Der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion über die Koalition, die Grenzen des Sozialstaats und schwarz-grüne Überlegungen.

Berlin. Hamburger Abendblatt: Wie viele Krisengespräche müssen Angela Merkel, Guido Westerwelle und Horst Seehofer noch führen, bis die schwarz-gelbe Koalition anfängt, das Land ordentlich zu regieren?

Volker Kauder: Gespräche der drei Parteivorsitzenden wird es alle vier bis sechs Wochen geben. Das hat mit Krise nichts zu tun. Wir haben in den ersten Monaten einiges bewegt ...

Abendblatt:... und viel gestritten.

Kauder: Die Bürger wurden zu Jahresbeginn unter anderem durch die Erhöhung des Kindergelds um 21 Milliarden Euro entlastet. Wir haben nun Einigkeit über die schwierige Anpassung der Solarförderung. An diesem Freitag konnten wir im Bundestag die neue Afghanistan-Strategie verabschieden. Wir müssen nun aber weiter Tatkraft zeigen. Das ist richtig.

Abendblatt: Die Kanzlerin hat ihren Stellvertreter wegen seiner schrillen Töne in der Sozialstaatsdebatte zurechtgewiesen. Glauben Sie, Westerwelle nimmt sich nun zurück?

Kauder: Wichtig ist: Diese Regierungskoalition muss sich als gemeinsames Projekt mit gemeinsamen Zielen verstehen und nicht nur als die Summe von drei Parteien.

Abendblatt: Ist vor allem Westerwelle verantwortlich für das schlechte Erscheinungsbild der Regierung?

Kauder: Ich rate allen in der Koalition, sich am Riemen zu reißen. Unser Erscheinungsbild muss besser werden. Jeder muss wissen: Wenn wir nicht Geschlossenheit zeigen, leiden alle darunter. Das zeigt übrigens das Schicksal der SPD.

Abendblatt: Inwiefern?

Kauder: Die SPD wusste in der großen Koalition nie, ob sie Regierungspartner oder Oppositionspartei sein will. Sie hat sich nie richtig zu der Koalition bekannt. Das hat den Sozialdemokraten bei der Wahl schwer geschadet.

Abendblatt: Ist Westerwelle noch nicht richtig angekommen in der Regierung?

Kauder : Guido Westerwelle bemüht sich um konstruktive Lösungen.

Abendblatt: Sind seine Thesen zum Sozialstaat konstruktiv?

Kauder : Guido Westerwelles Kernaussage deckt sich mit der Politik der Unionsparteien: Leistung muss sich lohnen.

Abendblatt: Sind die Anreize, eine Arbeit aufzunehmen, in Deutschland zu gering?

Kauder: Der entscheidende Anreiz ist, dass sich ehrliche Arbeit wirklich lohnen muss. Wer arbeitet, muss mehr haben, als wenn er nicht arbeitet. Und wer ein Arbeitsangebot ablehnt, dem muss der Regelsatz gekürzt werden, wie es das Gesetz vorsieht.

Abendblatt: Eine Verschärfung der Sanktionen halten Sie nicht für erforderlich?

Kauder: Schärfere Sanktionen als die bestehenden sind in einem Sozialstaat nicht möglich. Allerdings muss der Vollzug des Gesetzes besser werden. Zwischen den einzelnen Bundesländern gibt es große Unterschiede. In Bayern wird der Regelsatz eher gekürzt als in Bremen.

Abendblatt: Was folgt daraus?

Kauder: Vor allem bei jungen Menschen müssen Sanktionen klar durchgezogen werden - und zwar in ihrem eigenen Interesse. Ein 25-Jähriger, der zwei Jahre nicht gearbeitet hat, fügt sich schwer in den Arbeitsprozess ein. Die Arbeitsagenturen und Kommunen in allen Bundesländern sind aufgerufen, nicht nur zu fördern, sondern auch zu fordern.

Abendblatt: Sind die Hartz-IV-Regelsätze zu hoch?

Kauder: Das Bundesverfassungsgericht hat nicht die Höhe der Regelsätze beanstandet, sondern mangelnde Transparenz bei der Berechnung. Wir werden ein Verfahren entwickeln, das sich an einer neuen Studie des Statistischen Bundesamts orientiert. Die Zahlen liegen aber erst im September vor.

Abendblatt: Was bedeutet das für Kinder?

Kauder: Wir müssen ein System entwickeln, das Hilfe zum Lebensunterhalt und Hilfe in besonderen Lebenslagen bietet. Eine Klassenfahrt macht ein Kind einmal im Jahr. Die Konfirmation kommt einmal im Leben. Leistungen für solche Ereignisse sollten aus dem Regelsatz herausgerechnet werden. Für diese besonderen Ereignisse kann es aber einen Gutschein geben.

Abendblatt: Wird der Staat künftig mehr für Hartz IV ausgeben?

Kauder: Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Ausgaben sinken. Es geht nicht nur um die Existenzsicherung. Wir müssen Perspektiven für den Aufstieg geben. Die Kinder müssen raus aus Hartz IV. Das ist eine zentrale Aufgabe der Politik, die bisher noch zu wenig beachtet worden ist. Der Staat könnte daher auch den Nachhilfe- oder Musikunterricht über Gutscheine fördern.

