Nach der Bildungsministerin gerät auch das Gutachten der Universität über die Arbeit in die Kritik. Doktorvater von 1980 verteidigt Schavan.

Berlin. Die Doktorarbeit von Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) bleibt in der Kritik, die Ministerin bekommt aber auch Unterstützung. Der Plagiate-Jäger Martin Heidingsfelder hält den Rücktritt der Ministerin für zwingend. Die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth ging nicht ganz so weit. Schavan müsse gehen, wenn sich der Plagiatsverdacht erhärte, sagte sie. Verteidigungsminister Thomas de Maizère (CDU) sprang seiner Kabinettskollegin bei. Er und mehrere Wissenschaftler kritisierten, dass das Universitätsgutachten zu der Dissertation öffentlich wurde, bevor Schavan es kannte.

Das Gutachten der Universität Düsseldorf wirft Schavan vor, in ihrer Doktorarbeit bewusst Textpassagen ohne korrekten Beleg von fremden Autoren übernommen zu haben.

Grünen-Chefin erinnert Schavan an die Affäre Guttenberg

Roth sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“: „Sollten sich die Vorwürfe als zutreffend erweisen, frage ich mich, wie ausgerechnet die für Wissenschaft und Forschung zuständige Ministerin ihr Amt noch glaubwürdig ausüben will.“ Angesichts ihrer Vorbildfunktion wiege allein der Verdacht einer wissentlichen Täuschung sehr schwer. Vielen sei Schavans „Fremdschämen“ im Fall Guttenberg noch in Erinnerung.

In der Debatte um die Aberkennung des Doktortitels des damaligen Verteidigungsministers Karl Theodor zu Guttenberg (CSU) hatte Schavan gesagt, dass sie sich als Wissenschaftlerin „nicht nur heimlich schäme“ für das, was passiert sei.

Heidingsfelder sagte, jeder könne im Internet sehen, dass der Fall eindeutig sei. „Eine Bundesbildungsministerin muss in ihrer akademischen Laufbahn blütensauber sein“, sagte der Gründer des Recherchenetzwerkes „VroniPlag“. „Die Union muss Druck machen, damit sie tatsächlich ihr Amt verlässt.“

De Maizière sagte dagegen den Dortmunder „Ruhr Nachrichten“: „Ich habe volles Vertrauen in meine Kollegin Annette Schavan.“ Er forderte, jetzt das Prüfungsverfahren der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf abzuwarten und Schavan Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.

Schavans Doktorvater Gerhard Wehle nahm die Ministerin in Schutz. „Die Arbeit entsprach absolut dem wissenschaftlichen Standard“, sagte er der Düsseldorfer „Rheinsichen Post“. Dass Schavan vorsätzlich getäuscht hat, kann sich der 88-jährige Erziehungswissenschaftler nicht vorstellen. „Wie kann man eine Arbeit über das Gewissen schreiben und dabei täuschen?“, fragte er. Im Übrigen dürfte eine Doktorarbeit aus dem Jahr 1980 nicht ausschließlich nach heutigen Maßstäben bewertet werden.

Wissenschaftler wundern sich über Uni Düsseldorf

Der Präsident der Humboldt-Stiftung, Helmut Schwarz, sagte der „Süddeutschen Zeitung“: „Es gab schwere Fehler in dem Verfahren - die Universität sollte nun eine zweite Person bitten, die Vorwürfe sachlich zu prüfen.“

Der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), Matthias Kleiner, sagte dem Blatt, er sei „schon irritiert, dass in einem strikt vertraulichen, personenbezogenen Verfahren ein Gutachten an die Öffentlichkeit gerät, noch dazu bevor es von dem zuständigen Gremium bewertet wurde“.

Der Vorsitzende der Helmholtz-Gemeinschaft, Jürgen Mlynek, zeigte sich verwundert, dass die Arbeit offenbar nur von einem Hochschullehrer geprüft worden sei.

Der frühere DFG-Präsident Wolfgang Frühwald sagte der Zeitung, nach der Vorab-Veröffentlichung könnten die zuständigen Gremien der Universität nicht mehr frei entscheiden. „Sie stehen nun unter öffentlichem Druck“, sagte er. In der Dissertation gebe es zwar handwerkliche Fehler. Diese seien aber nicht derart gravierend, dass man von einem Plagiat sprechen könne. „Weder der Vorwurf des Plagiats noch der Vorwurf der bewussten Täuschung ist durch die Untersuchung gedeckt“, urteilte Frühwald.

Hintergrund: Die Zahl der Plagiate steigt

Plagiate bei wissenschaftlichen Arbeiten sind keine Einzelfälle, ihre Zahl steigt kontinuierlich. „Seit etwa fünf Jahren nimmt die Zahl der Plagiate, die entdeckt werden, zu. Wobei die Dunkelziffer sicher beachtlich ist“, sagte der Dekan der Philosophischen Fakultät der Universität Düsseldorf, Joachim Koblitz.

Als Experte für solche Fälschungen berät er Dozenten, wie sie mit abgeschriebenen Haus- und Abschlussarbeiten umgehen sollen. Pro Semester würden seinen Kollegen 30 bis 40 Plagiate vorgelegt, sagte Koblitz. Bundesbildungsministerin Annette Schavan wird seit Mai mit Plagiatsvorwürfen konfrontiert.

Plagiate erkenne man an Stilbrüchen innerhalb der Arbeit, an Änderungen in der Formatierung und an der Fehlerquote: „Wenn der Text zuerst vor Fehlern strotzt und sich dann auf einmal ganz glatt liest, dann stutzt man“, sagte der 62-jährige Erziehungswissenschaftler. Durch die elektronischen Medien sei ein banales Abschreiben viel einfacher geworden. Aber auch die Kontrolle. „Es gibt Kollegen, die googeln einfach, wenn sie sich über bestimmte Sätze wundern.“

Den Fall Schavan müsse man aber differenzierter sehen, hier handele es sich nicht um bloßes „Copy/Paste“, also das Kopieren und Einfügen fremder Textpassagen in eine eigene wissenschaftliche Arbeit. „Es ist natürlich ein Politikum, das daraus gemacht wird. Wenn die Person nicht Schavan, sondern Müller hieße, würde es niemanden interessieren“, ist der Hochschullehrer überzeugt. Das Ansehen der Wissenschaft habe seiner Meinung nach noch nicht unter den prominenten Plagiatsfällen gelitten. Er habe nicht wahrgenommen, dass die Wissenschaft seit der Affäre um den früheren Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg mit anderen Augen gesehen werde.

Wenn einem Studenten ein Plagiat nachgewiesen wird, muss er ein Bußgeld von 300 Euro zahlen. Dann bekommt er eine zweite Chance: In einem neuen Seminar muss er eine andere Arbeit schreiben. „Bei Wiederholungstätern muss man dann schon mal mit der Exmatrikulation drohen“, sagte Koblitz. Wichtig sei es deshalb, den Studenten klarzumachen, dass jedes Plagiat ein Vertrauensbruch ist. Und: „Wenn wir alle nur voneinander abschreiben, dann kommen wir keinen Schritt weiter. So bringen wir die Wissenschaft nicht voran.“