Die Bundeskanzlerin will ihre Koalition auf die Erweiterung des Euro-Rettungsschirms einschwören. Gegenwind aus den eigenen Reihen.

Hamburg. Der Druck auf sie wächst, aber man sieht es Angela Merkel an diesem Abend nicht an. Entspannt sitzt sie in ihrem senffarbenen Sessel und plaudert mit Talkshow-Moderator Günther Jauch. Sie scheint sich wohlzufühlen, immer wieder huscht ein Lächeln über ihr Gesicht.

Noch wenige Tage, dann entscheidet der Bundestag über die Ausweitung des Euro-Rettungsschirms EFSF. Es ist eine der wichtigsten Entscheidungen des Jahres: Von ihr könnte abhängen, ob die Griechenland-Rettung gelingt oder ob eventuell das ganze Euro-Währungssystem ins Wanken gerät. Die Abstimmung am Donnerstag im Parlament ist auch eine persönliche Machtprobe für Merkel. Dann wird sich zeigen, ob eine in sich tief zerstrittene schwarz-gelbe Koalition Merkel als Regierungschefin noch folgt und ob die Abgeordneten ihren Euro- und Finanzkurs noch mittragen wollen.

Der Kanzlerin mag an diesem Abend die Anspannung nicht anzumerken sein, aber allein die Tatsache, dass sie nun im Studio sitzt, gibt Hinweise auf den Ernst der Lage. Denn Merkel ist nicht als Freund von Talkshows bekannt, auch Interviews gewährt sie nur äußerst spärlich. Die Sendung "Günther Jauch", in die sie sich dagegen quasi selbst eingeladen hat, scheint ihr offenbar ein akzeptabler Kompromiss zu sein. Weitgehend ungestört von Fragen des Moderators kann Merkel von ihrem Sessel aus zwei Botschaften in die Öffentlichkeit senden. Die eine richtet sich ans deutsche Fernsehpublikum und lautet sinngemäß: Die Politik hat alles unter Kontrolle, kein Grund, sich über die Euro-Krise Sorgen zu machen. Die andere Botschaft richtet sich an die Parlamentarier von Union und FDP: Stimmt für diesen Rettungsschirm, wir brauchen ihn. Man kaufe damit den Schuldenstaaten Zeit, ihre Probleme zu beheben, lockt Merkel - so wie man das mit den Bürgschaften für den Autobauer Opel auch geschafft habe.

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Sie sei "sehr zuversichtlich", bei der Abstimmung die symbolisch wichtige Kanzlermehrheit - also die absolute Mehrheit der Sitze für Schwarz-Gelb - zu erhalten, betont die Kanzlerin. Doch es ist kein kleiner Gefallen, den Merkel da einfordert: Der EFSF - die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität - soll nach einem Beschluss der Staats- und Regierungschefs der Euro-Zone aufgestockt und mit neuen Instrumenten zur Stützung überschuldeter Euro-Länder ausgestattet werden. Künftig sollen 440 Milliarden Euro an Kredit-Garantien für angeschlagene Euro-Länder zur Verfügung stehen, bisher sind es rund 250 Milliarden Euro. Die Staatsgarantien steigen dafür auf rund 780 von bisher 440 Milliarden Euro. Der Anteil Deutschlands daran soll auf 211 Milliarden von bislang 123 Milliarden Euro erhöht werden.

Die schwarz-gelbe Koalition leidet unter der Debatte über die unpopulären Rettungsmaßnahmen für Schuldnerstaaten. Selbst der sonst so loyale CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach kündigte an, dem erweiterten Euro-Rettungsfonds EFSF übermorgen im Bundestag nicht zustimmen zu wollen. Eine "Endlosspirale" immer neuer Milliardenverpflichtungen drohe. Und die "Welt am Sonntag" titelte: "Lasst Griechenland endlich pleitegehen".

Aber genau diesen Schnitt fürchtet Merkel. Investoren könnten denken, dass die Europäer nach einem Schuldenschnitt für Griechenland diesen auch in Spanien, Belgien oder einem anderen Land vornehmen könnten. "Dann legt kein Mensch mehr sein Geld irgendwo in Europa an", warnte die CDU-Politikerin. Der Fall der Investmentbank Lehman Brothers würde sich wiederholen. Damals hatte die US-Regierung die Rettung der Bank verweigert und damit Panikreaktionen in der Finanzwelt ausgelöst.

Doch die vermeintlich beruhigende Wirkung von Merkels Auftritt wurde durch andere Finanzpolitiker bereits wieder konterkariert. EU-Währungskommissar Olli Rehn hatte gesagt, man denke über Möglichkeiten nach, "den EFSF mit zusätzlicher Hebelwirkung auszustatten, um ihm mehr Stärke zu verleihen". Denkbar sei etwa, dass sich der EFSF bei der Europäischen Zentralbank Geld borgen können soll - der Schutzschirm wäre damit fast unbegrenzt, aber auch das Risiko stiege damit immens. FDP-Generalsekretär Christian Lindner reagierte verärgert und forderte von Merkel eine Klarstellung, dass es bei der besprochenen Aufstockung bleibe.

Weitere Nervosität brachten Gedankenspiele von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und CDU-Haushaltspolitiker Norbert Barthle. Sie hatten angeregt, dass der dauerhafte Rettungsschirm ESM bereits 2012 und nicht erst Mitte 2013 zur Verfügung stehen solle. Der ESM soll den EFSF dauerhaft ablösen und beinhaltet auch Mechanismen für den Fall, dass es doch irgendwann zu einer Staatspleite kommen sollte. Auch in der CSU begrüßt man dieses System - und trotzdem lehnte Parteichef Horst Seehofer den früheren Start des ESM entschieden ab. Man befinde sich jetzt in einer entscheidenden Woche und dürfe diese "nicht durch immer wieder neue Ideen und Hinweise" belasten.

Doch auch Seehofer kümmert sich wenig um Geschlossenheit. Sowohl Schäuble als auch Merkel hatten den Erwartungsdruck auf die Koalition für die Abstimmung zu vermindern gesucht. Eine eigene Mehrheit von CDU und FDP sei nicht notwendig für den Fortbestand der Koalition. Dagegen erklärte Seehofer gestern: "Ich bin ein entschiedener Verfechter einer Kanzlermehrheit für dieses Thema."

Gefahr für den Rettungsschirm dürfte aber so oder so kaum drohen: Die SPD hat bereits ihre Unterstützung angekündigt. Zugleich betonte aber gestern SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, ohne Kanzlermehrheit könne Merkel auf Dauer nicht regieren. Es werde schließlich über die Grundlagen der Außenpolitik abgestimmt.