Köln/Hamburg. Interner Bericht zeichnet neues Bild der Silvesternacht. Ermittler konzentrieren sich auf 16 Verdächtige. Erste Anzeigen in Berlin.

Nach den Übergriffen auf Frauen vor dem Kölner Bahnhof in der Silvesternacht sucht die in der Kritik stehende Kölner Polizei dringend erste Fahndungserfolge. Sie ruft Zeugen und Geschädigte auf, sich zu melden. Nach Angaben des nordrhein-westfälischen Innenministers Ralf Jäger (SPD) sind bislang drei Tatverdächtige identifiziert, die direkt etwas mit den Übergriffen zu tun haben sollen.

Diese Zahl bekräftigte am Mittwochabend ein Sprecher des Ministeriums. Zuvor hatte die Kölner Polizei darauf hingewiesen, dass sie insgesamt mehrere mutmaßliche Taschendiebe dahingehend überprüfe, ob sie ebenfalls an den Übergriffen beteiligt waren. Festgenommen waren diese Verdächtigen jedoch völlig unabhängig von den Vorfällen vor dem Bahnhof. Möglicherweise geschädigte Frauen hätten sich entfernt und seien nun gebeten, sich zu melden.

Kommentar: Hört endlich auf so zu tun, als sei das alles neu!

Die zuständige Ermittlungskommission ist nach Angaben vom Mittwoch verstärkt worden. Bei der Kölner Staatsanwaltschaft hat die Abteilung für Organisierte Kriminalität die Ermittlungen übernommen, da Absprachen für ein gemeinsames Vorgehen der Täter nicht ausgeschlossen werden.

Abendblatt.de hält Sie in einem News-Blog über die Entwicklungen nach den Übergriffen auf Frauen an Silvester in Köln und Hamburg auf dem Laufenden:

Interner Einsatzbericht der Bundespolizei aufgetaucht

Die Polizei war nach Angaben eines leitenden Beamten frühzeitig über Ausmaß und Dramatik der Übergriffe in der Kölner Silvesternacht informiert. Während der Ausschreitungen am Hauptbahnhof hätten Frauen Schutz bei der Polizei gesucht, heißt es unter anderem in einem internen Einsatzbericht des Bundespolizisten, der am Donnerstag der Deutschen Presse-Agentur vorlag. Im Gespräch mit einem führenden Landespolizisten habe er sogar befürchtet, dass das „Chaos noch zu erheblichen Verletzungen wenn nicht sogar zu Toten führen würde“, schreibt der Beamte.

In der ersten Pressemitteilung der Polizei am Neujahrsmorgen war die Stimmung in der Innenstadt dagegen als „friedlich“ bezeichnet worden. Erst zwei Tage nach Silvester hatte die Polizei über Übergriffe informiert.

Dagegen schreibt der Bundespolizist, ein Leiter der an dem Einsatz beteiligten Hundertschaft, über die Zeit vor Mitternacht: „Frauen mit Begleitung und ohne durchliefen einen im wahrsten Sinne "Spießrutenlauf" durch die stark alkoholisierten Männermassen, wie man es nicht beschreiben kann“. Viele weinende und schockierte Frauen und Mädchen hätten den Beamten von sexuellen Übergriffen berichtet.

Auffällig sei die „sehr hohe Anzahl an Migranten innerhalb der polizeilichen Maßnahmen“ gewesen. Da die Polizei „nicht jedem Opfer einer Straftat helfen und den Täter dingfest machen konnte, kamen die eingesetzten Beamten an die Grenze zur Frustration“, schreibt der Bundespolizist in dem Bericht, der zunächst der „Bild“-Zeitung und dem Magazin „Der Spiegel“ vorgelegen hatte.

In dem Bericht wird zudem eine viel zu geringe Zahl eingesetzter Beamter beklagt. Alle eingesetzten Polizisten seien „ziemlich schnell an die Leistungsgrenze gekommen“. Wegen der zahlreichen Vorfälle hätten sich die Beamten „auf die Lagebereinigung mit den notwendigsten Maßnahmen“ beschränkt. Aber: „Maßnahmen der Kräfte begegneten einer Respektlosigkeit, wie ich sie in 29 Dienstjahren noch nicht erlebt habe.“ Die Situation sei „Chaotisch und beschämend“ gewesen.

