Birgit Fischer, Chefin der Barmer GEK, warnt vor den Tücken der Zusatzbeiträge. Das Geld aus dem Gesundheitsfonds werde zweckentfremdet.

Hamburg. Die Versicherten fürchten die Zusatzbeiträge zur Krankenversicherung - und die Kassen haben Bedenken, ob die Gesundheitsreform der Bundesregierung überhaupt mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Die Vorstandsvorsitzende von Deutschlands größter Kasse Barmer GEK (8,5 Millionen Versicherte), Birgit Fischer, sagte dem Hamburger Abendblatt: "Der Zusatzbeitrag, so wie er jetzt geplant ist, bringt ganz neue Mechanismen, die verfassungsrechtlich bedenklich sind."

Nach dem Modell, das Gesundheitsminister Philipp Rösler (FDP) vorgelegt hat, steigt der einheitliche Krankenversicherungsbeitrag 2011 von 14,9 auf 15,5 Prozent vom Bruttoeinkommen. Der monatliche Zusatzbeitrag , der bei einigen Kassen schon heute zwischen acht und 37,50 Euro beträgt, darf dann zwei Prozent des Bruttoeinkommens betragen. Ist er höher, bekommt der Versicherte einen Sozialausgleich.

Doch von diesem Sozialausgleich profitieren alle Kassen, nicht nur die, die aus Finanznot einen Zusatzbeitrag erheben müssen. So bekämen Kassen beispielsweise für Arbeitslosengeld-II-Empfänger einen durchschnittlichen Zusatzbeitrag erstattet, obwohl sie möglicherweise gar keinen Zusatzbeitrag erheben. "Damit werden einige gesetzliche Krankenkassen subventioniert. Geld aus dem Gesundheitsfonds wird zweckentfremdet. Das ist eine Verzerrung des Wettbewerbs." Eine derartige Ungleichbehandlung sei verfassungsrechtlci bedenklich.

So soll der Sozialausgleich funktionieren: Ein Angestellter verdient beispielsweise 1000 Euro im Monat und zahlt 82 Euro in die Krankenkasse (8,2 Prozent - 7,3 Prozent zahlt der Arbeitgeber). Wenn der durchschnittliche Zusatzbeitrag 25 Euro beträgt, würde das fünf Euro über seiner Belastungsgrenze von 20 Euro liegen (zwei Prozent vom Einkommen). Anstatt 82 werden ihm dann künftig nur 77 Euro vom Arbeitgeber für die Krankenversicherung abgezogen. Mit den 25 Euro Zusatzbeitrag zahlt er dann insgesamt 102 Euro statt 107 ohne Sozialausgleich.

Kassenchefin Fischer rechnet hoch: "Schon bei 20 Euro Zusatzbeitrag müsste ein Drittel der gesetzlich Krankenversicherten einen Sozialausgleich bekommen." Experten rechnen damit, dass bei einem moderaten Kostenanstieg im Gesundheitswesen von zwei Prozent im Jahr in 15 Jahren alle gesetzlich Versicherten einen Sozialausgleich bekämen - ein Albtraum für die Politik, die Angestellten und ihre Arbeitgeber. "Selbst in der Schweiz erhalten 40 Prozent der Versicherten einen Sozialausgleich", sagte Fischer.

Das bürokratische Ausmaß des neuen Zusatzbeitrags wird die deutschen Unternehmen erheblich belasten. "Die Arbeitgeber wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt. Sie müssten eigentlich aufheulen", sagt Fischer. Im Gesundheitsausschuss des Bundestages warnte allerdings auch der Experte der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände, Volker Hansen, die Bundesregierung: Die Gesundheitsreform dürfe die 3,5 Millionen Betriebe in Deutschland nicht mit einem Verwaltungsaufwand belasten. Der Zentralverband des Deutschen Handwerks erklärte im Ausschuss, er rechne mit einer erheblichen Belastung durch die Abwicklung der Zusatzbeiträge und des Sozialausgleichs. Auch das Bundesversicherungsamt hat erhebliche Bedenken, ob der Sozialausgleich fehlerfrei funktioniert.

Viele Kassen fürchten, dass ihre Versicherten den Zusatzbeitrag einfach nicht zahlen. Das hätte für alle Beteiligten Konsequenzen, wie Barmer-GEK-Chefin Fischer sagt: "Zahlt der Versicherte den Zusatzbeitrag nicht, wird ein Mahnverfahren eingeleitet. Der Sozialausgleich wird gestrichen. Wir als Kasse müssen den Versicherten beim Arbeitgeber anschwärzen, dass er seinen Zusatzbeitrag nicht zahlt."

Dagegen werden auch die Datenschützer Sturm laufen. Die Bürokratiekosten der Krankenkassen drohen ebenfalls zu steigen. Die Deutsche Rentenversicherung hat bei 20 Millionen Rentnern Schwierigkeiten, den Überblick zu behalten, wer welche Renten bezieht und sonstige Einnahmen hat, die krankenversicherungspflichtig sind.

Wie genau der Sozialausgleich zwischen Arbeitgeber oder Rentenversicherung, Krankenkasse und Versicherten abläuft, ist selbst den Beteiligten noch ein Rätsel. Derzeit zeigt der eine mit dem Finger auf den anderen. Motto: Der macht's.

Die steigenden Zusatzbeiträge bei den gesetzlichen Kassen werden laut Fischer vor allem dazu führen, dass die Privatversicherer gestärkt werden. Das sei offenbar politisch gewollt: "Die Bundesregierung begünstigt die privaten Krankenversicherungen. Die Wechselfrist zu den Privaten wird verkürzt, die gesetzlichen Kassen werden geschwächt. Durch finanzkräftige Wechsler in die PKV fehlen den gesetzlichen Kassen in den nächsten Jahren 1,3 Milliarden Euro." Dadurch werde das gesamte Gesundheitssystem wesentlich instabiler.