mächtigen Stadt kann nach dem Einsturz des Historischen Stadtarchivs gerettet werden? Diese Frage lässt sich noch längst nicht beantworten. Nur eines ist klar: Die Verluste werden unermesslich sein.

Die Helfer, die jetzt in der Lagerhalle im Stadtteil Porz die Trümmer durchsuchen, arbeiten gegen die Zeit. Ihr Hauptfeind ist die Feuchtigkeit, die die Papiere und Pergamente innerhalb kurzer Zeit vernichten kann. Je länger die auseinandergerissenen, zerquetschten und meistens total verschmutzten Bände der Feuchtigkeit ausgesetzt werden, desto geringer sind ihre Chancen.

Jan op de Hipt, Chefrestaurator der Hamburger Staats- und Universitätsbibliothek, erklärt, warum die Nässe eine so existenzielle Gefahr bedeutet. "Durch die Feuchtigkeit werden chemische Prozesse in Gang gesetzt, die Papiere instabil werden lassen. Schnell bildet sich Schimmel, der die Substanz angreift", erklärt der Restaurator, der sich ganz besonders um den wertvollsten Bestand sorgt, der aus dem Mittelalter stammt. "Das Pergament, auf dem mittelalterliche Urkunden geschrieben wurden, ist ein Werkstoff, der extrem auf Wasser reagiert. Pergament ist getrocknete Tierhaut, im Kontakt mit Feuchtigkeit wird es ganz weich und zieht sich dann zusammen. Im Gegensatz zu Leder, das durch Gerbung sozusagen chemisch haltbar gemacht worden ist, wird hier die Tierhaut aufgespannt und geschabt. Leder kann schon mal feucht werden, Pergament verliert dagegen ganz schnell seine Form und ist dann kaum noch zu retten." Was die Feuerwehrleute in der Lagerhalle an Fragmenten finden, wird zunächst auf Tische gelegt und dort von den Archivaren gesichtet. Es gibt Glücksmomente, in denen ein wertvolles Buch oder eine Handschrift auftaucht, die die Katastrophe nahezu unbeschädigt überstanden hat. Jetzt müssen sie entscheiden, was bei der Restaurierung Vorrang hat, was warten kann und was sie nun endgültig als Verlust abschreiben müssen. Feuchte Fragmente, bei denen noch Hoffnung besteht, werden sofort gefroren und tiefgekühlt eingelagert.

Die besten Chancen bestehen immer dann, wenn es sich nur um mechanische Deformationen handelt. Manfred Anders, der Geschäftsführer des renommierten Leipziger Zentrums für Bucherhaltung, sagte dem Abendblatt: "Bei Papier ist es selten zu spät, weil Papier ein Vlies ist. Wird es mechanisch gestaucht oder geknickt, gibt es die Möglichkeit, es wieder zu glätten. Auch wenn es gerissen ist, kann man die Teile wieder zusammenführen. Man muss allerdings sagen: Je größer der Schaden durch die mechanischen Einwirkung ist, desto größer ist auch der Aufwand, ihn wieder zu beheben."

An Hilfsangeboten fehlt es nicht: Noch am Tag des Unglücks hatte Thomas Bürger, der Generaldirektor der Sächsischen Landesbibliothek, erklärt: "Unsere Restauratoren stehen Gewehr bei Fuß, um bei der Restaurierung von wertvollen Dokumenten zu helfen." Auch die Restauratoren der weltberühmten Herzog-August-Bibliothek in Wolfenbüttel, die über die größten Restaurierungswerkstätten in Deutschland verfügen, bereiten sich darauf vor, bei der Rettung der beschädigten Dokumente zu helfen.

Vorläufig hat man erst 15 bis 20 Prozent des Bestandes gefunden, darunter sind allerdings einige besonders hochkarätige Stücke. So konnten zum Beispiel eine Handschrift des bedeutenden mittelalterlichen Gelehrten Albertus Magnus aus dem 13. Jahrhundert aus den Trümmern geborgen werden - ein absoluter Glücksfall. Wie Ärzte auf einer Intensivstation um das Leben eines Verletzten kämpfen, so kämpfen in Köln jetzt Restauratoren darum, dieses bedeutende Dokument europäischer Geistesgeschichte für die Zukunft zu bewahren.