Christian Wulff und Joachim Gauck konkurrieren um den Job als erster Mann im Staate. Die Kandidaten im Abendblatt-Test.

Politische Erfahrung

Wulff: Christian Wulff haben vier Landtagswahlkämpfe in Niedersachsen gestählt, darunter zwei herbe Niederlagen gegen den späteren Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD). Er kennt die Regeln des Geschäfts aus dem Effeff und weiß, dass öffentlicher Gegenwind keine Katastrophe sein muss. Darin unterscheidet er sich von dem empfindlichen Horst Köhler. Auch in schwierigen Debatten bleibt er immer souverän. Mit dem Sammelsurium an Themen, das von Schloss Bellevue aus zu beachten ist, dürfte Wulff keinerlei Probleme haben. Er ist ein absoluter Profi, auch was seine Auftritte betrifft.

Gauck: Joachim Gauck ist kein Profi im Politgeschäft. Er hat nie Parteikarriere gemacht, auch wenn er für die Grünen mal in der DDR-Volkskammer saß. Gauck ist keiner, der sich anschließt: Er trat weder den Jungen Pionieren bei noch der FDJ. Dennoch ist eine politische Haltung seit Kindheitstagen für sein Leben charakteristisch: gegen die Diktatur - für die Freiheit. Er hat zu vielen gesellschaftlichen Themen etwas zu sagen. Und: Auch große Apparate kann er führen. Er war lange Jahre der Chef der nach ihm benannten Behörde, die das Unrecht des DDR-Regimes wissenschaftlich aufbereitet.

Akzeptanz

Wulff: Im schwarz-gelben Lager der Bundesversammlung dürfte Wulff sich großer Akzeptanz erfreuen: In der CDU gehört er zu den wenigen herausragenden Persönlichkeiten, die es neben Angela Merkel noch gibt. In der FDP schätzt man ihn für die erfolgreiche Zusammenarbeit in Hannover. Und in der CSU ist man froh, dass nicht die progressivere Ursula von der Leyen Kandidatin wurde. Im Lager der Opposition ist Wulff dagegen als Parteipolitiker keine Alternative zum unabhängigen Denker Gauck. Bei den Menschen genießt Wulff dennoch Anerkennung. Seine Beliebtheitswerte sind gut.

Gauck: Als "Herr über die Stasi-Akten" wurde Gauck von vielen bewundert - und von seinen Gegnern gehasst. Für die einen ist er eine "moralische Instanz", die anderen kritisieren ihn als "politischen Missionar". Sie nennen ihn "Bruder Unerbittlich". Auch mit den Ostdeutschen ging Gauck ins Gericht, wenn sie über neue Erfahrungen im vereinten Deutschland wie die Arbeitslosigkeit klagten. "Wir träumten vom Paradies und wachten auf in Nordrhein-Westfalen", sagte er am 9. November 1999. Für seinen Einsatz für demokratisches Denken erhielt er unter anderem den Hannah-Arendt-Preis.

Unabhängigkeit

Wulff: Als unabhängiger Geist hat sich Christian Wulff nie in Szene gesetzt. Ein Querdenker à la Heiner Geißler war er nicht - und wollte er auch nicht sein. Ebenso wenig dürfte Wulff versuchen, als Präsident der Koalition durch permanente kritische Einwürfe das Leben noch schwerer zu machen, als es ohnehin schon ist. Trotzdem hat er seinen eigenen Kopf - der Ministerpräsident sieht manche Entwicklung in der Union und dem Berliner Bündnis durchaus kritisch. Wenn ihm etwas wirklich wichtig ist, könnte er in seinem neuen Amt versucht sein, das auch laut zu sagen. Denn dafür ist es da.

Gauck: Gauck nennt sich "links, liberal, konservativ" und kann sich so mit gutem Grund als Kandidat "aus der Mitte der Bevölkerung" bezeichnen. Es war ein cleverer Schachzug von SPD und Grünen, ihn zu engagieren: Tatsächlich hat er gerade auch in der Union viele Freunde. Es war und ist der antikommunistische Konsens, der Gauck mit den Konservativen verbindet. 1999 wollte die CSU ihn sogar als Gegenkandidaten von Johannes Rau (SPD) aufstellen. Manche Schwarz-Gelb-Vertreter in der Bundesversammlung könnten versucht sein, ihm wider die Parteidisziplin ihre Stimme zu geben.

Charisma

Wulff: Als Christian Wulff im Alter von 33 das erste Mal gegen Gerhard Schröder antrat, wurde ihm in Niedersachsen allenfalls der Charme eines Konfirmanden attestiert. Doch der gebürtige Osnabrücker ist längst zum Politiker zum Anfassen gereift. Das Glatte, das auch in der eigenen Partei manchen störte, versucht Wulff zu überspielen. Er hat im positiven Sinne die Ausstrahlung eines Macher-Typen. Allerdings ist Wulff in all den Jahren nicht zu einem überragenden Redner gewachsen, der Zuhörer mit seinen Auftritten regelrecht in den Bann ziehen könnte. Hier hat er noch Entwicklungspotenzial.

Gauck: Gauck ist ein begabter Redner - das konnte sich der Kapitänssohn viele Jahre als Pfarrer in den Gottesdiensten antrainieren. Nach seinen regimekritischen Predigten gingen im Herbst 1989 die Rostocker zur Demonstration in die Innenstadt. Er führte die Proteste auf der Straße an. Gauck weiß, wie man Menschen aller Generationen gewinnen kann. Er ist leidenschaftlicher Diskutant - und jemand, der sich dabei gerne zuhört. Gauck eckt an, er kann Menschen begeistern und er findet auch versöhnliche Worte. Vielleicht ist diese scharfe Rhetorik der größte Vorteil gegenüber Wulff.

Verhältnis zur Kanzlerin

Wulff: Angela Merkel dürfte Zeit brauchen, um sich an Wulff im Schloss Bellevue zu gewöhnen. Ganz über den Weg getraut hat die Kanzlerin ihm nie. Wulff hat sich darüber manchmal beklagt. Wenn Probleme aufkommen, wird der Umgang miteinander eher professionell als vertraut sein. Merkel witterte bei ihm immer Illoyalität, oft auch unberechtigt. Dass sich beide miteinander arrangieren, ist aber anzunehmen. Man kennt sich eben und weiß, was man voneinander erwarten kann - und was nicht.

Gauck: Als Gauck Anfang dieses Jahres seinen 70. Geburtstag feierte, ehrte Merkel ihn als "Demokratielehrer" und würdigte sein Engagement bei der Aufarbeitung des SED-Unrechts mit herzlichen Worten. Nicht für jeden hat die Kanzlerin solche Grußadressen parat, man fühlt sich freundschaftlich miteinander verbunden. "Wir mögen uns, aber wir sagen Sie zueinander", sagt Gauck. Und weiß: Er könnte auch ihr Kandidat sein, wenn es die Machtgesetze der Parteiendemokratie nicht gäbe. Nun gehen beide vorsichtig auf Distanz.