Bremen/Hamburg. Die Wahlschlappe traf ihn tief, die Genossen murren: Bürgermeister Jens Böhrnsen tritt ab. Für SPD-Chef Sigmar Gabriel wird's noch schwerer.

Ist mit dem Rücktritt von Bremens Bürgermeister Jens Böhrnsen (SPD) auch Rot-Grün in der Hansestadt am Ende? Denn nur einen Tag nach der Wahlschlappe seiner Koalition hat Böhrnsen die persönliche Reißleine gezogen. Der 65-Jährige, der seit knapp zehn Jahren im kleinsten Bundesland regiert, steht für den neuen Senat nicht mehr zur Verfügung. Zu schwer wiegt die Last des Absturzes seiner Partei, die mit 32,9 Prozent das schlechteste Wahlergebnis in Bremen überhaupt einfuhr. Vielleicht fühlt er sich von seinem Landesvorsitzenden Dieter Reinken im Stich gelassen, der am Vormittag den Fortbestand des seit acht Jahren regierenden Bündnisses mit den Grünen infrage gestellt hatte – obwohl es der amtlichen Hochrechnung zufolge für eine Mehrheit im Parlament reicht.

Böhrnsen hatte im Wahlkampf keinen Zweifel daran gelassen, dass er mit der grünen Finanzsenatorin Karoline Linnert an seiner Seite, nicht aber mit der CDU-Spitzenkandidatin Elisabeth Motschmann weiterregieren wollte. Reinken dagegen rückt eine Große Koalition mit der CDU in den Bereich des Möglichen.

Auch von der Spitze der Grünen kamen am Montag keine klaren Signale, die Böhrnsen hätten ermutigen können. Landeschef Ralph Saxe nannte ein drittes rot-grünes Bündnis an der Weser keine Selbstverständlichkeit. Ein „Weiter so“ dürfe es nicht geben.

Für Böhrnsen zählt der menschliche Faktor in der Politik viel. Er sagte einmal, dass Koalitionen selten an inhaltlichen Problemen, sondern meist an einem Mangel an persönlichen Gemeinsamkeiten scheitern. Linnert und Böhrnsen waren das Rückgrat der rot-grünen Koalition in Bremen. In wichtigen politischen Fragen hatte es mehrfach Streit in der Koalition gegeben, der nicht immer nur intern ausgetragen wurde. Beide hielten in solchen Situationen den Laden zusammen.

Nun steht die Bremer SPD unabhängig von Koalitionsfragen ziemlich unverhofft vor einen großen Problem. Wer kann Jens Böhrnsen ersetzen? Einen Kronprinzen gibt es nicht. Dem Fraktionschef Björn Tschöpe trauen das Amt nur wenige zu. Ein möglicher Kandidat wäre der Bundestagsabgeordnete Carsten Sieling. Die Parteiführung hatte sich darauf verlassen, mindestens noch zwei Jahre Zeit zu haben, einen Nachfolger in Stellung zu bringen.

Der Bremer CDU-Chef Jörg Kastendiek hat den Amtsverzicht von Böhrnsen als logische Konsequenz bezeichnet. „Seiner Entscheidung gebührt Respekt“, sagte Kastendiek am Montag. Auch die FDP-Spitzenkandidatin Lencke Steiner sprach von einem konsequenten Schritt. Der inhaltsleere Wahlkampf der SPD habe zu der geringen Wahlbeteiligung und letztlich dem schlechten Abschneiden geführt, erklärte sie.

Zusammen kommen SPD und Grüne auf 44 der 83 Sitze in der Bürgerschaft. CDU, Linke, FDP und AfD ziehen ebenfalls ins Parlament ein. Auch die rechtspopulistische Gruppierung „Bürger in Wut“ (BIW) holte wieder ein Mandat. Nach der vom Landeswahlleiter veröffentlichten Hochrechnung erzielt die SPD 32,9 Prozent der Stimmen (-5,7 Prozentpunkte). Die Grünen als größte Verlierer bekommen 15,2 Prozent (-7,3). Gewinner sind die CDU mit 22,6 Prozent (+2,2), die Linke mit 9,3 Prozent (+3,7), die FDP mit 6,7 Prozent (+4,3). Die AfD kommt auf 5,5 Prozent.

Daraus ergibt sich eine Sitzverteilung von 30 Sitzen für die SPD, 14 für die Grünen, 20 für die CDU, 8 für die Linke, 6 für die FDP, 4 für die AfD und ein Sitz für die „Bürger in Wut“.

Die Hochrechnung beruht auf der Basis von 100 Prozent der Stimmzettel in Bremerhaven und 26 Prozent aller abgegebenen Stimmen in Bremen. Hochrechnungen zuvor beruhten auf Auszählungen für einen repräsentativen Querschnitt der Wahlbezirke. Das vorläufige Endergebnis wird erst für Mittwoch erwartet.

Der Ausgang der Bremen-Wahl hat nach Worten von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) keine Auswirkungen auf die Arbeit der Großen Koalition in Berlin. Die Menschen erwarteten, dass die Regierungspartner unbeschadet von Landtagswahlen ihre Arbeit machten, sagte Merkel. Für alles andere bleibe auch keine Zeit. „Wir haben jetzt noch vier Parlamentswochen und noch eine ganze Reihe von Themen zu entscheiden“, betonte die Kanzlerin und verwies etwa auf die wichtigen Entscheidungen zur Energiewende, die noch vor der Sommerpause getroffen werden müssten. „Trotzdem werden Sie mir erlauben, dass ich mich heute freue.“

Der Rückzug von Böhrnsen ist eine herbe Niederlage für SPD-Parteichef Sigmar Gabriel. Er weilte am Montag in Hamburg und in Norddeutschland, um als Wirtschaftsminister beim G7-Gipfel die Energiewende voranzutreiben. Doch er ist jetzt selbst ein Getriebener. Denn außer der Wahl in Hamburg, bei der die SPD zwar an Prozentpunkten verlor und eine Koalition mit den Grünen eingehen musste, aber dank Olaf Scholz stabil ist, kann Gabriel keinen so nötigen Aufwärtstrend für die Sozialdemokraten verzeichnen. Mit ihren Vorhaben wie Mindestlohn und Rente mit 63 konnten sich die Genossen im Bund zwar durchsetzen. Doch die Große Koalition in Berlin nützt im Wählerurteil nur Angela Merkel und ihren Christdemokraten.

Sigmar Gabriel wird, ähnlich wie Frank-Walter Steinmeier zuvor, als Parteivorsitzender und möglicher Kanzlerkandidat für 2017 in der Großen Koalition zum politischen Zwerg. Unlängst wurde der starke EU-Parlamentspräsident Martin Schulz als Merkel-Herausforderer für 2017 ins Spiel gebracht. Und Gabriel fand die Idee sogar nachdenkenswert. Für einen selbstbewusst agierenden und optimistischen SPD-Vorsitzenden spricht das nicht. (lni/HA)