Kommentar

Europa kann auch anders. Statt lange und zermürbend zu feilschen, haben sich die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union gleich in der ersten Nacht in Lissabon auf einen neuen Vertrag geeinigt. Italien, Polen und Bulgarien bekamen ihre Forderungen erfüllt, ohne dass die anderen 24 allzu große Zugeständnisse machen mussten. Kein Land hat sein Gesicht verloren, Europa lebt eben vom Kompromiss, und dieser ist mal einer mit positiven Vorzeichen.

Die portugiesische EU-Ratspräsidentschaft hat das erfolgreich zu Ende gebracht, was die Bundesregierung begonnen hatte. Insofern kann sich auch Berlin ein paar Federn an den Hut heften. Beim letzten Gipfel unter Leitung von Bundeskanzlerin Merkel war die Zeit vielleicht noch nicht reif, weil zum Beispiel zu viele nationale Egoismen die Taktik der Polen bestimmten und auch das eine oder andere EU-Mitglied dem größten Partner Deutschland die Einigung nicht gönnte. Da ist ein kleines Land wie Portugal viel unverdächtiger.

Apropos Polen: Die Kaczynski-Zwillinge wussten, dass sie diesmal den Bogen nicht wieder überspannen können. Präsident Lech Kaczynski wird in seiner regulären Amtszeit noch drei Jahre mit der EU zusammenarbeiten müssen, während sein Ministerpräsidenten-Bruder Jaroslaw nach der Parlamentswahl vielleicht Geschichte ist.

Mit dem neuen EU-Vertrag ist das Gerüst da, um Europa transparenter, handlungsfähiger und bürgernäher zu machen. Klimaschutz, sozialer Frieden, Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, die nächste EU-Erweiterung sowie Terrorismusbekämpfung stehen nun auf der Agenda. Die Zeit der Nabelschau und Stagnation ist vorbei - jetzt muss die EU wieder Politik für die Menschen machen.