Experten verlangen Änderungen, Länder und Bundestag gehen auf Konfrontationskurs. Doch Verkehrsminister Ramsauer verteidigt Reform.

Goslar. Der Berg an Aufgaben ist riesig, der Countdown zur Bundestagswahl unerbittlich: Die Reform des Punktesystems für Verkehrssünder droht auf der Zielgeraden zu scheitern. Der Verkehrsgerichtstag, eine Tagung von knapp 2.000 Fachleuten im niedersächsischen Goslar, gab Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) am Freitag viele Fragen und noch mehr Forderungen mit auf den Weg. Auch die Bundesländer verlangen Änderungen, im Bundestag gibt es selbst in den Reihen der schwarz-gelben Koalition Kritik. Nur eine Polizeigewerkschaft rügte die Blockade. Ein Sprecher Ramsauers beschwichtigte indes: Es sei „nichts gegen die Wand gefahren“.

Die Experten in Goslar waren sich beinahe geschlossen einig – die Reform des Punktesystems für Verkehrssünder dürfe in ihrer bislang geplanten Fassung nicht kommen. So bemerkten zahlreiche Teilnehmer des Verkehrsgerichtstages, dass Ramsauers vor einem Jahr vorgelegten Eckpunkte besser seien als jene abgeänderten Vorschläge, die vom Bundeskabinett im Dezember beschlossen worden waren. Fraglich fanden sie, ob es erforderlich ist, die bisherige Obergrenze von 18 Punkten aufzugeben. Laut den Plänen der Regierung soll künftig schon ab acht Punkten der Führerschein weg sein.

Selbst Fachleute finden das neue System zu kompliziert

Dafür sollen aber für weniger gravierende Vergehen keine Punkte mehr vergeben werden. Auch dies wurde von den Experten in Goslar kritisiert. Außerdem mahnten sie an, dass der Gesetzentwurf das Punktesystem nicht wie geplant vereinfacht. Für alle Beteiligten sei es „nach wie vor intransparent“. So wird nach Meinung der Fachleute nicht deutlich genug, ab wann die Punkte offiziell zählen. Ihrem Willen nach soll dies ab dem Tag der Rechtskraft sein, der Gesetzentwurf nennt dafür hingegen den Tag der Tat.

Die Meinungen und Vorschläge des Gerichtstages sind nicht bindend, sie liefern Politikern und Ministerien aber ein breites Stimmungsbild anwesender Automobilclubs, Anwälte und Behördenvertreter. Nicht nachzuvollziehen fanden diese Experten, warum es künftig keine Seminare mehr geben soll, mit denen Sünder ihre Punkte abbauen können.

Auch die Länder hatten kürzlich einen grundlegenden Bedarf an Änderungen des Gesetzentwurfs angemahnt, wie aus einer Beschlussempfehlung zweier Ausschüsse des Bundesrates hervorgeht. Die Länder fordern darin, Verkehrssünder sollten pro Tat entweder ein oder zwei Punkte aufgebrummt bekommen. Ramsauers Entwurf sieht auch drei Punkte für besonders schlimme Vergehen vor. Ein Beschluss von Bundestag und Bundesrat vor der Wahl im Herbst wird angesichts der wachsenden Kritik immer unwahrscheinlicher – eine Entscheidung des Bundesrates im Plenum steht allerdings noch aus und wird voraussichtlich am 1. Februar fallen.

Trotz der Kritik hält Ramsauer an seinen Plänen fest. Ein Sprecher sagte in Berlin, das Vorhaben sei gerade am Anfang des parlamentarischen Verfahrens. Er bekräftigte, das neue Punktesystem werde durch Ramsauers Reform „einfacher, transparenter und gerechter“, zudem werde es „verschlankt und entrümpelt“.

Auch Politiker im Bundestag mäkeln

In die Riege der Kritiker reihten sich dennoch Fachpolitiker aus dem Bundestag ein. In der Zeitung „Die Welt“ forderte der verkehrspolitische Sprecher der FDP, Oliver Luksic, Seminare zum Abbauen von Punkten müssten „auf jeden Fall beibehalten“ werden. Auch sein Kollege von den Grünen, Stephan Kühn, sah es als Fehler, die Seminare zu streichen. Sören Bartol von der SPD kritisierte, Ramsauer habe „seine Hausaufgaben nicht gemacht“.

Dagegen bedauerte der Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, Rainer Wendt, dass die Punktereform in derart schweres Fahrwasser geraten ist. Sie sei vom politischen Gegner und den Ländern „zerschossen“ worden. Nun wollten Politiker wohl mit dem Thema Wahlkampf machen.