Experten kritisieren neue Regeln für Verkehrssünder. Hamburg will sich dafür einsetzen, dass Strafen künftig nicht so schnell verjähren.

Hamburg/Goslar. Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) wollte eine ausgiebige Diskussion zur Reform des Flensburger Punktesystems für Verkehrssünder - spätestens jetzt hat er sie. Gerade steht das Konzept beim Verkehrsgerichtstag in Goslar im Kreuzfeuer. Wohl am 1. Februar kommt es dann erstmals in den Bundesrat. In der Länderkammer, die am Ende zustimmen muss, formiert sich Widerstand. In Kraft treten sollen die neuen Regeln voraussichtlich 2014.

"Einfacher, gerechter und transparenter" soll das System werden, lautet ein Ziel. Konzentration auf Verstöße, die für die Sicherheit wirklich relevant sind, heißt ein anderes. Statt der bisherigen Skala von 1 bis 7 Punkten soll es nur noch drei Kategorien geben: je nach Schwere des Vergehens 1, 2 oder 3 Punkte. Dafür soll der Führerschein schon nach 8 statt nach 18 Punkten entzogen werden. Punkte sollen zudem jeweils separat verjähren, aber auch länger gespeichert werden.

Unter den Ländern zeichnet sich scharfe Kritik an den Plänen des Bundes ab. "Grundlegenden Änderungsbedarf" in mehreren Aspekten melden die Bundesratsausschüsse für Verkehr und Inneres an. Beanstandet wird etwa, dass Ramsauer als Reaktion auf Bürger-Anregungen im Internet von seinem ursprünglichen Plan abrückte, für Delikte nur ein oder zwei Punkte je nach Schwere zu vergeben. "Die mit drei Punkten bewerteten Straftaten führen ohnehin zum Entzug der Fahrerlaubnis", argumentieren die beiden Ausschüsse in ihren Empfehlungen. Aus der Hamburger Innenbehörde heißt es, man wolle, dass die Strafpunkte nicht schon nach zwei Jahren gelöscht werden. Der Verkehrsclub Deutschland (VCD) merkte zur separaten Verjährung der Punkte kritisch an: "Das könnte dazu führen, dass notorische Schnellfahrer, die gut rechnen können, zukünftig noch riskanter fahren." Bisher verhindert jede neue Tat, dass erfasste Punkte verschwinden. Allerdings kann man heute mit Nachschulungen Punkte abbauen.

Siegfried Brockmann von der Unfallforschung deutscher Versicherer (UDV) bemängelte im Deutschlandfunk anlässlich des Verkehrsgerichtstages in Goslar, die Reform gehe an notorischen Rasern vorbei. Das Ziel müsse doch sein, deutlich mehr Fahrerlaubnisse zu entziehen. Deutschland habe eine verschwindend geringe Entzugsquote. Er plädierte für mehr Videoüberwachung des Verkehrs und mehr polizeiliche Zivilfahrzeuge auf den Straßen.

Die Hamburger Anwältin und Verkehrsrechtsexpertin Daniela Mielchen kritisierte ebenfalls die Reform der Verkehrssünderdatei: "Der tägliche Fahrer wird benachteiligt", sagte sie dem Abendblatt. Der Anstieg der Bußgelder von 50 bis 70 Prozent stehe in keinem Verhältnis zu den Zielen der Reform. "Bei sechs Punkten soll man künftig schon ein Verkehrsseminar machen, aber die Kosten dafür steigen von 200 auf 600 Euro. Das wird viele sozial Schwache empfindlich treffen. Und man kann in Zukunft mit einem Seminar keine Punkte mehr abbauen."

Berufskraftfahrer mit 1100 Euro netto könnten sich erstens die Seminare nicht mehr leisten, und Punkte könnten sie nach Ramsauers Reform auch nicht mehr schneller abbauen. Mielchen sagte, sie hoffe, dass der Bundesrat Teile von Ramsauers Reform kassiert.

Der Tagungspräsident des Verkehrsgerichtstages, der ehemalige Generalbundesanwalt Kay Nehm, nannte Ramsauers Gesetzentwurf enttäuschend. Nehm sagte, das ursprünglich plausible Konzept von Ramsauer sei aus "vordergründig populistischen Motiven" in eine Schieflage geraten. Der Kongress mit Behördenvertretern, Anwälten und Verkehrsexperten will nun mit neuen Vorschlägen die Reform retten. Einige Fachleute befürchten zum Beispiel, dass Verkehrssünder in Zukunft nicht mehr erkennen können, wie viele Punkte sie auf dem Konto haben. Noch ist unklar, ob der Tag der Tat oder der Tag der Rechtskraft als Stichtag für den Eintrag gelten wird.

Der ADAC kritisierte vor allem, dass durch die Punktereform die Bußgelder steigen sollen. Außerdem meint der Automobilclub, dass das begleitete Autofahren für Minderjährige nicht zur Pflicht werden solle. Der Führerschein mit 17 Jahren sei ein Erfolgskonzept. Aber den Fahranfängern solle die Freiheit bleiben, mit 18 Jahren und ohne Begleitung durch erfahrenere Beifahrer zu fahren. ADAC-Vizepräsident Ulrich Klaus Becker wünschte sich, dass die Fahrausbildung in zwei Phasen gegliedert wird. So sollten junge Fahrer nach einer bestandenen Prüfung erneut Fahrstunden und Sicherheitstrainings absolvieren. Die Forderung nach Kontrollfahrten und verpflichtenden Trainings wird auch vom Automobilclub von Deutschland (AvD) unterstützt. Der Auto Club Europa (ACE) lehnt dies ab, weil so die Fahrausbildung verteuert werde. Fachleute drängen aber auf Neuerungen zur Erlangung des Führerscheins, um etwas gegen die hohen Unfallzahlen junger Fahrer zu tun.