Ansichtssache

Die Einigung der Staats- und Regierungschefs auf die neuen EU-Reformverträge ist auch ein großer Gewinn für Hamburg, da die Europäische Union handlungsfähiger wird und die Bürger sowie die Unternehmen einen verstärkten Grundrechtsschutz erhalten.

Mit dem Reformvertrag über die Europäische Union und dem Reformvertrag über die Arbeitsweise der Union wird die EU handlungsfähiger, demokratischer und transparenter.

Handlungsfähiger, weil im Ministerrat ab 2014 die meisten Entscheidungen mit Mehrheit getroffen werden, und zwar nach dem System der doppelten Mehrheiten: Mehrheit der Staaten plus Mehrheit der Bevölkerung. Demokratischer, weil bereits ab 2009 fast alle europäischen Gesetze der Zustimmung durch das Europäische Parlament bedürfen, der direkt von den Unionsbürgern gewählten Vertretung. Demokratischer auch, weil die Berufung der EU-Kommission - unserer europäischen Regierung - noch direkter vom Ergebnis der Wahl des Europäischen Parlaments abhängig sein wird.

Transparenter, weil der Ministerrat als Gesetzgeber künftig öffentlich tagen wird.

Die neuen Reformverträge werden der Europäischen Union zusätzliche Zuständigkeiten verleihen. Insbesondere wird die EU zuständig werden für die Energiepolitik und den Klimawandel. Diese dringenden Aufgaben können nicht mehr von den 27 Mitgliedsstaaten allein bewältigt werden, sie bedürfen des gemeinschaftlichen Handelns der Union.

Mit dem EU-Vertrag wird die Charta der Grundrechte, die unter dem Vorsitz des früheren Bundespräsidenten Roman Herzog erarbeitet worden ist, für rechtsverbindlich hinsichtlich der Entscheidungen der EU erklärt. Damit werden die Bürger und Unternehmen das Recht erhalten, unter Berufung auf ihre verbrieften Grundrechte gegen Entscheidungen der EU direkt zu klagen.

Diese Rechtsverbindlichkeit der Grundrechte-Charta hat die britische Regierung für ihre Bürger und Unternehmen ausgeschlossen, und die polnische Regierung hat eine abschwächende Erklärung abgegeben. Dies ist sehr bedauerlich.

Die Einigung der Staats- und Regierungschefs hat leider noch zwei kleine "Schönheitsfehler". Die polnische Regierung hat durchgesetzt, dass auch für den Fall, das eine Mehrheitsentscheidung im Rat rechtsmäßig zustande gekommen ist, ein Mitgliedsstaat mit einer Minderheitsposition einen Aufschub und ein Überdenken der Entscheidung verlangen kann (die sogenannte "Ioannina-Klausel"). Dies könnte die Handlungsfähigkeit der EU erschweren.

Die italienische Regierung hat durchgesetzt, dass Italien einen Europaabgeordneten mehr erhält, als Italien nach dem Prinzip der degressiven Proportionalität zustehen würde. Dies ist nach der Verkleinerung des Europäischen Parlaments von 785 auf 751 Abgeordnete zwar unerheblich, verletzt aber den demokratischen Grundsatz der Gleichheit der Wahl.

Die Reformverträge sollen am 13. Dezember in Lissabon von den Staats- und Regierungschefs offiziell unterzeichnet werden, und danach sollen die Ratifikationsverfahren in den 27 Mitgliedsstaaten eingeleitet werden. Die Verfahren sollen bis Ende 2008 abgeschlossen sein, sodass das neue EU-Grundlagenrecht zur Europawahl im Juni 2009 und zur Bestellung der neuen Kommission im Herbst 2009 gilt.

Dies wird allerdings nur Wirklichkeit, wenn alle 27 Mitgliedsstaaten den Reformverträgen zustimmen. In Deutschland dürfte dies kein Problem sein. Auch in den anderen Mitgliedsstaaten dürfte die Ratifikation nunmehr auf keine größeren Schwierigkeiten stoßen. Schwierig ist die Situation in Großbritannien. Bisher hält Premierminister Gordon Brown ein Referendum für nicht erforderlich. Sollte die britische Regierung ihre Meinung ändern, so ist zu befürchten, dass eine Volksabstimmung dort zu einer Ablehnung der Reformverträge führen und damit das ganze Projekt der Fortentwicklung der EU zum Scheitern bringen könnte.