Wegen „überlanger” Unterbringung wies Gericht die Berufung des Landes Baden-Württemberg zurück. Urteil hat „Signalcharakter” für 100 Fälle

Karlsruhe. Nun hat es auch die zweite Instanz entschieden: Das Land Baden-Württemberg muss vier früheren Sicherungsverwahrten insgesamt 240.000 Euro Schmerzensgeld für zu lange Unterbringung im Gefängnis zahlen. Das Oberlandesgericht (OLG) Karlsruhe wies am Donnerstag die Berufung des Landes gegen ein Urteil des Landgerichts Karlsruhe zurück, das den vier einstigen Sexualstraftätern am 24. April die Entschädigungssumme wegen „überlanger“ Sicherungsverwahrung zugesprochen hatte.

Die heute um die 60 Jahre alten Männer waren in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Freiburg nach Verbüßung ihrer Haftstrafen noch weitere 18 bis 22 Jahre in Sicherungsverwahrung genommen worden. Damit wurde die bei ihrer Verurteilung geltende Verwahrungshöchstfrist von zehn Jahren deutlich überschritten. Das Landgericht hatte auf den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg verwiesen, der 2009 die Praxis der nachträglichen Verlängerung der Sicherungsverwahrung als rechtswidrig beurteilt hatte.

Das OLG betonte nun, dass es die Rechtsauffassung des Landgerichts für „zutreffend“ hält. Der Vorsitzende Richter Michael Zöller fügte hinzu, dass am Ende des Instanzenzuges wohl „auch nichts anderes herauskommen“ werde. Der Anwalt des Landes, Thomas Hannemann, sagte, es sei noch nicht klar, ob das Land Revision beim Bundesgerichtshof einlegen werde. Das Zivilverfahren habe „Signalcharakter“. Bundesweit gebe es 100 bis 120 vergleichbare Fälle, sagte Hannemann.

Die Entschädigungssummen für den Zeitraum, der die ursprüngliche Verwahrungshöchstfrist von zehn Jahren überstieg, betragen in den vier Fällen 73.000 Euro, 65.000 Euro, 53.000 Euro und 49.000 Euro. Das Landgericht legte jeweils 500 Euro pro Monat zugrunde.

Richter: Täter sollten Teil des Geldes den Opfern geben

Das Land muss laut Urteil für die rechtswidrige Freiheitsentziehung haften, obwohl die Landesbehörden und Vollstreckungsgerichte kein eigenes Verschulden treffe, weil sie damals nur Bundesrecht vollzogen hätten. Die rückwirkende Aufhebung der zehnjährigen Verwahrungshöchstfrist durch den Bundesgesetzgeber im Jahr 1998 habe jedoch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstoßen. Und im Falle einer „konventionswidrigen Freiheitsentziehung“ gelte ein Entschädigungsanspruch, der „verschuldensunabhängig“ sei.

Hannemann hatte sich in der Berufungsverhandlung gegen den Entschädigungsanspruch mit den Worten gewandt: „Was hätten Beamte des Landes anders machen können?“ Sie hätten wegen der damaligen bundesgesetzlichen Lage, die auch das Bundesverfassungsgericht bestätigt habe, „objektiv keine Möglichkeit gehabt, etwas zu tun“.

Die vier Männer waren in den 1970er und 1980er Jahren wegen Vergewaltigung verurteilt worden, einer von ihnen auch wegen versuchten Mordes. Sie hatten Haftstrafen von fünf bis 15 Jahren bekommen. Zudem war eine Sicherungsverwahrung angeordnet worden, die dann aber – nach Abschaffung der Zehnjahresfrist im Jahr 1998 - immer weiter verlängert wurde. Erst im Juli beziehungsweise Herbst 2010 waren sie schließlich aus der Sicherungsverwahrung entlassen worden. Heute leben zwei von ihnen in Stendal im Norden von Sachsen-Anhalt, einer in Freiburg und einer in Hamburg.

Richter Zöller regte an, dass die vier Männer, die mit ihren Taten großen Schaden angerichtet hätten, zum Ausgleich einen Teil ihrer Entschädigungssummen den Opfern oder einer Opferhilfeorganisation zukommen lassen könnten. Rechtsanwalt Ekkehard Kiesswetter, der drei der vier Kläger vertritt, sagte, er werde die Anregung mit seinen Mandanten besprechen.