Kopfpauschalen, Sozialausgleich, Medikamente: Alle Details zu Krankenkassen und Zusatzbeiträgen auf abendblatt.de.

Hamburg/Berlin. „Wildsau“ und „Gurkentruppe“ – der Streit um die Gesundheitsreform hat selbst innerhalb der Regierungskoalition in Berlin für erhebliche Spannungen gesorgt . FDP und Union lagen über Kreuz – und mittendrin Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP). Nun ist das Reformwerk im Bundestag beschlossen worden und kann 2011 in Kraft treten. Rösler konnte sich am Ende mit seiner Kopfpauschale nicht durchsetzen. Ein Umschwung im Gesundheitswesen ist der neue Zusatzbeitrag aber schon. Was die neuen Regelungen im Detail vor allem für die Versicherten und Patienten bedeuten, hat abendblatt.de zusammengestellt.

Krankenkassenbeitrag: Im kommenden Jahr steigt der einheitliche Beitragssatz von 14,9 auf 15,5 Prozent vom Monatsbrutto. Arbeitnehmer zahlen 8,2 Prozent auf ihr Einkommen, die Arbeitgeber oder die Rentenversicherung für die Rentner jeweils 7,3 Prozent. In Zukunft wird aber der Satz der Arbeitgeber eingefroren, sodass die Versicherten demnächst allein für die Kostensteigerungen aufkommen müssen. Bei einem Bruttogehalt von 1000 Euro müssen Beschäftigte für die gesetzliche Krankenversicherung 82 statt 79 Euro im Monat bezahlen. Bei 1500 Euro Einkommen sind es künftig 123 statt 118,50 Euro, bei 2000 Euro Einkommen werden 164 statt 158 Euro fällig.

Zusatzbeitrag: Bislang erheben einige Kassen wie die DAK oder die KKH einen Zusatzbeitrag . Er variiert je nach Kasse und Verdient zwischen 8 bis 37,50 Euro. Betroffen sind bereits heute etwa acht Millionen Versicherte. In Zukunft dürfen die Kassen Zusatzbeiträge ohne Obergrenze in Euro und Cent festsetzen. Die Pauschalen sind unabhängig vom Einkommen zu zahlen, wodurch Gering- und Mittelverdiener deutlich stärker belastet werden als Bezieher höherer Einkommen. Wenn ein durchschnittlicher Zusatzbeitrag mehr als zwei Prozent des Bruttoeinkommens beträgt, bekommt der Versicherte die Differenz als Sozialausgleich. Für Hartz-IV-Empfänger wird der Zusatzbeitrag aus der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds finanziert.

Sozialausgleich: Beträgt der durchschnittlich von den Kassen erhobene Zusatzbeitrag zum Beispiel 20 Euro, bekommen Versicherten ab einem Einkommen von 1000 Euro keinen Ausgleich. Für sie übersteigt der Zusatzbeitrag nicht die Überforderungsgrenze von zwei Prozent des Bruttoeinkommens. Wer 800 Euro bekommt, wird nur mit 16 Euro zur Kasse gebeten. Der Betroffene muss den von der eigenen Kasse verlangten Zusatzbeitrag komplett zahlen. Sein „normaler“, vom Einkommen abhängiger Kassenbeitrag wird dann aber um 4 Euro reduziert. Wenn seine Kasse mit dem Zusatzbeitrag über dem Schnitt von 20 Euro liegt, schneidet er schlechter ab. Verlangt sie weniger, zahlt er unterm Strich auch weniger. Experten rechnen damit, dass die Zusatzbeiträge schnell auf 40 Euro steigen können.

Strafe bei Nichtzahlen: Säumige Versicherte, die mit der Zahlung des Zusatzbeitrages sechs Monate im Rückstand sind, werden mit einem Zuschlag von mindestens 30 Euro bestraft.

Privatversicherte: Der Wechsel in die PKV wird leichter. Wer ein Einkommen über der Versicherungspflichtgrenze (2010: 49.950 Euro) erzielt, muss nicht mehr drei Jahre sondern nur noch zwölf Monate warten, bis er in die PKV wechseln kann. Die gesetzlichen Kassen fürchten, dass sich Hunderttausende Gutverdiener so aus der Solidargemeinschaft verabschieden. Sie werfen der Bundesregierung Klientelpolitik für die Privatversicherer vor.

Einsparungen: Im nächsten Jahr sollen 3,5 Milliarden Euro und 2012 vier Milliarden Euro im Gesundheitswesen eingespart werden. So müssen Kliniken, Ärzte und Zahnärzte geringere Zuwächse hinnehmen als eigentlich vorgesehen. Einberechnet sind in diese Summe die Effekte durch das Arzneimittelsparpaket in Höhe von rund zwei Milliarden Euro.