Die Kölner Polizei wollte sich zunächst nicht zu dem Bericht des Bundespolizisten äußern. Die Zeitung „Express“ zitierte am Donnerstag einen weiteren Beamten der Kölner Polizei, der im Einsatz war: „Ich habe junge Frauen weinend neben mir gehabt, die keinen Slip mehr trugen, nachdem die Meute sie ausgespuckt hatte“, erinnert sich dieser laut Zeitung. „Das waren Bilder, die mich schockiert haben und die wir erstmal verarbeiten mussten.“ Die Polizisten seien „damit beschäftigt (...), uns selbst zu schützen, da wir massiv angegriffen wurden“.

Frauenrat fordert von Politik klare Position

Nach den sexuellen Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln hat der Deutsche Frauenrat von der Politik eine klare Position zur Verantwortung der Männer gefordert. „Verhaltensmaßregeln für Frauen lenken die Verantwortung von den Tätern auf die Opfer. Sie sind, wenn nicht zynisch gemeint, zumindest äußerst unbedacht und völlig kontraproduktiv“, erklärte die Vorsitzende Hannelore Buls am Donnerstag in Berlin.

Der Frauenrat - die politische Interessenvertretung von mehr als 50 bundesweit aktiven Frauenverbänden und -gruppen - mahnte auch die Behörden. Insbesondere die Polizei sei dafür verantwortlich, Frauen im öffentlichen Raum zu schützen. „Sexualisierte Gewalt ist kein "Kollateralschaden" etwa von Straßenraub“, sagte Frauenrats-Vize Mona Küppers. An Silvester waren nach Angaben der Polizei auf dem Platz vor dem Bahnhof in Köln zahlreiche Frauen in einer aggressiven Menge sexuell bedrängt und beklaut worden. Zuvor hatten sich den Beamten zufolge etwa 1000 Männer auf dem Bahnhofsvorplatz versammelt.

Kölner Polizei verhängt Informationsstopp

Die Kölner Polizei will nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht vorläufig keine Auskünfte mehr zum Ablauf des Einsatzes geben. Zunächst müsse man nun dem NRW-Innenministerium ausführlich Bericht erstatten, erklärte ein Polizeisprecher am Donnerstag. Am kommenden Montag will sich der Innenausschuss des Düsseldorfer Landtags mit den Vorfällen in Köln befassen. „Aus Respekt vor dem Parlament werden wir bis dahin keine Auskünfte zum Einsatzgeschehen an Silvester erteilen“, kündigte der Sprecher an. Dies beziehe sich etwa auf Fragen zu Uhrzeiten, Personalstärke oder dem detaillierten Ablauf der Ereignisse.

Erste Anzeigen von Frauen in Berlin

Auch in Berlin gab es in der Silvesternacht sexuelle Übergriffe auf Frauen, die angezeigt wurden - allerdings in geringer Zahl und in einer Größenordnung, die den Vorjahren entspricht. Vier Belästigungen und Übergriffe auf und neben der von mehreren hundertausend Menschen besuchten Festmeile am Brandenburger Tor wurden bei der Polizei angezeigt, wie die Behörde am Donnerstag mitteilte. Stadtweit waren es sechs.

Zwei Frauen hatten laut Polizei bereits in der Silvesternacht Anzeige erstattet. Als mutmaßliche Täter wurden zwei Flüchtlinge aus Pakistan und dem Irak ermittelt. Zudem gab eine Touristin an, im Tiergarten von einer Gruppe südländischer Männer belästigt worden zu sein. Eine vierte Frau meldete sich am Dienstag und zeigte eine Belästigung an. Zwei weitere Fälle von sexueller Belästigung wurden in Prenzlauer Berg und Kreuzberg registriert. Mehrere Berliner Tageszeitungen hatten bereits über die Zahlen berichtet.

