Kernkraft: Union und SPD streiten. Interview mit Ex-SPD-Umweltsenator Vahrenholt. Eine sichere Energieversorgung muss auf Kohle, Kernkraft und erneuerbare Energien setzen, sagt Fritz Vahrenholt und will AKW länger am Netz lassen.

Der Ex-Politiker und Chemiker Fritz Vahrenholt (SPD), seit 2001 Vorstandsvorsitzender von REpower Systems AG, tritt seit Jahrzehnten für den Ausbau der erneuerbaren Energien ein. Als Hamburger Umweltsenator (1991-1997) drängte er im Aufsichtsrat der HEW auf die Satzungsänderung, die einen Ausstieg aus der Atomenergie festschrieb - vorausgesetzt dieser sei wirtschaftlich vertretbar. Gleichwohl plädiert der Windkraft-Unternehmer heute für längere Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland - und das nicht erst, seitdem der französische Staatskonzern Areva, der zu den führenden Atomkraftwerksbauern zählt, bei REpower einstieg.

ABENDBLATT: Welche Lehren sollten wir aus dem Streit um die Gaslieferungen zwischen Rußland und der Ukraine ziehen?

FRITZ VAHRENHOLT: Die sichere Energieversorgung Europas, namentlich Deutschlands ist verletzlicher als die Politik uns Glauben macht. Rund 70 Prozent der Energie wird importiert. Wir bringen uns zunehmend in eine dramatische Abhängigkeit vom Persischen Golf und den GUS Staaten. Die Terroranschläge vom 11. September, die fortgesetzten Terrorangriffe auf Pipelines im Irak, auf Ölanlagen in Saudi-Arabien haben gezeigt, wie verletzlich die geopolitische Lage ist, wie schnell sich die Abhängigkeiten von den öl- und gasfördernden Staaten auf die Industriegesellschaften auswirken können. Kein Zweifel: Versorgungssicherheit insbesondere durch heimische Energieträger wird einen höheren Stellenwert bekommen.

ABENDBLATT: Wie lautet Ihr Vorschlag, damit wir uns nicht noch mehr in die Abhängigkeit von Rußland begeben?

VAHRENHOLT: Für deutsche Energiepolitik gibt es vier Handlungsalternativen:

1. Der beschleunigte Ausstieg aus der Kernenergie ist ein typisch deutscher Kurzschluß, der klimapolitisch, geopolitisch und wirtschaftspolitisch ein Fehler ist. Niemand wird in Deutschland auf absehbare Zeit neue Kernkraftwerke bauen. Aber während Schweden die Laufzeit der Kernkraftwerke auf 60 Jahre verlängert, kürzen wir sie von 40 auf 32 Jahre und müssen dafür 25 bis 30 Gas- oder Kohlekraftwerke bauen. Die Entscheidungssituation wird mit dem vorgezeichneten Abschalten der Atomkraftwerke Biblis 2007, Neckarwestheim 2008 und Brunsbüttel 2009 eintreten. Wir brauchen die Verlängerung um acht Jahre, um Zeit zu kaufen für eine notwendige Umstellung unseres Kraftwerksparks auf mehr heimische CO2-freie Energieträger.

2.Es wird eine Renaissance der Kohle geben. Erstens sind die Vorräte dieses Energieträgers sehr viel gleichmäßiger über die Welt verteilt als Gas und Öl, und zudem weist Kohle eine um Jahrhunderte längere Reichweite auf. Mit der Erreichung des technologischen Ziels des CO2-freien Kohlekraftwerks Ende der nächsten Dekade wird die schmutzige Kohle ihren einzigen strukturellen Nachteil verlieren. Allerdings ist dies mit weiteren Kostenbelastungen verbunden.

3.Wir werden angesichts steigender Energiepreise Riesenfortschritte machen in der Effizienz unseres Energie- und Materialverbrauchs. Die immer wieder postulierten 50 Prozent an Energieeinsparung durch Wärmedämmung werden zur leichten Übung.

4.Erneuerbare Energien sind heimische Energieträger und CO2-frei. In zehn Jahren wird bei weiter andauernder Kostendegression bei Wind und Biomasse die Wettbewerbsfähigkeit erreicht sein, selbst wenn man die Kosten für Leitungsbau und Regelenergie hinzurechnet. Windenergie wird der Billigmacher im deutschen Energiemix sein.

