Bundestag lehnt Antrag gegen die rechtsextreme Partei vor dem Bundesverfassungsgericht ab. Oppositionsparteien attackieren sich gegenseitig

Berlin. Derart unangenehme Stunden im Parlament hatten sich SPD und Grüne sicher nicht ausgemalt, damals im Dezember, als die Innenminister der Länder einstimmig für einen NPD-Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht plädierten und die Ministerpräsidenten dem Votum folgten. Knapp fünf Monate danach lag die rot-grüne Opposition im Bundestag nicht mit der Regierungskoalition, sondern mit sich selbst im Clinch. Und Union und FDP als Gegner eines eigenen Bundestagsantrags in Karlsruhe schauten ungerührt dabei zu.

Was war nur geschehen? Man hatte in den Tagen vor der Bundestagsentscheidung beobachten können, wie von Tag zu Tag der grüne Zorn auf die Sozialdemokraten anschwoll und am Donnerstagmorgen in einer Abrechnung von Fraktionschefin Renate Künast mit ihrem Wunschkoalitionspartner mündete. Der Hauptvorwurf: Der von der SPD im Alleingang ausgearbeitete Verbotsantrag sei vorher nicht mit den anderen Fraktionen besprochen worden. Die SPD habe diesen „Show-Antrag“ viel zu schnell zur Abstimmung gestellt – in einem „Hauruck-Verfahren“, wie Künast bemängelte.

Aus der einst gemeinsamen, unmissverständlichen Linie von SPD und Grünen, dass die NPD verboten gehört, hatte sich eine Auseinandersetzung entwickelt, die mit der eigentlichen Sache nicht mehr viel zu tun hatte. Längst ging es um die Frage, wie professionell man als Opposition agieren soll, wie eng man sich abstimmen muss, wie geschlossen man im Parlament als ein Lager auftreten will. Es war dieses Maß an strategischer Uneinigkeit, das diesen Tag im Parlament für SPD und Grüne zur Qual machte.

Dass die Verbotsgegner von Schwarz-Gelb eine Mehrheit erlangen würden, war vor der Abstimmung klar gewesen und das Ergebnis am Ende keine Überraschung. Die Koalition sieht in der rechtsextremen Partei keine ernsthafte Gefahr mehr. Seit Monaten verweisen die Innenpolitiker auf die finanziellen Sorgen der NPD. Und sie argumentieren, dass man politischen Rechtsextremismus anders bekämpfen müsse, als ihn durch ein jahrelanges Verfahren beim höchsten Gericht womöglich noch aufzuwerten.

Unions-Fraktionsvize Günter Krings führte im Plenum noch mehr Argumente gegen das Verbotsverfahren ins Feld. So verfüge der Bundestag über keine eigenen nachrichtendienstlichen Erkenntnisse, sondern sei hierbei abhängig von der Bundesregierung, die bekanntlich den eigenen Gang nach Karlsruhe abgelehnt hatte. Krings warnte vor einer „verfassungspolitischen Mutprobe“. Damit war auch der interne rot-grüne Konflikt im Plenum in seinen Grundzügen beschrieben. Die beiden Parteien, die in fünf Monaten Schwarz-Gelb ablösen wollen, lieferten sich einen Schlagabtausch, als ob sich Regierung und Opposition gegenüberstünden.

Der Bundesrat bleibt mit seinem neuen NPD-Verbotsantrag allein

Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, knöpfte sich Künast vor. Das Wort des „Show-Antrags“ und die Ankündigung der Grünen, sich bei der Abstimmung zu enthalten, konnte er schwerlich akzeptieren. Es möge „unangenehm“ sein, jetzt Farbe bekennen zu müssen, sagte er in Richtung Grüne. Aber jetzt sei die Zeit zu entscheiden. Dieser sei „eine Angelegenheit von ganz, ganz großer Ernsthaftigkeit“.

Volker Beck, parlamentarischer Geschäftsführer der Grünen, stellte klar: Alle Mitglieder seiner Fraktion würden zu gern sehen, dass es die NPD nicht mehr gäbe. Aber er finde es „wirklich bedauerlich, Kollege Oppermann“, dass man nicht die Chance bekommen habe, sich in den Ausschüssen anzunähern. Er sehe jedenfalls nicht, dass man die Sache seriös diskutiert habe. „Ich verstehe nicht den Sinn darin, einen Antrag zu stellen, von dem man weiß, dass er keine Mehrheit findet“, sagte er und hielt der SPD einen Überbietungswettbewerb vor: „Wer kommt am höchsten aufs antifaschistische Treppchen?“

Zwar verzichtete der aus Hannover angereiste Boris Pistorius (SPD) als Vorsitzender der Innenministerkonferenz auf Angriffe auf die Grünen, aber auch er wurde deutlich: „Schließen Sie sich dem Antrag an. Wir schulden es den Opfern rechtsextremistischer Gewalt.“ Es half nicht. Nach der Abstimmung setzte sich der rot-grüne Konflikt stattdessen im Kurznachrichtendienst Twitter fort. SPD-Fraktionsvize Ulrich Kelber nannte die Beck-Rede „unverschämt“. Man habe seit Monaten um Entscheidung gebeten. „Nix ist passiert.“ Irgendwann müsse ein Parlament abstimmen.

„Peinlich!“, twitterte der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, über Beck. Dieser reagierte prompt: „Machen die Seeheimer Wahlkampf gegen die Grünen? Ziel: Große Koalition?“ Kahrs’ auf unter 140 Zeichen gequetschte Antwort: „ne,wir sind für rot/grün.deine peinliche rede gegen npd verbot riecht nach schwarz/grün. gespaltene grüne partei.“ Das war nur ein Ausschnitt aus den rot-grünen Kabbeleien. Jedoch, was es bedeutet, dass die Länder nun allein zum Bundesverfassungsgericht gehen, darüber entzündete sich keine Debatte.

Bleibt es beim ursprünglichen Plan, werden die Bundesländer ihren Antrag zum NPD-Verbot bis Ende Juni in Karlsruhe einreichen. Im Dezember, als sie ihr Vorgehen beschlossen, hofften sie noch, dass ein weiteres Verfassungsorgan den gleichen Weg geht. Karlsruhe wird bei diesem zweiten Anlauf für ein NPD-Verbot eine Menge Zeit brauchen.