Konfliktforscher: Übergriffe keine organisierte Kriminalität

Der Bielefelder Konfliktforscher Wilhelm Heitmeyer hält die Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht in Köln für Gewaltverbrechen und nicht für organisierte Kriminalität. „Wir haben es hier mit verabredeter Kriminalität zu tun, die auch von Strukturlosigkeit geprägt ist“, sagte der Wissenschaftler der Universität Bielefeld am Donnerstag im WDR-Radio. Über die modernen Kommunikationsmittel könne schnell eine kritische Masse hergestellt werden, die Schutz vor individueller Strafzurechnung biete. Dazu kämen an Silvester Alkohol und Lärm, durch den Hilfeschreie untergehen könnten.

Die mutmaßlichen Täter, die nach Berichten von Polizisten und Opfern aus dem arabisch-nordafrikanischen Raum stammen sollen, erlebten im Alltag häufig individuelle Ohnmacht, sagte der Sozialforscher. Diese könne in kollektive Allmacht umgewandelt werden. Zudem spiele die Ungleichwertigkeit von Männern und Frauen in den Herkunftsgesellschaften eine Rolle.

Bestimmte Wertvorstellungen wie die Gleichwertigkeit aller Menschen und die psychische und physische Unversehrtheit seien jedoch nicht verhandelbar, betonte Heitmeyer. Er warnte jedoch vor starken Sprüchen zur Härte des Gesetzes, wie sie „aus der Politik herausschallen“. Wenn man diese nicht realisieren und aufgrund der schwierigen Lage der Strafverfolgung nicht einlösen könne, dann verstärke dies die Politikverhöhnung. Der Konfliktforscher verwies auf Bevölkerungsgruppen, die „sowieso schon ihre rohe Bürgerlichkeit pflegen“ wie „Pegida“, Teile der Alternative für Deutschland (AfD) oder Pro NRW.

Hamburger Polizei hat noch keine Verdächtigen

Anders als in Köln hat die Hamburger Polizei nach den sexuellen Attacken auf junge Frauen in der Silvesternacht noch keine Tatverdächtigen ermittelt. Die Ermittler seien noch dabei, das Bildmaterial auszuwerten und Zeugen und Opfer zu befragen, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag. „Wichtig für uns ist, dass sich alle Opfer melden“, sagte der Sprecher. Er unterstrich, dass es sich bei den Taten, bei denen junge Frauen von einer Gruppe Männer umzingelt und sexuell belästigt und auch bestohlen werden, um ein neues Phänomen handele. Auch auf anderen Veranstaltungen wie dem Hafengeburtstag habe es immer wieder Belästigungen und Diebstähle gegeben, aber nicht in der vorliegenden Form.

Bis zum Mittwoch hatte die Hamburger Polizei 90 Zeugenhinweise erhalten, mehr als 50 Anzeigen von Opfern waren eingegangen. Die Polizei prüft inzwischen, ob eine Videoüberwachung temporär - etwa an Wochenenden oder bei Großereignissen - möglich ist. Auf dem Kiez sind noch mehrere Videokameras installiert, aber nicht in Betrieb.

Kölner Polizei konzentriert sich auf 16 Verdächtige

Nach den Übergriffen auf Frauen in der Silvesternacht in Köln ist die Zahl der Strafanzeigen auf 121 gestiegen. Die Ermittler hätten bislang insgesamt 16 Verdächtige ausgemacht, die mit den Taten in Zusammenhang stehen könnten, sagte ein Polizeisprecher am Donnerstag. Die meisten Verdächtigen seien zwar noch nicht namentlich bekannt, aber auf Bild- oder Videoaufnahmen klar erkennbar.

Bei etwa drei Viertel der angezeigten Taten hätten die Opfer angegeben, auch sexuell bedrängt worden zu sein. In zwei Fällen seien Vergewaltigungen angezeigt worden. Augenzeugen und Opfer hatten nach den Übergriffen ausgesagt, die Täter seien dem Aussehen nach größtenteils nordafrikanischer oder arabischer Herkunft. In der Silvesternacht hatten sich aus einer Gruppe von rund 1000 Männern kleinere Gruppen gelöst, die vor allem Frauen umzingelt, begrapscht und bestohlen haben sollen.

