BERLIN. Der Streit über den Atomausstieg wird schärfer: Mehrere Ministerpräsidenten von Unions-regierten Bundesländern haben sich mittlerweile für längere Laufzeiten ausgesprochen. Dagegen pochen die SPD-Ministerpräsidenten weiter auf den im Koalitionsvertrag festgeschriebenen Ausstieg. Damit wächst der Druck auf Angela Merkel. Der konservative Seeheimer Kreis in der SPD warf der Bundeskanzlerin Führungsschwäche vor. Die Union verhalte sich nicht koalitionskonform.

Nach entsprechenden Forderungen aus Hessen, Baden-Württemberg und Bayern regte der saarländische Ministerpräsident Peter Müller ein Moratorium des vereinbarten Atomausstiegs bis zum Ende der Legislaturperiode an. Es ergebe keinen Sinn, Anlagen abzuschalten, obwohl sie auf dem neuesten technischen Stand und nach menschlichem Ermessen sicher seien, sagte Müller der "Bild"-Zeitung.

Der niedersächsische Ministerpräsident Christian Wulff, der sich zuletzt für längere AKW-Laufzeiten ausgesprochen hatte, äußerte sich am Montag eher vorsichtig. "Die politisch motivierten Laufzeitverkürzungen müssen weiter zur Disposition stehen", sagte Wulff. Auch Hamburg und Nordrhein-Westfalen sind für längere Laufzeiten.

Scharfe Kritik kam von der SPD. Forderungen nach Änderungen am Atomausstieg seien "nicht nur ärgerlich, sondern auch eine Ungehörigkeit", sagte der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck. Wenn man ständig Störmanöver fahre, könne das nur bedeuten, daß man die Koalition nicht wolle oder die Kanzlerin nicht gestärkt werden solle. Merkel hatte in der vergangenen Woche betont, daß die Regierung am Ausstieg festhalte.

"Die Ministerpräsidenten tanzen Frau Merkel auf der Nase herum, und sie ist nicht in der Lage, ihre Leute zurückzupfeifen", sagte der Sprecher des Seeheimer Kreises, Johannes Kahrs, der "Welt". Nach Ansicht von SPD-Generalsekretär Hubertus Heil wird das Thema vor allem von den Ministerpräsienten diskutiert, die vor Landtagswahlkämpfen stehen.

Die Grünen wollen angesichts des Atomstreits in der Koalition mit ihrer Energiepolitik bei den bevorstehenden Wahlen um Stimmen kämpfen. Ökologische Modernisierung werde immer klarer zur Voraussetzung für Jobs, für Innovation und für dauerhafte Lebensqualität, sagte Parteichef Reinhard Bütikofer.

In der schwelenden Diskussion um längere Laufzeiten gibt es Überlegungen, auch ältere Reaktoren länger am Netz zu halten. Laut Atomgesetz gibt es neben der Möglichkeit Reststrommengen von alten auf neuere Anlagen zu übertragen auch die umgekehrte Option - wenn die Genehmigungsbehörden zustimmen. Das könnte auch das AKW Brunsbüttel vor den Toren Hamburgs betreffen, das im Jahr 2008 abgeschaltet werden soll. "Es gibt kein Denkmodell, an das wir nicht denken", sagte Johannes Altmeppen, Sprecher des Mehrheitseigentümers Vattenfall Europe dem Abendblatt. "Es gibt aber noch keine Entscheidung." Altmeppen verwies auf den im März geplanten Energiegipfel. "Bislang haben uns die Politiker nie vorher gefragt. Wir warten ab."