Neue Vorwürfe gegen Mediziner bei Organtransplantationen: Experten fordern harte Strafen. Union erhöht Druck auf Gesundheitsminister Bahr.

Hamburg. Die Experten sprechen mit Recht von einem neuen Organspendeskandal in Deutschland. Denn am Universitätsklinikum Leipzig hat es offenbar Manipulationen bei Lebertransplantationen gegeben (das Abendblatt berichtete). Doch wenn man die Geschichte umdreht, kann man auch von einem Erfolg der Kontrolleure reden. Nach den Affären um getürkte Wartelisten für Spenderorgane in Regensburg, Göttingen und München sind den Prüfern der Bundesärztekammer, Krankenhäuser und Krankenkassen die Leipziger Praktiken aufgefallen.

Drei Ärzte der Uniklinik sollen beurlaubt worden sein. Die Staatsanwaltschaft prüft, ob sie Ermittlungen aufnimmt. In zahlreichen Fällen, so die Bundesärztekammer, seien Patienten aus Leipzig fälschlich als Dialysepatienten ausgegeben worden, um sie auf der Warteliste für ein Organ nach oben zu bringen. Je weiter die Erkrankung fortgeschritten ist, desto besser sind die Chancen auf eine neue Leber.

Ärztekammerpräsident Prof. Frank Ulrich Montgomery spricht sich dafür aus, die Skandale restlos aufzuklären. "Alle Schummeleien müssen aufgedeckt werden", sagte er dem Abendblatt. Denn erst dadurch werde deutlich, dass Ärzte und Politik nach den Vorfällen der vergangenen Jahre gehandelt hätten. "Unsere Kontrollmechanismen scheinen zu funktionieren. Denn wir decken Unregelmäßigkeiten auf", sagte Montgomery. "Das Mehr-Augen-Prinzip in der Transplantationsmedizin kann dabei helfen, Unregelmäßigkeiten bei der Organvergabe zu verhindern. Die Fälle in Leipzig zeigen aber auch, dass die Transplantationsmedizin in Deutschland noch nie so sicher war wie im Moment."

Denn die ins Visier geratenen Fälle stammen mehrheitlich aus den Jahren 2010 und 2011. Im vergangenen Jahr sind die auffälligen Vorgänge zurückgegangen - ein Hinweis dafür, dass die verschärften Regeln manipulationswillige Ärzte abschrecken. Montgomery hofft, dass dadurch das Vertrauen der Bürger in die Organspende jetzt zurückkehre. Im Hamburger UKE hatte die unangekündigte Prüfung der Kommission keine Auffälligkeiten ergeben.

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz verlangte von der Bundesregierung schnelle Konsequenzen. Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) müsse jetzt endlich eine unabhängige Kommission aus Ärzten, Ethikern und Juristen einrichten, meinte Stiftungsvorstand Eugen Brysch. Bahr wasche seine Hände in Unschuld, niemand sei politisch verantwortlich. Eine Sprecherin von Bahrs Ministerium sagte, es gebe ja bereits unabhängige Untersuchungen bei der Organvergabe. Bahr steht politisch unter Druck, weil auch der Koalitionspartner Union eine härtere Gangart gegenüber korrupten Medizinern verlangt. Der gesundheitspolitische Sprecher der CDU, Jens Spahn, sagte: "Entweder beginnt die ärztliche Selbstverwaltung endlich eigenständig, die Dinge klar beim Namen zu nennen und aktiv zu bekämpfen, oder wir müssen eine Strafnorm schaffen, damit der Staatsanwalt aktiv wird." In der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" beklagte Spahn, dass zum Beispiel die Grenzen zwischen Zusammenarbeit und Korruption von Ärzten mit Pharmafirmen unscharf seien. "So, wie es ist, kann es jedenfalls nicht bleiben." Spahn sagte, vermutlich müsste erst einmal fünf bis zehn Ärzten die Berufserlaubnis entzogen werden, "bis bei allen die nötige Sensibilität einkehrt".

Spahn bezieht sich auf ein Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) aus dem vergangenen Juni (Az.: GSSt 2/11). Die höchsten Richter hatten in einem Hamburger Fall in letzter Instanz entschieden, dass sich ein niedergelassener Arzt nicht strafbar mache, wenn er für Geschenke von einer Pharmafirma Gegenleistungen erbringt. Ein Allgemeinmediziner hatte die Praxissoftware eines Herstellers installiert und dafür insgesamt über 10.000 Euro erhalten. Das Programm warf beim Ausstellen eines Rezeptes zuerst die Produkte der Firma aus. Das Hamburger Landgericht verurteilte den Mann und eine Pharmareferentin wegen Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr.

Der BGH entschied jedoch, dass niedergelassene Ärzte als Freiberufler kein "Amtsträger" oder "Beauftragter der Krankenkassen" sei. Allerdings verlangten die BGH-Richter, dass der Gesetzgeber eine sinnvolle Regelung für Korruption im Gesundheitswesen finden müsse.

Ärztekammer-Chef Montgomery sagte dem Abendblatt dazu, dass das ärztliche Berufsrecht nicht scharf genug sei, das Problem zu lösen. "Das Dilemma ist doch oft, dass wir gar nicht erfahren, ob solche Vereinbarungen bestehen." Trotzdem müsse man in Fällen offensichtlicher Verstöße gegen das Berufsrecht schneller zu Strafen kommen und zum Beispiel die Kassenzulassung entziehen. Auch Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) sagte dem Abendblatt, es gebe eine Regelungslücke, da weder im Berufs- oder Standesrecht noch im Sozialgesetzbuch solche Fälle mit klaren Strafen beschrieben seien. Solange die Staatsanwaltschaften keine Grundlage haben, um Ermittlungen aufzunehmen, seien auch Behörden und Ärzteorganisationen zumeist die Hände gebunden. Das betrifft auch Apotheken und Pharmalieferanten, die in die zuletzt aufgetauchten Vorwürfe von Falschabrechnungen und möglicher Bestechung verwickelt waren.

Prüfer-Storcks sprach sich dafür aus, Bonuszahlungen für Krankenhausärzte abzuschaffen, wenn sie an Fallzahlen oder bestimmte Behandlungen gekoppelt sind. Patienten müssten darauf vertrauen können, dass Ärzte ihre Entscheidungen ohne wirtschaftliche Interessen treffen.