Kriminologen kritisieren Hbf-Sicherheit

Mehrere Kriminologen kritisieren die Sicherheitslage am Kölner Hauptbahnhof. Joachim Kersten, Professor an der Deutschen Polizeihochschule in Münster, sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstagsausgabe), es gebe offensichtlich kein Sicherheitskonzept, „sonst würde es nicht so viele Vorfälle geben“. Die große Zahl von Diebstählen sei ein besonderes Problem von Köln.

Der Kriminologe Frank Neubacher von der Universität Köln forderte eine größere Polizeipräsenz am Bahnhof und Sozialarbeiter für minderjährige Täter. Eine Videoüberwachung könne bei der Strafverfolgung und polizeilichen Lageeinschätzung helfen, aber in der Regel keine Straftaten verhindern, sagte er dem Blatt.

Kipping für neues Vergewaltigungs-Gesetz

Die Linken-Parteichefin Katja Kipping fordert eine Verschärfung der Gesetzeslage zu Vergewaltigungen. „Nein heißt vor dem Gesetz nicht unbedingt Nein: Laut Strafgesetzbuch gilt es noch lange nicht als Vergewaltigung, wenn eine Frau nicht will“, kritisierte Kipping. Vielmehr müsse sie sich auch körperlich wehren und um Hilfe zu rufen. Frauen müssten besser vor nicht einvernehmlichen sexuellen Handlungen geschützt werden, forderte die Linken-Politikerin.

CSU-Mann will Abschiebe-Hürden senken

Der CSU-Politiker Stephan Mayer fordert, die Politik müsse genau prüfen, ob die rechtlichen Hürden für die Ausweisung straffällig gewordener Ausländer zu hoch seien. „Wer sein Gastrecht auf derart schändliche und verwerfliche Weise missbraucht wie die Straftäter von Köln, hat sein Bleiberecht in unserem Land verwirkt“, sagte er der in Düsseldorf erscheinenden „Rheinischen Post“ (Donnerstagsausgabe).

Internationale Pressestimmen

Auch in den internationalen Medien werden die Übergriffe auf Frauen an Silvester in mehreren deutschen Städten in hoher Frequenz kommentiert. Hier ist eine Auswahl:

Internationale Pressestimmen

„Der Standard" (Wien)

Politik und Polizei werden sich angesichts dieser neuen Dimension von Bedrohung rasch Maßnahmen überlegen müssen. Dies aber sollte mit kühlem Kopf geschehen und nicht unter Druck des Volkszorns. (...) Auch wenn Integration an einigen Stellen verbesserungswürdig oder gar gescheitert ist, in weiten Teilen funktioniert sie. Wer Flüchtlinge aufgrund dieser Vorfälle nun pauschal als kriminelle Sexmonster verunglimpft, die es auf deutsche Frauen abgesehen haben, der reagiert genauso unsinnig und dumm wie jemand, der Kritiker von Merkels Asylpolitik einfach nur als Nazis abqualifiziert.

"Die Welt" (Berlin)

Es kam, wie es kommen musste. Vielleicht war der Zivilisationsschwächeanfall in Köln zu Silvester genau jener Tropfen, der das Erregungsfass zum Überlaufen bringen sollte. Die Politik hat ihre Rhetorik angespitzt, selbst ein linker Sozialdemokrat wie Justizminister Heiko Maas spricht von einem „Zivilisationsbruch“ und von „Horden“, während der CDU-Innenminister schon mal schnellere Abschiebung straffällig gewordener Asyl-Bewerber ins Rennen schickt. Das ist erstaunlich, weil der rechtsstaatliche Boden für solche Vorschläge nicht existiert. Stand Mittwochnachmittag gibt es drei Verdächtige, keine Festnahmen, aber dafür jede Menge Anzeigen und Vorverdächtigungen. Die Erregung ist nachvollziehbar. Dennoch gilt: in dubio pro reo.

