Jeden Dienstag gibt es im Gemeindesaal ein kostenlose Mahlzeit. Überwiegend kommen Familien und Singles.

Dienstagabend, kurz bevor um 18 Uhr die Glocken läuten: Im Gemeindesaal der Veddeler Immanuel-Kirche haben sich etwa 30 Menschen eingefunden. Alte Menschen, vor allem alleinstehende Männer, Familien mit kleinen Kindern, aber auch junge Erwachsene. Sie treffen sich hier zum "Veddeler Abendbrot" - einem Nachbarschaftstreff, bei dem ein kostenloses Abendessen ausgeteilt wird. Seit zwei Jahren ist diese Veranstaltung für viele Bewohner der Veddel ein fester Bestandteil der Wochenplanung. Für einige von ihnen ist es eine der wenigen Möglichkeiten, eine warme, gesunde Mahlzeit zu bekommen. Für andere ist es die willkommene Gelegenheit, Nachbarn und Freunde zum gemeinsamen Klönen zu treffen.

Am letzten Dienstag im Monat kommen besonders viele. Zum einen ist am Monatsende das knappe Haushaltsgeld fast aufgebraucht und eine Gratis-Mahlzeit mehr als willkommen. Zum anderen wird das Abendessen dann vom Hotel Holiday Inn an den Elbbrücken gespendet.

An den anderen Dienstagen kochen Ehrenamtliche die Mahlzeiten mit von der Organisation "Hilfspunkt" gespendeten Lebensmitteln frisch in der Stadtteilkantine der Schule Slomanstieg.

Initiator des "Veddeler Abendbrotes" ist der Kirchenvorstand. Dessen Vorsitzender Steffen Kühnelt (40) ist seit sechs Jahren Pastor bei der Immanuel-Gemeinde. "Wir als Kirche wollen hier vor allem denen, die am Rand stehen, einen Platz in der Gesellschaft bieten", sagt er. Auf der Veddel gebe es kein traditionell kirchliches Milieu, keine 55- bis 75-jährige Gottesdienstbesucher, kein Bildungsbürgertum. Stattdessen viele Bewohner mit Migrationshintergrund (fast 70 Prozent), viele Hartz-IV-Empfänger, Singles und Alleinerziehende. "Kirche auf der Veddel muss Kirche für den Stadtteil sein", sagt der Pastor. "Sie muss eine integrative Kraft sein für die verschiedenen Menschen aus unterschiedlichen Generationen, Milieus und Kulturen."

Wie immer wird auch an diesem Dienstag das Essen pünktlich zum Glockengeläut um 18 Uhr ausgeteilt. Vor der Ausgabestelle hat sich schon eine Schlange gebildet. Vorne stehen Anna-Lena (7) und ihr Bruder Niclas (4). Ihre Mutter Alexandra Krebs hilft heute bei der Essensausgabe. Sie gehört zu einem Team von Ehrenamtlichen, die an der Organisation des "Veddeler Abendbrotes" beteiligt sind. Für viele von ihnen ist dies der erste engere Kontakt mit der Gemeinde. Hinter den Kindern haben sich Siggi Bornkamp (65) und Gisela Mertins (63) angestellt. Der frühere Gelegenheitsarbeiter und die ehemalige Binnenschifferin kennen sich seit Langem und nutzen ihre Zusammentreffen beim "Veddeler Abendbrot", um über die alten Zeiten zu schnacken.

Auch Sascha Brosius wartet aufs Essen. Der 22-Jährige hat lange auf der Veddel gewohnt, ist jetzt weggezogen, will aber wieder zurück. Er kennt viele im Gemeindesaal, denn auch er hat hier schon ehrenamtlich Essen verteilt. "Na, hast du einen Kumpel mitgebracht?", fragt ihn Steffen Kühnelt, der durch den Saal geht, seine Gäste begrüßt und mit jedem ein paar Worte wechselt. Freundlich, aber skeptisch beäugt er jetzt Saschas Nebenmann, der ein blaues Auge und eine dicke Schramme im Gesicht hat.

"So lange keiner Streit beginnt oder aus dem Rahmen fällt, ist jeder bei uns willkommen", sagt Pastor Kühnelt. Er trägt einen kleinen Jungen auf dem Arm - seinen Sohn Jasper (14 Monate), der als Pastorensohn natürlich schon früh am Gemeindeleben teilnimmt. Der Kleine ist hier schon gut bekannt. "Jasper hat bei seiner Taufe mit den Händen ins Wasser gepatscht", sagt Anna-Lena, die oft zum Gottesdienst geht. Sie hat sich mittlerweile mit ihrem gefüllten Teller zwischen Niclas und Damian an den Kindertisch gesetzt.

Die kleine Vivien (3) bleibt lieber bei ihrer Mutter Marike Bolter (28), deren Freundin Alexa Schröder (39) und Nachbar Thorsten Kirschmann (42). Die Freunde kommen regelmäßig zum "Veddeler Abendbrot". Und während Vivien auf dem Schoß ihrer Mutter sitzt und isst, reden die Großen über "Gott und die Welt" - über Arbeitslosigkeit, die leere Haushaltskasse und darüber, dass Pastor Kühnelt den Bolters neulich bei Schwierigkeiten geholfen hat.

Das Leben ist nicht einfach für die meisten auf der Veddel. "Aber uns Hartz-IV-Empfänger schweißt das zusammen", sagt Alexa Schröder. Man hilft sich gegen Ende des Monats mit Tabak oder Lebensmitteln aus und achtet auf die Kinder der Nachbarn. Und verabredet sich zum gemeinsamen Essen beim "Veddeler Abendbrot" - mit Freunden, Nachbarn und dem Pastor.