Parteilinke fordert statt niedrigerer Steuern und Beiträge kostenlose Kindergartenplätze. CSU hält das Programm für “Giftliste“.

Hamburg/Potsdam. Auf der zweitägigen SPD-Klausurtagung in Potsdam hat Parteichef Sigmar Gabriel gestern seiner Partei ehrgeizige Ziele gesteckt. Er sei zuversichtlich, dass seine Partei erfolgreich aus den sieben Landtagswahlen in diesem Jahr hervorgehen werde, sagte Gabriel. Zugleich muss der Parteivorsitzende einen SPD-internen Streit um den steuerpolitischen Kurs seiner Partei fürchten: Das sogenannte Fortschrittsprogramm, das Gabriel zusammen mit Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier und Generalsekretärin Andrea Nahles verfasst hat, stößt nicht nur bei der Union, sondern auch in den Reihen der Sozialdemokraten auf Widerspruch.

Gabriel sagte zu Beginn der traditionellen Jahresauftaktklausur seiner Partei, viele Menschen seien vom Fortschritt abgekoppelt. "Wir Sozialdemokraten wollen dem Fortschritt wieder eine neue Richtung geben", sagte Gabriel. Kernpunkt der Tagung ist die Debatte über das Programm mit dem Titel "Neuer Fortschritt und mehr Demokratie", das im Dezember endgültig beschlossen werden soll.

Der Parteichef verteidigte die in dem 43-seitigen Papier vorgesehene Entlastung geringer und mittlerer Einkommen. Während Gutverdiener von maßvollen Steuersätzen profitierten, würden Geringverdiener mit hohen Sozialabgaben belastet, sagte er. Die SPD-Spitze spricht sich daher dafür aus, Einkommen zwischen 800 und etwa 3000 Euro spürbar zu entlasten. Finanziert werden soll dies unter anderem aus einer Anhebung der Spitzensteuer auf bis zu 49 Prozent.

Dagegen regt sich in den Reihen der Parteilinken allerdings Widerstand. In einem Arbeitspapier des linken Parteiflügels, das ebenfalls in Potsdam diskutiert werden soll, heißt es zu der höheren Spitzensteuer: "Die Einnahmen wollen wir primär dazu verwenden, die Ausgaben für Bildung und Wissenschaft in Deutschland deutlich zu steigern." Eine breite Senkung von Steuern oder Sozialabgaben dagegen lehne man ab. "Diese würden etliche Milliarden Euro kosten und letztlich nur wenige Euro an Entlastungswirkung nach sich ziehen."

Einer der Verfasser des Papiers, der bildungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Ernst Dieter Rossmann, forderte im Hamburger Abendblatt, die SPD müsse sich inhaltlich neu aufladen. Die Parteilinke sei voller Anerkennung für das Fortschrittsprogramm von Sigmar Gabriel. "Wir sind aber der Ansicht, dass es für geringer und normal verdienende Familien eine größere Entlastung wäre, wenn sie keine Kindergartenbeiträge zahlen müssten, als wenn man für sie Steuern oder Sozialbeiträge absenkt", betonte Rossmann. "Wir sollten vorsichtig sein, wie viel Entlastung bei den Sozialbeiträgen wir versprechen, und nicht allzu sehr vorpreschen." Der schleswig-holsteinische SPD-Fraktionsvorsitzende Ralf Stegner verteidigte im Abendblatt das Papier der Parteispitze. Bei dem Entwurf des linken Flügels handele es nicht um ein Gegenpapier, sondern um eine inhaltliche Ergänzung: "Wir brauchen sowohl eine stabile Finanzierung von diesem bildungspolitischen Kraftakt, wie er auch in dem linken Arbeitspapier gefordert wird. Aber gerade Geringverdienern, die gar keine Steuern zahlen, würden Beitragsentlastungen helfen, so wie sie auch Gabriel vorschlägt."

Gabriel sagte dazu, es gehe nicht darum, die Entlastung von Geringverdienern gegen Bildungsinvestitionen auszuspielen. Den SPD-Plänen zufolge sollen die Einnahmen aus einer höheren Spitzensteuer auch in die Bildung sowie in die bessere Ausstattung der Kommunen fließen. Zum Ehegattensplitting heißt es in dem Papier, das Splitting sei nicht mehr zeitgemäß, da es fernab der klassischen Ein-Personen-Versorger-Ehe eine Vielfalt von Formen des Zusammenlebens gebe.

Die CSU kritisierte das Programm als "SPD-Giftliste für die deutschen Steuerzahler". "Mit uns wird es ein Schleifen des Ehegattensplittings nicht geben", erklärte Generalsekretär Alexander Dobrindt. Die Abschaffungspläne der SPD bedeuteten Steuererhöhungen für Ehen und Familien von 20 Milliarden Euro jährlich. Der FDP-Finanzpolitiker Volker Wissing warf der SPD ein "unehrliches Spiel" mit den Bürgern vor. Die in dem Papier geplanten Steuererhöhungen reichten bei Weitem nicht aus, um die vorgesehenen Mehrausgaben zu finanzieren, erklärte er in Berlin. Am zweiten Tag ihrer Klausur will die SPD-Spitze heute neben den Beratungen über das Fortschrittspapier auch Beschlüsse zu den Themen Afghanistan und Pflege fassen.