"Kölnische Rundschau" (Köln)

Der Rauch der Silvesternacht ist längst nicht verzogen. Einige Schleier haben sich gelichtet, aber der Blick ist nicht frei auf das, was einer großen Zahl von Frauen in diesen verheerenden Stunden passiert ist. Das ist schlimm vor allem für die Opfer, die nun mit den Folgen leben müssen. Schaden richtet es aber auch für das Klima im Land an. Denn wo Fakten fehlen, stehen die Schleusen für Vorverurteilungen und Hysterie weit offen. Für Häme im Netz sowieso. Die Forderung nach einer harten Antwort des Rechtsstaates ist von allen Seiten zu hören. NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft will die "konsequente Abschiebung". Und zwar unabhängig von der Herkunft. Unabhängig von der Herkunft? Wie denn sonst. Die Rufe nach der starken Hand des Staates und - natürlich - schärferen Gesetzen suggerieren, dass es keine klare rechtliche Handhabe gibt. Das ist falsch. Es ist gesetzlich klar geregelt, wer in Deutschland Aufenthaltsschutz genießt und wer diesen Schutz verwirkt hat. Das Ausweisungsinteresse des Staates überwiegt das Bleiberecht bei Delikten, die mit einem Strafmaß von über zwei Jahren geahndet werden. So steht es im Aufenthaltsgesetz des Bundes. Voraussetzung ist aber der Nachweis einer Tat. Zu befürchten ist, dass dieser Nachweis in Köln nicht zu führen ist, im schlimmsten Fall in keinem einzigen Fall. Weil die geschädigten Frauen ihre Haut retten mussten und sich keine Gesichter einprägen konnten, weil die mutmaßlich organisierten Gruppen im Schutz der Dunkelheit den Verbrechen nachgegangen sind. Auch wenn es manchmal schwer auszuhalten ist: In einem Rechtsstaat darf es keine Verurteilung geben ohne eine zweifelsfreie Beweisführung. Schwer auszuhalten ist auch mancher Kommentar, vor allem im Internet. In den oft gar nicht sozialen Netzwerken sind Flüchtlinge und Migranten schnell in der Schusslinie. Hier zählt das Argument nichts, aber das schnelle Urteil alles. Und am Wege lagern schon die Pegida-Aktivisten, die den Volkszorn dankbar ventilieren in die nächste Entrüstungsdemonstration. In Köln ist sie für Samstag angekündigt. Pegida auf den Spuren von Hogesa. Es schaudert einen. Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker sieht sich zum Beginn ihrer Amtszeit enormen Herausforderungen gegenüber. Und Kübeln voller Häme, die sich nach ihrer "Armlängen"-Äußerung über sie ergossen haben. Geschickt war das nicht, nur auch nicht skandalös. Aber für einen kurzen Klick ist im Netz keine Äußerung zu billig und keine Photoshop-Montage zu abwegig. Das Problem ist nur: Der Sache wird man damit nicht gerecht. Und den betroffenen Frauen auch nicht.

"Emder Zeitung" (Emden)

In einigen Städten haben Männergruppen an Silvester Frauen belästigt, sie begrapscht und ausgeraubt. Die Reaktionen scheinen programmiert: Es beginnt mit Entsetzen, gefolgt von Mitleid und ersten Schuldzuweisungen. Und schließlich stürzen sich alle auf einen Politiker, der etwas Dummes gesagt hat. Statt mit den Hintergründen befassen sich die Nutzer in Sozialen Netzwerken mit der Kritik an Kölns Oberbürgermeisterin, die behauptet hat, eine Armlänge Abstand sei immer möglich. Zwar war sie selbst offenbar in ihrer Stadt noch nie bei einer Großveranstaltung, dennoch ist es überzogen, sie durch den Kakao zu ziehen. Das Ganze ist ein Beispiel für die Hilflosigkeit, mit der die Menschen solchen Ereignissen gegenüberstehen. Viele spotten über Politiker, statt sich mit dem gruseligen Gedanken auseinanderzusetzen, dass solche Überfälle organisiert werden.

„Lausitzer Rundschau“ (Cottbus)

Was aber tun? Verhaltenstipps für Männer? Die mag man kaum fordern. Respekt vor dem anderen - egal ob Frau oder Mann - sollte selbstverständlich sein. Sollte. Ist es aber leider nicht.(...) Keine Frau käme auf die Idee, Männern gegenüber Anspielungen über ausgebeulte Hosen zu machen. Und die wenigsten Männer können von diversen Erfahrungen berichten, in denen Frauen massiv Hand angelegt haben. Sehr viele Frauen haben den umgekehrten Fall schon selbst erlebt.

