Während die großen Parteien sich immer mehr angleichen, machen die kleinen Parteien das Bild bei der Bundestagswahl bunt. 21 “Sonstige“ werden am 27. September auf dem Wahlzettel stehen: Naturfreunde, Sektierer oder Gottesfürchtige - und Gabriele Pauli.

Hamburg. Politik soll in einer Demokratie vom Volk ausgehen. Von den "Menschen draußen im Lande" also, wie Helmut Kohl gern sagte. Bei vielen Bundespolitikern hat sich dieses Bild vom Drinnen und Draußen schon verfestigt: Man muss sich ab und zu aus den inneren Zirkeln von Ämtern und Parteien hinausbegeben, um " draußen bei den Menschen" zu sein.

Da draußen ist allerdings auch ohne Spitzenpolitiker der Bär los. Das beweisen die rund 50 Kleinstparteien, die bei der kommenden Bundestagswahl kandidieren wollten und von denen jetzt 21 zugelassen wurden. Auf den Wahlgrafiken tauchen sie immer als "Sonstige" auf - was eine grandiose Untertreibung ist: Hinter "Sonstige" verbirgt sich ein ganzer Mikrokosmos von ernsthaften Alternativstrategen, Naturfreunden, Polit-Sektierern, Berufssatirikern und Erlösungspredigern. Wer sich unsere Kleinstparteien anschaut, hat das Gefühl, dieses Land erst richtig kennenzulernen.

Die 1981 gegründete Anarchistische Pogo-Partei Deutschlands (APPD) zum Beispiel hat sich die "Befreiung des Menschen von krank machenden zivilisatorischen Zwängen" auf die Fahnen geschrieben. Dabei will die APPD "die Einheit der sog. ,Asozialen' in Deutschland" verwirklichen, weil deren "innovative Visionen" für die Gemeinschaft quasi unersetzlich seien. Konkrete Parolen etwa lauten "Saufen statt lernen - weg mit der Schulpflicht", "Kampf dem Arbeitsterror" und andere Geistesblitze aus dem Weltbild zugedröhnter Spaßpunker.

Massenwirksam ist das aber offenbar nicht. Wie die APPD bei der Anhörung vor dem Bundeswahlausschuss zugeben musste, kamen ganze zwölf Mitglieder zum letzten Parteitag. Und im Rechenschaftsbericht hieß es: "Keiner in der Partei hat mal wieder was gemacht." Ja, was auch?

Anders als christliche, altlinke, Tierschutz- oder Rentnerparteien repräsentieren die Piratenpartei und Gabriele Paulis Freie Union typische Wählervereinigungen für jüngere Politikverdrossene. Die 2006 gegründeten "Piraten", die für "informationelle Selbstbestimmung" und "freien Zugang zu Wissen und Kultur" eintreten, wehren sich nicht nur gegen jegliche staatliche Eingriffe ins World Wide Web: "Wir lehnen Patente auf Lebewesen und Gene, auf Geschäftsideen und auf Software einhellig ab" heißt es in ihrem Parteiprogramm. Viele der 4400 Mitglieder in 16 Landesverbänden fühlen ihre Interessen als "Netizens" (Netzgemeinde) von den Altparteien nicht vertreten.

In eine solche Lücke will auch die ehemalige CSU-Rebellin Gabriele Pauli mit ihrer neuen Freien Union hineinpreschen. Das Programm der erst am 21. Juni gegründeten Partei versammelt auf nur sechs Seiten die gängigsten Forderungen linker bis rechter Wählervereinigungen: Steuersenkungen, mehr Geld für Familien, ein neues Gesundheitssystem, mehr Volksentscheide und einen "neuen Zuschnitt der Bundesländer".

Vor allem will die Freie Union ein "neues Denken" über Staat und Gemeinschaft anregen. Einen verblüffenden Vorstoß machte der Berliner Landesverband, als er vor einigen Tagen die ehemalige "Big Brother"-Insassin und "Miss Penthouse" Kader Loth ausgerechnet als "Frauenbeauftragte" wählte.

Das war unter den Kleinstparteien eigentlich die pogomäßigste Idee der Woche. Der Bundeswahlausschuss allerdings sah wegen dieser Personalie offenbar die bundesweite Ernsthaftigkeit der Parteiarbeit nicht in Gefahr. Dabei hatte Bundeswahlleiter Roderich Egeler die Hürden diesmal höhergelegt.

Die Berg-Partei, 2005 im Berliner Palast der Republik gegründet, wollte sogar komplett ohne Programm antreten. Sie versteht sich als "Netzwerk aus kollaborativen Kulturaktivisten", die das immer teurer werdende Berlin "durch unkommerzielle kulturelle Nutzung von privatem, öffentlichem und geistigem Raum beeinflussen" wollen. Wie und womit, bleibt wolkig. Die Partei fordert, das Verteidigungsministerium in ein "Zwischennnutzungs- und Querfinanzierungsministerium" umzuwandeln und für jeden gefällten Baum ein Auto einzuschmelzen. Es folgt die sympathische Versicherung: "Ohne Spaß ist das ernsthafteste Ziel auf Dauer unerreichbar, Kunst und Politik gehören zusammen." Das genügte dem Bundeswahlausschuss nicht.

Mit Spaß haben die Christliche Mitte (CM, 6000 Mitglieder) und die Partei Bibeltreuer Christen (PBC, 3730 Mitglieder) nun eher nichts am Hut. Die konservativen Vereinigungen aus dem evangelikalen Spektrum, die bei der vergangenen Bundestagswahl 0,0 und 0,2 Prozent der Stimmen erhielten, kämpfen für eine stärkere Ausrichtung der Politik an der Bibel. Dabei bemerkt die PBC eine "Spannung zwischen dem kommenden Reich Gottes und der bestehenden Macht der Finsternis". Vehement setzt sie sich gegen die "Sexualisierung unserer Gesellschaft" zur Wehr: "Selbst der Joghurt wird mit sexuellen Darstellungen beworben."

Auch die Christliche Mitte sorgt sich um ein falsches Sexualverständnis. Der meistgelesene Text auf ihrer Wahlkampfseite betrifft pseudowissenschaftliche Erkenntnisse zur Homosexualität. Da heißt es: "Es handelt sich bei der Homosexualität um eine Krankheit, da sie die Lebens- und Arterhaltungsfunktionen stört." Diese "Sexualneurose" sei aber mithilfe von Therapeuten und Seelsorgern "mit gutem Erfolg heilbar".

"Die Violetten" dagegen sind eher frei schwebende Freunde der Spiritualität: In ihren Augen ist die Welt für jeden Menschen eine "Stätte der Entwicklung zu höherem Bewusstsein". Zu den wenigen konkreten Forderungen der ökologisch-gewaltfrei-spirituellen Violetten gehört eine lebenslange Basisabsicherung für jeden Bürger ("bedingungsloses Grundeinkommen").

Deutschland verfügt sogar noch über eine "Vorhutorganisation der Arbeiterklasse": Die 1982 gegründete Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD, laut Verfassungsschutz 2300 Mitglieder) ist heute ein Fossil mit eigenem Ferienheim im thüringischen Truckenthal. Wer glaubt, dass stalinistisch-maoistisches Geschwurbel heute keine Chance mehr hätte, irrt: Bei der Bundestagswahl 2005 gaben der MLPD 45 238 Wähler (0,1 Prozent) die Zweitstimme.