ABENDBLATT: Aber bringen uns längere Laufzeiten oder gar neue Kernkraftwerke nicht in die Abhängigkeit von den wenigen Ländern, die Uranvorkommen haben?

VAHRENHOLT: Natürlich ist Uran genauso endlich wie Gas mit einer Reichweite von 40 Jahren. Aber bei Gas liegen nur 10 Prozent der Reserven in OECD Ländern , bei Uran sind das 50 Prozent. Wenn ich für eine Atempause beim Ausstieg von acht Jahren plädiere, schaffen wir uns Zeit technologisch neue Wege zu gehen ohne neue Abhängigkeiten einzugehen.

ABENDBLATT: Trotzdem bleibt doch die Frage, wie weit Kernkraft überhaupt einen Beitrag für eine sichere Energieversorgung der Zukunft leisten kann. Denn es bleibt ja das Problem mit dem hochradioaktiven Abfall. Ist es da nicht sinnvoller, jetzt das Ruder in der Energiepolitik wirklich herumzureißen?

VAHRENHOLT: Die Endlagerungsfrage müssen wir ohnehin lösen. Ob es eine Zukunft für die Kerntechnik gibt, hängt von der Ingenieurskunst der Kerntechniker ab. Denken Sie an die Fusionsforschung, die eine große Zukunft haben kann und ohne langlebig strahlende Abfälle auskommt, oder den Hochtemperaturreaktor, der naturgesetzlich nicht durchbrennen kann. Klar ist: Kerntechnik kann unsere Probleme allein nicht lösen. Dazu brauchen wir den Mix aus erneuerbaren Energien, Co2-freier Kohle, Energiesparen. Unverantwortlich ist, daß wir in Deutschland ein Forschungsverbot für Kerntechnik haben, es ist pure Ideologie.

ABENDBLATT: Bleiben wir noch einmal beim Abfall. Seit Jahren versucht die Forschung neue Wege zu finden, um das Problem zu entschärfen. Ein Endlager scheint nicht die Lösung. Physiker wollen den Abfall jetzt so behandeln, daß er seine Radioaktivität verliert. Transmutation heißt das Zauberwort. Ist das realistisch ?

VAHRENHOLT: Transmutation, also die Umwandlung langlebiger Zerfallsprodukte in stabile nicht strahlende Elemente, ist hochinteressant, aber verschlingt Energie. Trotzdem muß daran forschen. Aber Deutschland hat sich längst abgemeldet aus der Spitzenforschung der Kerntechnik.

ABENDBLATT: Sie sagen, Sie wollen die Kernkraftwerke als Brücke in die Energiezukunft nutzen. Gesetzt den Fall, 2021 werden in Deutschland wirklich die Kernkraftwerke abgeschaltet, wie sieht der Energiemix dann aus? Werden wir wirklich weniger Atomstrom nutzen, oder wird der nur andere Quellen haben?

VAHRENHOLT: Ich denke, wir werden einen höheren Anteil von Gaskraftwerken haben, deren Strom wir dann sehr teuer bezahlen werden und wahrscheinlich weniger erneuerbare Energien, weil eine Volkswirtschaft nicht zwei Rieseninvestitionen schultern kann. Sicher werden wir aber mehr Strom importieren, wahrscheinlich auch aus Kernkraftwerken.

ABENDBLATT: Und mit welchem Energiemix haben wir wirklich eine Chance, eine nachhaltige Zukunft zu bauen?

VAHRENHOLT: Wir müssen die Endlichkeit von Öl und Gas, den riesigen Energiehunger Chinas und Indiens und den damit dramatisch verbundenen Preisanstieg endlich zur Kenntnis zu nehmen und klimafreundliche, heimische Energieträger, wie erneuerbare Energien, Kohlendioxid-freie Kohlekraftwerke, aber auch effiziente Energienutzung vorantreiben. Vielleicht schaffen wir es, in 30 Jahren die Fusionsenergie, die wahre Sonnenenergie, nutzbar zu machen. Unseren Ingenieuren traue ich das zu. Wenn man sie läßt.