„Duma“ (Sofia/Bulgarien)

Soweit verhalten sich die deutschen Politiker immer noch im Rahmen der sogenannten politischen Korrektheit, der Toleranz und des Multikulturalismus, während - wie die Stimmungen in den sozialen Netzen und die Reaktionen der Menschen zeigen - in der Gesellschaft die Spannungen ob des Vorfalls wachsen. (...) Wir sind eigentlich Zeugen davon, wie die neu eingetroffenen Migranten beginnen, ihre Regeln der einheimischen Bevölkerung aufzuzwingen (...). Der Vorfall zeigt auch, wie 1000 Menschen - organisiert oder nicht - eine Millionenstadt in Schrecken versetzen können, ohne Terroranschläge zu verüben. (...) Das Verschweigen des Zusammenstoßes zwischen zwei derart unterschiedlichen Kulturen wird nichts Gutes bringen. Irgendwann wird das Eitergeschwür anschwellen und platzen. Jetzt aber ist Deutschland nicht erschüttert. Noch nicht. Wenn das passiert, werden wir alle es merken.

„De Standaard“ (Brüssel)

Die dramatischen Geschehnisse haben die ohnehin schon prekäre Asylpolitik von Angela Merkel noch weiter unterminiert. Aus ihrer Regierung kommen nun Aufrufe, das eine nicht mit dem anderen zu vermischen. Das ist vielleicht verständlich, aber Aufrufe zur Ruhe können die gerechtfertigte Empörung nicht unterdrücken. Das würde den Opfern nicht gerecht werden und die gesellschaftliche Debatte vergiften. ... Merkel und mit ihr alle europäischen Führer müssen zähneknirschend zur Kenntnis nehmen, dass ihre populistischen Herausforderer mit jedem derartigen Vorkommnis stärker werden. Die Probleme waren schon vorher sehr groß, nun wird der Kampf noch schwieriger.

"Westfalenblatt" (Bielefeld)

Je lauter jetzt Politiker, die sich von Amts wegen mit den Vorfällen der Silvesternacht in Köln befassen müssen, vom wehrhaften Rechtsstaat sprechen, desto hilfloser wirken sie. "Wir nehmen es nicht hin, dass sich nordafrikanische Männergruppen organisieren, um wehrlose Frauen mit dreisten sexuellen Attacken zu erniedrigen", sagt NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Doch, Herr Minister, das tun Sie! Sonst wäre es in Köln gar nicht erst so weit gekommen. Die Polizei in Nordrhein-Westfalens größter Stadt hat nicht zum ersten Mal eine Situation völlig falsch eingeschätzt. Im Oktober 2014 lief eine Demonstration der "Hooligans gegen Salafisten" aus dem Ruder, und 2015 sorgten folterähnliche Aufnahmerituale beim Kölner Spezialeinsatzkommando (SEK) für negative Schlagzeilen. In der Silvesternacht standen bis zu 210 Polizisten den etwa 1000 jungen Männern zwischen Dom und Hauptbahnhof gegenüber. Das hätten genug Einsatzkräfte sein müssen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Gingen die Beamten mit einer falschen Taktik in den Einsatz? Hatten sie überhaupt eine Vorstellung von der Brisanz der Lage? Der ganz offensichtlich überforderte Kölner Polizeipräsident Wolfgang Albers (SPD) dürfte kaum im Amt zu halten sein. Seine Entlassung wäre kein Bauernopfer, sondern nur folgerichtig. Polizei ist Ländersache. Wäre so etwas wie in Köln auch in München passiert? Die CSU verfolgt bei innerer Sicherheit eine andere Strategie als Rot-Grün in NRW. Bayern hat auch bei der Terrorwarnung am Silvesterabend vorgemacht, wie effizient und schnell Polizisten eingesetzt werden können. In Köln, Stuttgart, Hamburg, Frankfurt und anderen Städten begann 2016 mit sexuellen Übergriffen auf Frauen. In vielen deutschen Großstädten hat sich der öffentliche Raum zum Gefahrenbereich entwickelt. Weil die Polizei zu wenig Präsenz zeigt und es kaum Videoüberwachung gibt, lässt das Sicherheitsgefühl spürbar nach. Ob vor dem Kölner Dom oder in Bielefelds Bahnhofsviertel: Die Plätze, an denen an Wochenenden oder Tagen wie Silvester mit Straftaten zu rechnen ist, sind der Polizei bekannt. Gewaltprävention darf nicht von wehrlosen Opfern verlangt werden, das ist Aufgabe des Staates. Deswegen sollte, wie in England, öffentlicher Raum generell mit Kameras überwacht werden. Wer nichts zu befürchten hat, kann ganz gelassen bleiben und sich sicherer fühlen.