Krankenhäuser: Sie sollen im kommenden Jahr 500 Millionen Euro und 2012 rund 570 Millionen Euro zur Verbesserung der Finanzlage beitragen.

Ärzte: Die Ärzte sollen mindestens 850 Millionen Euro sparen, wozu das Gesetz mehrere Mechanismen vorsieht. So wird etwa der Ausgabenanstieg bei sogenannten extrabudgetären Leistungen für die Kassenärzte gebremst (etwa ambulantes Operieren, Vorsorge- und Früherkennung oder Dialyse). Das soll 350 Millionen Euro bringen. Weitere 500 Millionen Euro will die Koalition sparen, indem für die umstrittenen Hausarztverträge das Vergütungsniveau gesenkt wird. Hintergrund ist, dass den Kassen diese Verträge zu teuer sind. Bestehende Vereinbarungen erhalten Bestandsschutz bis Mitte 2014.

Die Verwaltungskosten der Kassen dürfen in den nächsten beiden Jahren im Vergleich zu 2010 nicht steigen. 2011 und 2012 sollen so je 300 Millionen Euro zusammenkommen.

Das sind die wichtigsten Änderungen bei den Arzneimitteln:

Die Arzneimittel sind der zweitgrößte und am schnellsten wachsende Kostenblock bei den gesetzlichen Krankenversicherungen. Allein 2009 stiegen die Ausgaben um rund fünf Prozent von 30,9 auf 32,4 Milliarden Euro.

Preisverhandlungen: Innerhalb eines Jahres müssen die Hersteller für neue Medikamente mit den Krankenkassen Rabatte aushandeln, die den Preis und damit die Ausgaben der Kassen reduzieren. Einigen sich beide Seiten nicht, setzt eine Schiedsstelle den Verhandlungspreis fest. Auch für bereits eingeführte patentgeschützte Arzneimittel kann der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA), das höchste Gremium der Selbstverwaltung im Gesundheitswesen, Preisverhandlungen verlangen. Die Regelungen gelten nicht für Generika. Für diese nicht patentgeschützten Medikamente gibt es bereits Rabattverträge.

Nutzenbewertung: Die Nutzenbewertung durch den G-BA wird neu eingeführt und ist Voraussetzung für die Preisverhandlungen. Vom tatsächlichen Zusatznutzen eines Medikamentes hängt ab, ob die Krankenkassen den Herstellern den vollen Preis erstatten oder nur den Festbetrag für vergleichbare Arzneimittel, die schon auf dem Markt sind. Damit soll verhindert werden, dass immer neue Mittel zu hohen Preisen auf den Markt kommen, die nicht besser sind als ältere.

Ausnahme: Medikamente für seltene Erkrankungen (Orphan Drugs) werden ohne Nutzenbewertung zugelassen – es sei denn, mit einem Mittel wird mehr als 50 Millionen Euro Umsatz pro Jahr erzielt.

Private Krankenversicherung: Die Preise, die Krankenkassen und Hersteller mit dem Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherungen ausgehandelt haben, gelten auch für die privaten Krankenversicherer und die Beihilfe.

Freiwillige Zuzahlung: Patienten, die Generika verschrieben bekommen, die ihre eigene Krankenkasse nicht erstattet, können diese künftig durch Zuzahlungen dennoch bekommen. Dafür wird eine Mehrkostenregelung eingeführt. Heute sind Patienten an wirkstoffgleiche Medikamente gebunden, für die ihre Kasse mit den Herstellern Mengenrabatte vereinbart hat. Kritiker sehen in der Mehrkostenregelung eine Untergrabung des Sachleistungsprinzips und der Rabattverträge für Generika.

Kartellrecht: Auf die Krankenkassen soll das Kartellrecht angewendet werden. Das trifft große Kassen wie die AOK und ihre Marktmacht bei den Verhandlungen um Rabatte für Generika.

Pharma-Vertragspartner: Pharmaunternehmen können in die Integrierte Versorgung einsteigen. Bisher werden diese Verträge für bestimmte Patientengruppen nur zwischen Krankenkassen sowie Ärzte-Netzen, Kliniken, Reha-Zentren oder Pflegediensten geschlossen.

Zwangsrabatte: Die Hersteller müssen den Krankenkassen für Medikamente, deren Preis voll von den Kassen erstattet wird, höhere Abschläge gewähren – statt 6 nun 16 Prozent. Außerdem gilt ein Preisstopp. Diese beiden Regelungen greifen schon seit August dieses Jahres befristet bis Ende 2013. Dann sollen die Einsparungen durch die Rabattverhandlungen erzielt werden.

Impfstoffe: Sie dürfen nicht mehr teurer sein als in anderen europäischen Ländern.

Apotheken und Großhandel: Apotheker und Großhändler werden verpflichtet, in den kommenden beiden Jahren die Krankenkassen um jeweils 400 Millionen Euro zu entlasten.