Fronten: London will seinen Milliarden-Rabatt behalten, Paris seine Agrarsubventionen. Eine Lösung sieht selbst EU-Ratspräsident Juncker nicht.

Brüssel/Hamburg. Es geht um Europas Zukunft. Mit einem gewaltigen Kraftakt wollten die Staats- und Regierungschefs bei ihrem entscheidenden Gipfeltreffen ab heute in Brüssel einen Ausweg aus der schweren Verfassungs- und Finanzkrise weisen. Doch schon vor Beginn der zweitägigen Beratungen zeichnete sich ein Scheitern ab. Der amtierende EU-Ratspräsident, Luxemburgs Regierungschef Jean-Claude Juncker, sagte, er rechne nicht mehr mit einer Einigung über die milliardenschwere Finanzplanung der EU. Europa droht damit ein neues verheerendes Fiasko.

EU-Kommissionspräsident Jose Manuel Barroso warnte bei einem Scheitern vor einer "permanenten Krise und Lähmung" Europas. "Wir müssen unseren Bürgern wieder Vertrauen geben in das europäische Projekt", mahnte er und gab die Parole aus: "Wir müssen Erfolg haben." Im erbitterten Streit um die Finanzen appellierte der Kommissionspräsident an die Kompromißbereitschaft der Gipfelteilnehmer. Auch Länder wie Deutschland, Frankreich und Großbritannien müßten zu finanziellen Opfern bereit sein. "Das ist nicht der Moment, um die nationale Karte zu spielen."

Bundeskanzler Gerhard Schröder hielt dagegen. "Ich kenne viele Vorgänger von mir, die durch den Griff in die deutsche Kasse zu großen Europäern geworden sind - das ist mir aus objektiven Gründen nicht mehr möglich", sagte Schröder in offener Anspielung an seinen Amtsvorgänger Helmut Kohl und auf seine eigene Absicht, durch die Vertrauensfrage auf Neuwahlen zuzusteuern. "Das werden die anderen verstehen müssen."

Schröder warnte aber davor, das Nein der Franzosen und der Niederländer zur EU-Verfassung dazu zu nutzen, "in populistischer Weise gegen die Idee eines einigen Europas Front zu machen". Auch in Deutschland, wo die Europa-Skepsis zunehme, sei "allerhand Seltsames" zu hören.

Bundespräsident Horst Köhler ließ gestern seinen Entschluß mitteilen, er wolle erst ein höchstrichterliches Urteil über die EU-Verfassung abwarten, bevor er das Vertragswerk unterschreibe. Damit ist die deutsche Ratifizierung noch nicht rechtskräftig. Gegen den Vertragstext hatte der CSU-Abgeordnete Peter Gauweiler geklagt, weil er eine Entmachtung des Bundestages befürchtet. Eine Entscheidung der Bundesverfassungsrichter kann noch Monate dauern.

Im Finanzstreit wollen Deutschland und andere Nettozahler die Ausgaben der Jahre 2007 bis 2013 auf 815 Milliarden Euro begrenzen. Juncker hatte dagegen eine Summe von 870 Milliarden Euro vorgeschlagen. Problematisch bleibt zudem die Frage der Einnahmen. Der britische Premierminister Tony Blair will über den Britenrabatt nur verhandeln, wenn die EU die Agrarsubventionen kürzt. Der französische Staatspräsident Jacques Chirac lehnt dies ab. Dabei bezieht sich Chirac auf einen EU-Beschluß von Oktober 2002, der bis 2013 gelten sollte, und von dem wiederum Frankreich am meisten profitiert. Chirac forderte London auf, sich angemessen an der Finanzierung der erweiterten EU zu beteiligen. Bei dem britischen Außenminister Jack Straw stieß er aber auf taube Ohren. Im Gegenteil, London werde notfalls mit seinem Veto den gesamten Finanzplan blockieren, drohte Straw.

In der Verfassungskrise plädieren Barroso und Juncker für eine Unterbrechung des Ratifizierungsprozesses. "Am besten wäre es, jetzt eine Pause einzulegen und nachzudenken", sagte Barroso. Für das gegenwärtige Problem gebe es keine Wunderlösung. Offene Worte fand er auch im Streit um eine Aufnahme der Türkei in die EU. "Seien wir ehrlich: Es gibt doch eine Diskussion in Europa über die künftigen Grenzen der EU."