„Dennik N“ (Bratislava/Slowakei)

Gewalt gegenüber Frauen verüben nicht nur Einwanderer. Das Einhalten von Normen muss aber von Flüchtlingen/Immigranten nicht nur deshalb konsequent eingefordert werden, weil es in unserem Interesse ist, sondern auch im Interesse der Mehrheit der Zuwanderer selbst. Es muss die Spreu vom Weizen getrennt werden: Gerade die anständigen Zuwanderer werden stets als erste für ihre gewalttätigen und unehrenhaften Landsleute büßen müssen.

„Lidove noviny“ (Prag)

Die Ereignisse der Silvesternacht stellen das bisher stärkste Argument für Vorsicht bei der Aufnahme von Migranten dar. Es ist dies ein Argument, das den Graben zwischen "Xenophoben" und "Begrüßern" überbrückt. Bisher wurde uns gesagt, dass No-Go-Zonen, in denen das Gesetz nicht gilt, eine reine Erfindung seien. Jetzt sagte Justizminister (Heiko) Maas: "Es darf keine rechtsfreien Räume geben." Kämpft er also gegen eine nicht existierende Gefahr, gegen Windmühlen? Oder hat er die Ernsthaftigkeit der Probleme zugegeben?

„Adevarul“ (Bukarest)

Schritt für Schritt wird sich die bisher gegen Flüchtlinge gerichtete Rhetorik gegen Migration wenden. Man darf sich nicht wundern, wenn es den Schengen-Raum nicht mehr geben wird, wenn Sicherheitsmaßnahmen verstärkt und Visa verlangt werden. Und wo werden wir (Rumänen) dann stehen? Auf welcher Seite des Zauns? Wird es euch gefallen, wenn Rumänien draußen bleibt und wir ebenso wie die Flüchtlinge behandelt werden?

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Stadt Köln befürchtet Image-Verlust

Die Stadt Köln macht sich Sorgen wegen drohender Schäden für den Tourismus. „Das Image Kölns hat einen Knacks erlitten“, sagte Köln-Tourismus-Geschäftsführer Josef Sommer dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ (Donnerstag). Wie die Zeitung berichtet, haben erste Touristen ihre Reise in die Domstadt storniert.

Kölner Polizeipräsident weist Kritik zurück

Kölns inzwischen umstrittener Polizeipräsident Wolfgang Albers wies Kritik an dem Einsatz seiner Beamten erneut zurück. „Aufgrund des großen Gedränges, der Dunkelheit und der Menschenmassen war ein Großteil der Vorfälle für die eingesetzten Beamten nicht erkennbar und trat erst am Folgetag durch die Vielzahl der Strafanzeigen in der nun bekannten Deutlichkeit zutage“, erklärte er der „Kölnischen Rundschau“ (Donnerstag). Er selbst habe „im Verlauf des Neujahrsmorgens“ von den Vorgängen Kenntnis erhalten. Die erste Pressemitteilung der Polizei dazu gab es erst am Folgetag spät nachmittags.

