Einstimmigkeit ist nicht mehr Pflicht. Ein EU-Chef für zweieinhalb Jahre. Grundrechte für alle Bürger.

Hamburg. Beim EU-Gipfel in Lissabon einigten sich die Staats- und Regierungschefs auf einen neuen EU-Reformvertrag. Die wichtigsten Änderungen im Überblick:

  • Wie werden künftig Stimmen gewichtet?

Ab 2014 mit einer Übergangsfrist bis 2017 entscheiden die EU-Mitgliedsländer im Ministerrat nach dem System der doppelten Mehrheit. Diese liegt bei 55% der Staaten, die mindestens 65% der EU-Bevölkerung repräsentieren. Polen konnte mehr Vetorechte bei knappen Entscheidungen im EU-Ministerrat durchsetzen.

  • Wie fallen Entscheidungen?

In vielen Bereichen (z.B. polizeiliche und Justiz-Zusammenarbeit) entfällt der Zwang zur Einstimmigkeit. EU-Beschlüsse können künftig mit qualifizierter Mehrheit gefasst werden. Ausgenommen sind Änderungen von EU-Verträgen sowie Innen-, Steuer- und Sozialpolitik.

  • Wer ist künftig für die EU-Außenpolitik zuständig?

Die EU bekommt einen "Hohen Repräsentanten der Union für Außen- und Sicherheitspolitik", der die Funktionen des bisherigen EU-Außenbeauftragten und des EU-Außenkommissars übernimmt.

  • Wie sind die Sitze im EU-Parlament verteilt?

Das EU-Parlament hat von 2009 an 750 statt wie bislang 785 Sitze. Italien bekommt einen zusätzlichen Sitz und hat künftig ebenso wie Großbritannien 73 Sitze. Zuvor hatten Italien, Frankreich und Großbritannien jeweils 78 Sitze.

  • Inwieweit nimmt das Parlament Einfluss auf Bestimmungen?

Das Parlament entscheidet gemeinsam mit dem Rat über fast alle Regulierungen und hat somit erstmals ein Mitspracherecht in Fragen der Justizzusammenarbeit, der inneren Sicherheit, der illegalen Einwanderung und der Terrorabwehr.

  • Wie sieht künftig die EU-Kommission aus?

Die EU-Kommission wird ab 2014 verkleinert. Es werden nicht mehr alle Kommissare der Mitgliedsstaaten in Brüssel vertreten sein, sondern nur noch zwei Drittel, die sich im Rotationssystem abwechseln.

  • Wie gestaltet sich die EU-Ratspräsidentschaft?

Künftig erhält die EU einen ständigen Ratspräsidenten. Er wird vom Europäischen Rat, dem Gremium der Staats- und Regierungschefs, für eine Amtszeit von zweieinhalb Jahren gewählt. Bisher wechselte der Vorsitz alle sechs Monate.

  • Was bedeutet die neue Grundrechtecharta?

Die Grundrechtecharta wird erstmals durch einen Verweis im Reformvertrag rechtsverbindlich. In 54 Artikeln garantiert sie EU-Bürgern etwa das Recht auf freie Meinungsäußerung, Arbeits- und Sozialrecht sowie das Recht auf eine gute Verwaltung. Diese Grundrechte sind vor dem EU-Gerichtshof einklagbar.

  • Wie sieht die Umweltpolitik der EU aus?

Erstmals wird eine Rechtsgrundlage für den Klimaschutz geschaffen. Vorgesehen ist die Senkung der Treibhausgase um 20% gegenüber 1990. Auch die Energiepolitik wird ein Vertragsthema. Um einen funktionierenden gemeinsamen Energiemarkt und Versorgungssicherheit zu gewährleisten, erhält die EU neue Befugnisse und kann sich besser gegenüber Energie-Lieferanten durchsetzen.

  • Können Bürger künftig die EU-Politik mitgestalten?

Bürger erhalten die Möglichkeiten für europäische Bürgerinitiativen. Mit mindestens einer Million Unterschriften können der EU-Kommission Gesetzesvorschläge gemacht werden. Die Kommission ist rechtlich nicht an diese Vorschläge gebunden.

  • Welche Rechte haben Unionsbürger?

Die Unionsbürgerschaft erscheint im Reformvertrag prominent. Jeder EU-Bürger hat neben der Staats- auch eine Unionsbürgerschaft. Zu den Rechten eines Unionsbürgers gehören insbesondere: Diskriminierungsverbot, Freizügigkeit und Aufenthaltsrecht, Wahlrecht zum Europäischen Parlament und diplomatischer und konsularischer Schutz.

  • Kann ein Staat künftig aus der EU austreten?

Der Reformvertrag schafft erstmals die Möglichkeit eines Austritts aus der EU. Bedingungen dafür muss der austretende Staat mit den EU-Partnern aushandeln.