Ein Gutachter wirft der Bundesbildungsministerin Täuschungsabsicht bei ihrer Dissertation vor. Opposition setzt Schavan unter Druck.

Berlin. Annette Schavan gibt viel auf ihre Integrität und Glaubwürdigkeit. Selbst diejenigen, die ihr weniger geneigt sind, schätzen die Bundesbildungsministerin als klug und kundig, als seriös und redlich. Manch einem ist die 57-Jährige etwas zu dröge. Langweilig, lautet das Urteil ihrer ärgsten Kritiker. Dass aber gerade die CDU-Politikerin bei ihrer Doktorarbeit betrogen und getäuscht haben soll, dürfte wohl selbst ihre Gegner überraschen. Schavan sieht sich mit heftigen Vorwürfen konfrontiert. Ihr Doktortitel ist in Gefahr und möglicherweise ihr Amt. Aber auch wenn sie beides behielte, bleibt ein tiefer Kratzer an ihrem Image.

Besonders pikant: In der Plagiatsaffäre um Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) war es ausgerechnet Schavan, die sich als erstes Kabinettsmitglied kritisch über Guttenberg äußerte und somit auch die Erste war, die den Rückhalt Guttenbergs in den eigenen Reihen bröckeln ließ. Als jemand, der selbst promoviert habe und in seinem Berufsleben viele Doktoranden begleiten durfte, schäme sie sich "nicht nur heimlich" über den Verteidigungsminister, ließ sie in einem Interview wissen. Nur wenige Tage später trat Guttenberg zurück.

Im Mai waren die Vorwürfe gegen Schavan zum ersten Mal aufgekommen: Die CDU-Politikerin soll in ihrer Doktorarbeit von 1980 von anderen Autoren abgeschrieben und nicht korrekt zitiert haben. Sie reagierte damals wortkarg auf die Vorhaltungen, sagte nur, sie wolle die Prüfung durch die Universität Düsseldorf abwarten.

Die Analyse ist nun da und fällt wenig schmeichelhaft aus. Der Gutachter beklagt Mängel auf 60 von 351 Seiten von Schavans Arbeit, berichteten "Spiegel" und die "Süddeutsche Zeitung" am Wochenende übereinstimmend. Sie soll mehrfach geblufft und über Autoren geschrieben haben, die sie selbst nie gelesen hat. Der Prüfer kommt demnach zu dem Schluss, Schavan habe bewusst getäuscht. Es ergebe sich das "charakteristische Bild einer plagiierenden Vorgehensweise", heißt es nach den Berichten in dem Gutachten.

Doch Schavan wehrt sich. In mehreren Interviews wies sie die Vorwürfe zurück. "Die Unterstellung einer Täuschungsabsicht weise ich entschieden zurück", sagte die Bildungsministerin der Nachrichtenagentur dpa. In der "Süddeutschen Zeitung" fügte sie hinzu: "Es trifft mich. Es trifft mich im Kern. Es trifft den Kern von dem, was mir wichtig ist." Sie habe sorgfältig gearbeitet, versicherte sie, räumte aber ein: "Hier und da hätte man auch noch sorgfältiger formulieren können."

Künast nennt Schavans Verhalten „beschämend”

In der „Rheinischen Post“ (Montag) kündigte die CDU-Politikerin an: „Sobald mir der Promotionsausschuss Gelegenheit dazu gibt, werde ich zu den Vorwürfen Stellung nehmen.” Schavan kritisierte zugleich das Bekanntwerden von Einzelheiten des Gutachtens: „Es ist ein bemerkenswerter Vorgang, dass ein vertrauliches Gutachten eines Hochschullehrers der Presse vorliegt, bevor die Betroffene von der Existenz des Gutachtens weiß.“

Aus Sicht des SPD-Bildungspolitikers Ernst Dieter Rossmann muss die Ministerin zurücktreten, wenn sie den Doktortitel verlieren sollte. „Es wird eng“, sagte er der „Berliner Zeitung“ (Montag) zu den neuen Vorwürfen. „Denn das ist nicht mehr nur ein anonymer Plagiate-Rechercheur, sondern die Hochschule, die zu einem Meinungsbild kommt.“

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Renate Künast sieht Schavan schon jetzt beschädigt: Noch habe diese ihr Amt formal inne, „aber die Glaubwürdigkeit, die sie für eine gute Amtsführung braucht, hat sie schon verloren“, sagte Künast der „Rheinischen Post“ (Montag). Es sei „beschämend, dass Schavan die Sache aussitzen will“.

Merkel könnte Schavan kaum retten

Entschieden ist mit dem Gutachterurteil aber noch nichts: Das letzte Wort hat der Promotionsausschuss der Hochschule. Sollte Schavan ihren Titel verlieren, wäre sie in ihrer jetzigen Funktion wohl nicht zu halten: als Bildungs- und Forschungsministerin, die ständig mit Studenten und Professoren zu tun hat und das deutsche Wissenschaftssystem vertritt.

Schavan ist eigentlich keine Lautsprecherin. Schneidige Interviewäußerungen und Spitzen gegen Partei- oder Koalitionskollegen sind ihre Sache nicht. Sie gilt als loyal, insbesondere der Kanzlerin gegenüber. Schavan ist eine Vertraute von Angela Merkel, die beiden verbindet eine unaufgeregte und unprätentiöse Art, Politik zu machen. Schavan hat sich immer als treues Kabinettsmitglied erwiesen, ist nie ausgeschert, um sich persönlich zu profilieren. Und die Kanzlerin und CDU-Chefin hat ihre schützende Hand über sie gehalten - ihr das Bildungsressort für eine zweite Amtszeit gelassen und sie auch als Parteivize durchgesetzt.

Sollte Schavan jetzt ihren Doktortitel verlieren, könnte Merkel ihre Verbündete wohl kaum retten. Die Kanzlerin hat schon einige Kabinettsumbildungen hinter sich - und immer wieder wurde Personalnot erkennbar. Vielleicht bleibt ihr eine weitere Umbesetzung aber erspart. Möglich ist, dass Schavan ihren Doktortitel trotz der Mängel behält. Eine denkbare Rechtfertigung für handwerkliche Fehler hatte sie im vergangenen Jahr im Fall Guttenberg mitgeliefert. Sie räumte ein, man könne mit seiner Dissertation durchaus überfordert sein - "auch als intelligenter Mensch".