Tauber fordert mehr Licht an öffentlichen Plätzen

CDU-Generalsekretär Peter Tauber fordert nach den Übergriffen auf Dutzende Frauen in Köln mehr Videoüberwachung und mehr Licht auf öffentlichen Plätzen von Großstädten. „Man muss Räume schaffen, in denen so etwas nicht geschieht, einfach weil es nicht im Dunkeln geschehen kann“, sagte Tauber der Deutschen Presse-Agentur. Videoüberwachung diene der Ermittlung der Fakten und sei vielleicht auch ein geeignetes Argument zur Prävention. Um eine Wiederholung solcher Vorfälle zu vermeiden, brauche es zudem mehr Polizeipräsenz.

Maas stellt Polizeivorgehen in Frage

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Donnerstag) zum Polizeieinsatz: „Die Polizei muss sich die Frage stellen lassen, ob sie die Vorfälle wirklich schon in der Silvesternacht ernst genug genommen hat.“ Es solle aber keine vorschnellen Schuldzuweisungen geben.

Hamburgs Polizei-Vize beantwortet die wichtigsten Fragen

Angesichts von Zeugenaussagen, dass die aggressive Menge in Köln vor allem aus Männern nordafrikanischer Herkunft bestand, geht auch die Debatte über die Abschiebung straffälliger Ausländer weiter. Maas vertrat die Auffassung, falls Asylsuchende unter den Tätern gewesen sein sollten, so könnten sie ausgewiesen werden. Das erlaube das Gesetz bei Verurteilungen zu mehr als einem Jahr, die bei Sexualdelikten durchaus möglich seien.

Pistorius für Abschiebe-Prüfung

Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“, die Möglichkeit der Abschiebung müsse gegebenenfalls geprüft werden. Eine Erleichterung von Abschiebungen hatte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) ins Gespräch gebracht. Dazu meinte SPD-Vize Ralf Stegner allerdings in der „Welt“: „Ständig Stimmungen nachzulaufen ist kein verantwortliches Regierungshandeln, sondern das beharrliche Umsetzen der getroffenen Vereinbarungen, wie die Aufstockung der Bundespolizei.“ Zu deren Zuständigkeit gehört - auch an Silvester in Köln - die Sicherheit auf den Bahnhöfen.

Auch in Frankfurt Anzeigen von Frauen

Auch in Frankfurt haben Frauen wegen Übergriffen in der Silvesternacht Anzeige erstattet. Während zahlreiche Menschen am Mainufer den Jahreswechsel feierten, sollen zwei Gruppen junger Frauen von Männern begrapscht worden sein. Die Polizei habe eine Arbeitsgruppe aus sechs Beamten gebildet und gehe zwei Vorfällen nach, sagte eine Polizeisprecherin am Mittwoch und bestätigte damit Medienberichte.

In einem Fall sollen vier Frauen von drei Männern angegrapscht worden sein, in dem anderen sollen zehn als nordafrikanisch beschriebene Männer drei Frauen sexuell genötigt haben. Bei dem ersten Vorfall gegen 23.00 Uhr sei ein Handy gestohlen worden. Die Täter seien nach der Schilderung der Frauen ebenso vorgegangen wie in Köln. Sie hätten die Menschenmenge in der Stadt ausgenutzt und die Frauen separiert.

„Die Dimension ist neu“, sagte die Sprecherin. Die Frauen hätten erst fünf Tage nach den Vorfällen am Dienstag Anzeige erstattet - vermutlich nach der breiten Berichterstattung über die Vorfälle in Köln.

In der Arbeitsgruppe sollen alle Informationen zu den Fällen zusammenlaufen. Bei den Ermittlungen sei die Polizei auf Zeugen angewiesen, sagte die Sprecherin. Von Interesse seien auch private Fotos und Videos, die bei der Identifizierung von Verdächtigen helfen könnten.

Hessens Innenminister Peter Beuth (CDU) sicherte mehr Wachsamkeit zu: „In der anstehenden Fastnachtszeit werden wir mit hoher Polizeipräsenz und einer Reihe zusätzlicher verdeckter und offener Maßnahmen die Sicherheit in Hessen gewährleisten.“ Unter anderem werde die Polizei mehr Videoaufnahmen machen. Auch Beuth bat die Bürger um Hilfe: „Ich möchte die Bürgerinnen und Bürger ermutigen, wachsam zu sein und Auffälliges schnell der Polizei zu melden.“