Die Kanzlerin will Steuersenkungen. Doch die Einnahmen in Bund, Ländern und Gemeinden gehen drastisch zurück.

Hamburg - Sollen Steuerentlastungen ins Wahlprogramm der Union geschrieben werden? Geht es nach der Bundeskanzlerin und CDU-Vorsitzenden, fließen schon im nächsten Jahr die ersten Steuergeschenke in die Portemonnaies der Bürger.

Doch nach der Ankündigung von Angela Merkel am Wochenende, einen "Dreiklang von Schuldentilgung, Investitionen in Innovation und steuerlicher Entlastung" zu beschließen, zieht sie den Unmut der eigenen Reihen auf sich. Zuerst erteilten die Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt und Sachsen, Wolfgang Böhmer und Stanislaw Tillich (beide CDU) den Plänen der Kanzlerin eine deutliche Absage, dann zog gestern Schleswig-Holsteins CDU-Ministerpräsident Peter Harry Carstensen nach. Er schlug im Abendblatt vor, anstatt über vorschnelle Entlastungen zu sprechen, das Steuersystem zu reformieren: "Wir brauchen zuerst eine Steuervereinfachung. Wir sind da viel zu kompliziert." Das sei die vordringliche Aufgabe, "an der wir arbeiten sollten". Carstensen ergänzte: "Von dieser Steuervereinfachung sollten vor allem mittelständische Firmen profitieren. Das Schaffen von Arbeitsplätzen hat für mich Priorität."

Doch dass Merkel Entlastungen bei den Einkommen durchsetzen will, steht nun fest. Nur das Wie bleibt vorerst ein Rätsel. In welchen Schritten und zu welchem Zeitpunkt genau sich eine Steuerentlastung realisieren lasse, hänge entscheidend von der Steuerschätzung Mitte Mai und der wirtschaftlichen Entwicklung ab, sagte CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla dazu dem "Münchner Merkur". Deshalb bleibe die Union auch dabei, ihr Wahlprogramm erst am 29. Juni vorzustellen. "Unser Ziel ist klar: Die Menschen sollen in der nächsten Wahlperiode mehr Netto vom Brutto erhalten", so Pofalla.

Auch CSU-Chef Horst Seehofer hatte zuvor im Abendblatt seine Forderung nach Steuersenkungen bekräftigt: "Ein Steuersystem mit dieser sogenannten kalten Progression und heimlichen Steuererhöhungen kann kein Zukunftsmodell für Deutschland sein."

Doch selbst beim Thema Steuerreform drücken Merkels eigene Experten auf die Bremse: Nach Ansicht des finanzpolitischen Sprechers der Unionsfraktion, Otto Bernhardt, muss die Union wegen der Wirtschaftskrise vorerst auf eine große Steuerreform verzichten und sich auf Tarifänderungen konzentrieren. "Viele andere Maßnahmen werden wir uns nicht leisten können", sagte der CDU-Politiker. Die früher geplante Erhöhung des Steuer-Freibetrags für Kinder auf 8000 Euro und die Erweiterung des Ehegatten-Splittings auf ein Familiensplitting kosteten viel Geld.

Bernhardt hält es für möglich, dass die Arbeitnehmer um bis zu 20 Milliarden Euro entlastet werden könnten. Ihnen müsse ein Teil der 60 Milliarden Euro Steuermehreinnahmen durch die kalte Progression zurückgegeben werden. Je ein Drittel der Summe könnten für die Tarifänderung, für die Schuldentilgung und für Bildung, Infrastruktur sowie Umwelt verwendet werden.

Noch aber ist nicht absehbar, welche Auswirkungen der Konjunktureinbruch tatsächlich auf die Steuereinnahmen haben wird. Die jüngste Konjunkturprognose der Bundesregierung geht von einem Schrumpfen der Wirtschaft um sechs Prozent in diesem Jahr aus. Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) hatte bereits angekündigt, er rechne in diesem Jahr mit einer Neuverschuldung von über 50 Milliarden Euro für den Bund. Sein Ministerium rechnet dem "Spiegel" zufolge wegen der Wirtschaftskrise mit Steuerausfällen für Bund, Länder und Gemeinden in diesem Jahr von knapp 25 Milliarden Euro. Steinbrück wolle bis Anfang Juni einen Nachtragshaushalt von bis zu 15 Milliarden Euro vorlegen.