Für die Tradition sprachen jüdischer Arzt Latasch und muslimischer Medizinethiker lkilic, dagegen Hamburger Rechtsphilosoph Merkel.

Berlin. Religiöses Recht oder Körperverletzung: Der Deutsche Ethikrat hat am Donnerstag über die Beschneidung minderjähriger Jungen debattiert. Die Mehrheit sprach sich dabei für die Zulässigkeit der jüdischen und muslimischen Tradition aus. Der Hamburger Rechtsphilosoph Reinhard Merkel betonte dagegen erneut, dass der Eingriff in seinen Augen nach rechtlichen Kriterien unzulässig sei. Angesichts der besonderen Verantwortung Deutschlands gegenüber dem Judentum räumte aber auch er Handlungsbedarf ein.

+++Forderungen nach Betäubungsvorschrift mehren sich+++

Für ihre eigene Tradition argumentierten der jüdische Arzt Leo Latasch und der muslimische Medizinethiker Ilhan Ilkilic. Die Beschneidung als Ritus zur Aufnahme in die Religionsgemeinschaft sei für Juden das höchste Rechtsgebot, sagte Latasch. Auch für Muslime sei die Beschneidung unerlässlich, äußerte Ilkilic. Beide Mediziner verwiesen auf das geringe gesundheitliche Risiko einer Beschneidung und die nicht eindeutig belegten Folgen für Gesundheit und Sexualität. Daher gebe es gute Gründe für die höhere Stellung der Religionsfreiheit, sagte Ilkilic.

Rechtsphilosoph Merkel entgegnete, es sei „bizarr“, wenn Religionsgemeinschaften eine Definitionsmacht darüber hätten, wann und wie sie einen Körper von Personen verletzten könnten. Gleichwohl gebe es eine „weltweit singuläre Pflicht gegenüber allen jüdischen Belangen“, ergänzte er. Im Konflikt zwischen dem körperlichen Eingriff und der Verpflichtung gegenüber dem Judentum entstehe ein „rechtspolitischer Notstand“. Er betonte in der Sitzung, eine Beschneidung ohne Betäubung halte er „für rechtlich wie ethisch inakzeptabel“. Diese dürfe nicht erlaubt werden. Für das geplante Gesetz zur Erlaubnis religiöser Beschneidung regte Merkel an, nur geschulte Beschneider oder Ärzte zuzulassen sowie die Anwesenheit eines Anästhesisten und eine ausführliche Elternaufklärung zur Pflicht zu machen. Auch andere Mitglieder forderten eine Festlegung auf medizinische Standards.

Der stellvertretende Vorsitzende des Ethikrats, der evangelische Theologe Peter Dabrock, plädierte ebenfalls für „nachgewiesen wirksame schmerztherapeutische Maßnahmen“. Auch der jüdische Vertreter im Ethikrat, der Medizinprofessor Leo Latasch, zeigte sich offen für lokale Betäubungen. Er betonte, diese seien in Deutschland bei Beschneidungen bereits heute üblich.

Vor einem „Angriff auf die jüdische Identität“ warnte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Nikolaus Schneider. Das Urteil des Landgerichts Köln, das die religiöse Beschneidung als Körperverletzung bewertet hatte, irritiere ihn „angesichts der Geschichte und unserer deutschen Geschichte mit dem Judentum schon sehr“, sagte er dem EPD. Er sprach sich dafür aus, die traditionelle Praxis per Gesetz zu erlauben.

+++Schröder für "angemessene Betäubung" bei Beschneidung+++

Der Verfassungsrechtler Wolfram Höfling sagte, die Diskussion um Beschneidung sei eine Stellvertreterdebatte über die Rechte von Religionsgemeinschaften sowie Rechte von Kindern allgemein und müsse ernst genommen werden. „Es ist keine Komikerdebatte“, sagte Höfling mit Verweis auf eine Äußerung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Sie hatte erklärt, Deutschland mache sich zur „Komikernation“, wenn der Staat Beschneidung verbiete.

Der evangelische Sozialethiker Peter Dabrock mahnte eine sachliche Auseinandersetzung an. Dafür sei es schon hilfreich, wenn jüdischen und muslimischen Eltern nicht unterstellt werde, sie hätten das Kindeswohl nicht im Blick, sagte der Erlanger Wissenschaftler. Er appellierte, Verständnis für die „fremde Religiosität“ von Judentum und Islam aufzubringen. Dafür warb auch der ehemalige EKD-Ratsvorsitzende Wolfgang Huber: In der Debatte gehe es auch um das Bekenntnis zu religiöser Pluralität in der Gesellschaft.

+++Bundestag will Beschneidungen erlauben+++

Die Rabbinerin und Medizinerin Antje Yael Deusel glaubt nach dem Beschneidungsurteil des Kölner Landgerichts „nicht mehr so ganz an ein normales jüdisches Leben in Deutschland“. Die Debatte um die religiöse Beschneidung von Jungen werde nicht mehr sachorientiert, sondern mit „missionarischem Eifer“ geführt, sagte die Rabbinerin der Jüdischen Gemeinde Bamberg EPD am Donnerstag. Die Kritik an der religiösen Praxis trage teilweise antijüdische Züge.

Seit dem Kölner Urteil herrscht bei Juden und Muslimen Rechtsunsicherheit. Der Bundestag hat die Bundesregierung aufgefordert, bis zum Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der die Beschneidung erlaubt. (epd, dapd, abendblatt.de)