Rösler verteidigt teurer werdende Krankenpolice und Öffnung bei Zusatzbeiträgen. Bundestag stimmt Gesetz zu.

Berlin. Weder die Arbeitgeber, noch die Gewerkschaften sind zufrieden. Die Opposition ist es schon gar nicht. Dennoch ist die Reform der gesetzlichen Krankenversicherung nun beschlossene Sache. Nach monatelangen und mitunter ruppigen Verhandlungen verabschiedete der Bundestag am Freitag das Gesetz, mit dem das Milliardendefizit der Kassen eingedämmt werden soll. 306 Abgeordnete von Union und FDP stimmten dafür, es gab 253 Nein-Stimmen aus den Reihen von SPD, Grünen und Linken. Das Gesetz bedarf nicht mehr der Zustimmung des Bundesrates.

Auf die rund 70 Millionen gesetzlich Krankenversicherten kommen damit ab Januar 2011 höhere Beiträge und weitere finanzielle Belastungen zu. Der einheitliche Beitragssatz von derzeit 14,9 steigt wieder auf 15,5 Prozent. Der Arbeitgeberanteil wird von sieben auf 7,3 Prozent erhöht und auf diesem Niveau festgeschrieben. Alle künftigen Kostensteigerungen sollen von den Versicherten durch unbegrenzte Zusatzbeiträge finanziert werden. Geringverdiener sollen jedoch einen Sozialausgleich erhalten. Mit dem Beschluss wird auch ein drohendes Finanzloch in der gesetzlichen Krankenversicherung von neun Milliarden Euro im kommenden Jahr gestopft.

Bundesgesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) verwies auf die Notwendigkeit seiner Reform. Dem Abendblatt sagte Rösler: "Zu den Maßnahmen, die wir auf den Weg gebracht haben, gibt es keine vernünftige Alternative." Erstmals seit Einführung des Gesundheitsfonds gebe es wieder Wettbewerb zwischen den Krankenkassen. "Wir haben ihnen die Beitragsautonomie zurückgegeben", verteidigte Rösler auch die neuen Regeln für Zusatzbeiträge.

Der Gesundheitsminister wehrte sich gegen Angriffe der Opposition, die Reform benachteilige die unteren Einkommensgruppen. "Das System steht jetzt für mehr Solidarität als früher", betonte Rösler. Der Ausgleich zwischen Arm und Reich werde nicht mehr nur zwischen den gesetzlich Versicherten organisiert. "Erstmals werden durch den steuerlichen Bundeszuschuss von zwei Milliarden Euro alle Steuerzahler in die Verantwortung genommen. So tragen auch Privatversicherte zum Ausgleich zwischen Arm und Reich bei", machte der FDP-Politiker deutlich.

Der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn sagte, die Koalition stelle sich der Verantwortung, auch wenn es "unschöne Botschaften" seien. "Wenn wir nichts tun würden, müssten viele Krankenkassen in die Insolvenz gehen", sagt Spahn mit Blick auf das drohende Milliardendefizit.

Doch weder der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB), noch die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) halten die Neuerungen für gelungen. Der DGB warf der Koalition eine "Politik gegen die Bevölkerung" vor. Das einzig Nachhaltige an der Reform seien die steigenden Belastungen für 90 Prozent der Bevölkerung, kritisierte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach. Die Bundestagswahl 2013 werde zur Abstimmung über die Kopfpauschale, kündigte sie an. Die Sozialverbände monierten, die pauschalen Zusatzbeiträge träfen Bezieher niedriger Einkommen, chronisch Kranke und Rentner besonders hart. Die IG Metall sprach von einem "schwarzen Tag für die Arbeitnehmer". Der Sozialverband Deutschland (SoVD) kündigte an, den Widerstand gegen die schwarz-gelbe Gesundheitspolitik fortzusetzen. Arbeitgeberpräsident Dieter Hundt kritisierte, durch den Anstieg des Arbeitgeberanteils auf 7,3 Prozent würden die Arbeitskosten erhöht. Der höhere Beitragssatz belaste Wirtschaft und Beschäftigung. Der Sozialausgleich führe zudem zu mehr Bürokratie bei den Arbeitgebern.

SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles warf Rösler im Bundestag vor, mit der Reform werde "das Ende der Solidarität" im Gesundheitswesen eingeleitet: "Die Versorgung wird nicht verbessert, aber es wird an vielen Punkten ungerechter werden für die Versicherten." Den Gesundheitsminister nannte Nahles den "Cheflobbyisten der letzten vier Prozent Spitzenverdiener, die noch treu zur FDP stehen". SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sprach von "Abzocke".

Die Grünen-Gesundheitspolitikerin Birgitt Bender sagte, es sei nicht gerecht, dass der Beitrag von 15,5 Prozent nur auf Löhne, Gehälter und Renten fällig werde, aber nicht auf andere Einkünfte wie etwa Zinsen. Solche Einrechnungen anderer Einkünfte sieht das Alternativkonzept der Bürgerversicherung der SPD vor. Nahles hatte es Anfang der Woche vorgestellt und angekündigt, im Gesundheitswesen auf eine Mischfinanzierung von Beiträgen und Steuern setzen zu wollen.

Rösler griff die Vorschläge der Sozialdemokraten scharf an. "Die SPD hat eine alte Idee aufgewärmt. Sie will sämtliche Einkunftsarten mit dem Versicherungssatz von 15,5 Prozent belegen. Das ist typisch sozialistisch", kritisierte Rösler. Das Motto bei den Sozialdemokraten heiße: "Nicht alle gleich gut behandeln, sondern alle gleich schlecht." Diese Bürgerversicherung bedeute deutlich weniger netto vom brutto - gerade auch für die Mittelschicht. Er sagte weiter: "Dem SPD-Konzept fehlt jegliches Maß an Seriosität. Ich muss feststellen, dass sich die SPD immer weiter von der Realität der deutschen Gesundheitspolitik entfernt."