Abendblatt: Was ist verwerflicher: Missbrauch von Hartz IV oder Steuerhinterziehung?

Kauder: Beides ist gleich verwerflich. Beides verstößt nicht nur gegen staatliche Gesetze, sondern auch gegen die Solidarität mit denjenigen, die Steuern zahlen.

Abendblatt: Der Staat hat sich entschlossen, Daten von Steuersündern zu kaufen. Würden Sie auch Daten von Bürgern erwerben, die missbräuchlich Hartz IV beziehen?

Kauder: Ich habe mit dem Kauf von Daten, die unrechtmäßig erworben wurden, bekanntlich meine Probleme. Das gilt für Steuersünder wie für Hartz-IV-Betrüger.

Abendblatt: Werden Steuersünder hart genug bestraft?

Kauder: Härtere Strafen würden nicht viel bringen. Wir sollten allerdings mehr auf die Banken und deren Mitarbeiter achten, die sich an Steuerhinterziehung beteiligen. In einigen Fällen haben deutsche Banken mitgeholfen, Schwarzgeld ins Ausland zu bringen. Vor allem muss endlich die Schweiz einsehen, dass sie so nicht weitermachen kann. Sie muss zu einem internationalen Steuerabkommen bereit sein.

Abendblatt: Und wenn nicht, schicken Sie die Kavallerie?

Kauder: Ich will keine Attacke gegen die Schweiz reiten wie Peer Steinbrück. Aber ein Rechtsstaat darf sich nicht am Unrecht der Steuerhinterziehung beteiligen. Die Schweizer sollten nicht ihren Status als ehrenwerte Bankiers verspielen.

Abendblatt: Steuersünder, die sich selbst anzeigen, gehen in Deutschland straffrei aus. Kann es dabei bleiben?

Kauder: Meine Überlegungen sind noch nicht abgeschlossen. Es gibt durchaus Auffassungen, dass das Privileg dazu führen kann, dass der Staat an das Geld kommt, das ihm zusteht. Andererseits: Die Straffreiheit hat bisher auch nicht dazu geführt, dass Leute ihr Schwarzgeld massenhaft angezeigt hätten. Die Wirkung der Vorschrift scheint mir nicht sehr nachhaltig zu sein.

Abendblatt: Sind Sie sicher, dass es die Union in einer Koalition mit den Grünen schwerer hätte als mit der FDP?

Kauder: Diese Frage stellt sich für mich nicht. Wir haben mit der FDP unsere Wunschkoalition geschlossen. Mit den Grünen sehe ich kaum Gemeinsamkeiten auf dem zentralen Feld der Energiepolitik.

Abendblatt: Inzwischen wird der Atomausstieg doch auch von CDU-Umweltminister Röttgen betrieben ...

Kauder: Wir haben in der Koalitionsvereinbarung den Einstieg in das Zeitalter der erneuerbaren Energien festgelegt. Die Kernenergie ist eine Brückentechnologie. Im September stellt die Bundesregierung ein energiepolitisches Gesamtkonzept vor. Es wird Auskunft geben, wie lang die Brücke sein muss. Bis dahin sollten sich alle mit Angaben über Laufzeiten von Atomkraftwerken zurückhalten.

Abendblatt: Sind Schwarz-Grün in Hamburg und Jamaika im Saarland abschreckende Beispiele?

Kauder: Wir sollten alles daran setzen, die Koalition aus CDU/CSU und FDP nach der Bundestagswahl 2013 fortführen zu können. Die Liberalen sind für uns der ideale Partner. Ich kann nicht erkennen, das Schwarz-Grün für das Land sinnvoller wäre als Schwarz-Gelb.

Abendblatt: Was würde Schwarz-Grün in Nordrhein-Westfalen bedeuten?

Kauder: Eine erhebliche Einschränkung unserer Handlungsfähigkeit. Die schwarz-gelbe Mehrheit im Bundesrat ginge verloren.

Abendblatt: NRW-Ministerpräsident Rüttgers ist in der Sponsoren-Affäre in Bedrängnis geraten. Wie wirkt sich das auf die Wahlchancen der CDU aus?

Kauder: Schön sind die Vorgänge wahrlich nicht. Aber die Menschen werden danach urteilen, welche Koalition das Land weiterbringt. Die schwarz-gelbe Regierung von Jürgen Rüttgers hat alle Chancen, im Mai die Landtagswahl zu gewinnen.

Abendblatt: Die CDU hat Unternehmern für mehrere Tausend Euro vertrauliche Gespräche mit Rüttgers auf dem Landesparteitag angeboten. Wundern Sie sich, wenn der Eindruck entsteht, Politik sei käuflich?

Kauder: Ministerpräsident Rüttgers hat in den letzten vier Jahren nicht den Eindruck gemacht, als ob er nicht für jeden zu sprechen wäre. Richtig ist, dass die Werbebriefe des Generalsekretärs selten dämlich waren.

Abendblatt: Rüttgers behauptet, er habe von den Werbebriefen seines Landesverbands nichts gewusst. Dabei gibt es das Sponsorenmodell seit vielen Jahren. Glauben Sie ihm?

Kauder: Ich glaube Jürgen Rüttgers. Er wird diesen Sturm unbeschadet überstehen.