Trotz scharfer Kritik nach erneuter Verschiebung der Flughafen-Eröffnung legt Wowereit lediglich Aufsichtsratsvorsitz nieder.

Berlin. Frank Henkel hat sich an leisere Töne gewöhnt, seit er nicht mehr als innenpolitischer Sprecher der Berliner CDU eine rot-rote Regierung prügelt. Was der Innensenator am Montag von sich gab, ist deshalb ein deutlicher Beleg für die wohl schwerste Krise der Koalition aus SPD und CDU in der Hauptstadt seit ihrem Zustandekommen vor gut einem Jahr. "Ich bin nicht nur fassungslos, sondern auch stinksauer", beschwerte sich Henkel über die "Desinformationspolitik" um die mittlerweile vierte Verschiebung der Flughafeneröffnung. Es sei "nicht hinnehmbar, dass ich als Aufsichtsratsmitglied von einem solchen Erdbeben am Sonntagabend aus den Medien erfahre", beklagte sich Henkel und kündigte an: "Wir haben erheblichen Gesprächsbedarf."

Henkel und seine Parteifreunde argwöhnen, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) habe es unterlassen, seinen Koalitionspartner zu informieren. Zumal es Hinweise gab, dass der Flughafen-Aufsichtsratschef schon vor Weihnachten von der Verschiebung Kenntnis gehabt habe. Wowereits Sprecher Richard Meng wies dies jedoch zurück. Wowereit sei "erst über das Wochenende" informiert worden, dass der 27. Oktober 2013 als Starttermin nicht zu halten sei, sagte Senatssprecher Meng: "Das erste Signal kam am Freitag."

In der CDU werden schon länger Szenarien durchgespielt, was geschehen würde, sollte der Starttermin des wichtigsten Infrastrukturprojekts Ostdeutschland abermals platzen. Man könnte Wowereit zum Rücktritt nötigen und dann mit der sozialdemokratischen Arbeitssenatorin Dilek Kolat oder mit dem jungen SPD-Fraktionschef Raed Saleh als Regierungschef weiterregieren, lautet eine Variante. Oder man lässt das Bündnis mit der SPD gleich komplett platzen und setzt bei Neuwahlen auf Sieg. In den jüngsten Umfragen lag die CDU vor der SPD. Problematisch ist aber, dass die CDU es in der rot-schwarzen Koalition nicht geschafft hat, belastbare Bande zu den Grünen als möglichem Partner in einem neuen Senat zu knüpfen.

Deshalb setzten sich in der CDU auch die Kräfte durch, die sich gegen eine Eruption stellten. An ihrer Spitze steht wiederum Innensenator Henkel. Nach seinem Zornesausbruch am Mittag hatte der Landesvorsitzende am Nachmittag in einer 17 Minuten dauernden Telefonschaltkonferenz mit den Mitgliedern der CDU-Fraktion seine staatstragende Linie wiedergefunden. Es gebe keine Koalitionskrise, sondern nur eine Flughafenkrise, sagte Henkel. Die rot-schwarze Koalition sei mit der Verantwortung angetreten, das Flughafenprojekt erfolgreich zu Ende zu bringen. "Deshalb bleiben wir drin", sagte Henkel nach Angaben von Teilnehmern. Niemand widersprach dem CDU-Landeschef.

Die nachmittägliche Nachricht, dass Wowereit den Aufsichtsratsvorsitz des Flughafens aufgebe, nahm erst einmal etwas Druck aus dem Berliner Koalitions-Kessel. Er werde das Amt auf einer vorgezogenen Sitzung des Kontrollgremiums am 16. Januar an den brandenburgischen Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) übergeben, sagte Wowereit. Auf der Sitzung am 16. Januar solle auch über eine Neuordnung der Flughafen-Geschäftsführung beraten werden. Der brandenburgische SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Danckert sagte, der Aufsichtsrat solle künftig von einer neutralen, unabhängigen Person geführt werden, die mehr Zeit habe als ein Regierungschef.

Obwohl offiziell beteuert wurde, dass die Koalition steht, wollte in Unionskreisen niemand auf eine Fortsetzung der Zusammenarbeit mit Wowereit wetten. Viele hielten es für möglich, dass der Bürgermeister nach fast zwölf Jahren im Amt des Ärgers überdrüssig sein und zurücktreten könnte.

Parteifreunde, die mit Wowereit am Montag Kontakt hatten, sahen keine Anzeichen dafür, dass der mit Nehmerqualitäten ausgestattete Regierungschef die Brocken hinwerfen könnte. Gleichwohl wurde auch in SPD-Kreisen über einen Rücktritt Wowereits spekuliert. Der geschäftsführende Landesvorstand war zu einer Sitzung am Montagnachmittag verabredet. In der Partei fällt im Zusammenhang mit einer der - wann auch immer erforderlich werdenden - Neubesetzung im Amt des Regierungschefs auch immer wieder der Name des Landesvorsitzenden Jan Stöß. Und auch über eine Lösung von außen wird spekuliert. Dann fällt der Name Manuela Schwesig, SPD-Vizebundesvorsitzende und Sozialministerin in Mecklenburg-Vorpommern.

In der Berliner Politik bricht sich derweil enormer Unmut über die scheinbar unendliche Geschichte des Flughafens Bahn. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Frank Steffel nannte die erneute Verschiebung des BER-Starttermins "unfassbar". CDU-Fraktionschef Florian Graf sagte, er sei von den Informationen komplett überrascht worden. Der Zorn der CDU und auch des Koalitionspartners SPD richtete sich bisher weniger gegen Wowereit als gegen Flughafenchef Rainer Schwarz, den Wowereit immer gegen Rücktrittsforderungen geschützt hatte. SPD-Fraktionschef Raed Saleh sagte, die Informationspolitik der Geschäftsführung sei "sehr unprofessionell". Deshalb werde man hier zu einer "Neubewertung" kommen müssen.

Ihre Treue zu Wowereit können die Koalitionsfraktionen am Sonnabend beweisen. Denn die Grünen wollen mit Unterstützung der Piraten im Abgeordnetenhaus einen Misstrauensantrag gegen ihn stellen. Dieser soll am Donnerstag in einer Sondersitzung des Landesparlaments eingebracht und zwei Tage später abgestimmt werden. "Klaus Wowereit ist zu einer Belastung für die Stadt geworden, und er ist auch nicht mehr tragbar für die Stadt", sagte die Fraktionsvorsitzende der Grünen im Abgeordnetenhaus, Ramona Pop.