Günther Oettinger bricht eine Lanze für die Atomenergie. Wenn Schwarz-Gelb regiert, soll der Ausstieg aus dem Ausstieg erfolgen. Sicherheitsbedenken hat er nicht.

Hamburg. Hamburger Abendblatt:

Bundesumweltminister Gabriel hat im Abendblatt-Interview erhebliche Zweifel an der Sicherheit deutscher Atomkraftwerke geäußert. Der Störfall sei der Normalfall ...

Günther Oettinger:

Das ist ein durchsichtiges Wahlkampfmanöver von Herrn Gabriel. Unsere Kernkraftwerke sind sehr sicher. Schon geringste Vorfälle werden öffentlich gemeldet. Wegen - sicherheitstechnisch betrachtet - unproblematischer Ereignisse wie jetzt in Krümmel darf man nicht die Sicherheit der Kernkraft in Deutschland infrage stellen.

Abendblatt:

Unproblematisch?

Oettinger:

Schauen Sie: In zahlreichen europäischen Ländern werden neue Kernkraftwerke gebaut. Die Laufzeiten bestehender Kernkraftwerke werden verlängert. In Deutschland haben die meisten Kernkraftwerke den höchsten Standard; die Übrigen werden nachgerüstet. Wir müssen unsere Reaktoren in Betrieb lassen, solange sie zuverlässig Strom liefern können. Sonst wird unsere Abhängigkeit von anderen Ländern immer größer.

Abendblatt:

Keine Konsequenzen aus dem Störfall?

Oettinger:

Der Betreiber Vattenfall hat vor Ort einen Fehler in der Informationsarbeit gemacht und sich dafür entschuldigt. Es wäre falsch, jetzt ungeprüft die Stilllegung von Krümmel zu fordern. Wenn die technischen Voraussetzungen stimmen, ist Krümmel ein Kraftwerk mit Zukunft.

Abendblatt:

Gabriel will den Ländern die Atomaufsicht entziehen.

Oettinger:

Das ist Unsinn. Der Atomaufsicht des Landes Schleswig-Holstein ist hier kein Vorwurf zu machen. Im Übrigen war Herr Gabriel einmal Ministerpräsident von Niedersachsen. Sich selbst hat er damals die Aufsicht von Atomanlagen auch zugetraut.

Abendblatt:

Wird die Atompolitik jetzt zum Wahlkampfthema?

Oettinger:

Energiepolitik - und damit auch die Bedeutung der Kernkraft - ist für einen Wirtschaftsstandort von großer Bedeutung. Sie wird eines der großen Wahlkampfthemen sein.

Abendblatt:

Was wird anders in der Energiepolitik, wenn die Union nach der Bundestagswahl mit der FDP regiert?

Oettinger:

Eine schwarz-gelbe Bundesregierung wird den Ausstiegsplan der Regierung Schröder/Trittin auf den Prüfstand stellen. Für alle Kernkraftwerke, die dem Stand der Technik entsprechen, werden wir die Laufzeitbeschränkungen aufheben. Wir brauchen einen Energiemix, der eine sichere und unabhängige Versorgung der Bevölkerung ermöglicht.

Abendblatt:

Also Ausstieg aus dem Ausstieg.

Oettinger:

Wir werden die ideologisch bedingten Laufzeitverkürzungen zurücknehmen und mindestens die Hälfte der dadurch erzielten zusätzlichen Gewinne in erneuerbare Energien und in Energieforschung investieren.

Abendblatt:

In anderen Staaten werden neue Kernkraftwerke gebaut. Bleibt das in Deutschland ausgeschlossen?

Oettinger:

Wir haben in Deutschland einen sinnvollen Energiemix. Kernkraft spielt eine wichtige, aber keine dominante Rolle. Dies halte ich auch in Zukunft für richtig.

Abendblatt:

Soll heißen?

Oettinger:

Die Atomkraft ist eine sinnvolle Übergangstechnologie. Wir brauchen sie noch 20 Jahre, um erneuerbare Energien entwickeln zu können. Ein Neubau ist derzeit politisch nicht vorgesehen, und ich kenne auch kein Energieunternehmen, das Planungen für neue Atomkraftwerke in Deutschland hat.

Abendblatt:

Bleibt es dabei?

Oettinger:

Für alle Zeiten sollte niemand Aussagen treffen. Aber für das nächste Jahrzehnt geht es nicht um Neubau, sondern um Laufzeitverlängerung.