„Skandal“ und „abgekartetes Spiel“: Streit um das Energiekonzept und Laufzeiten der Atomkraftwerke wird immer heftiger.

Berlin. Das parlamentarische Verfahren um die Verlängerung der Atomlaufzeiten hat zwischen der Koalition und der Opposition zu einem handfesten Krach geführt. Beide Seiten warfen sich gegenseitig vor, parlamentarische Spielregeln zu verletzen. Auslöser war eine Sitzung des Umweltausschusses am Dienstagabend. Die umweltpolitische Sprecherin der Unions-Fraktion, Marie-Luise Dött (CDU), kritisierte: SPD, Linke und Grüne hätten in der Sitzung „skandalös agiert“ und die Regeln der parlamentarischen Demokratie „auf das Gröbste verletzt“.

Mit einem „durchsichtigen und abgekarteten Spiel“ habe die Opposition versucht, über „unzählige Geschäftsordnungsanträge, unsachliche Zwischenrufe und undiszipliniertes Verhalten“ die Behandlung der Gesetzespläne zu verhindern.

Die Grünen warfen dagegen der Koalition vor, in dem Gremium die Geschäftsordnung des Bundestages außer Kraft gesetzt zu haben. Der Parlamentarische Fraktionsgeschäftsführer der Grünen, Volker Beck, beschwerte sich, die Koalition habe Geschäftsordnungs- und Änderungsanträge nicht angenommen und auch Fragen nicht zugelassen. Das sei eine „Ungeheuerlichkeit“. „So wird das Parlament zum Abnickorgan gemacht“, kritisierte er.

Der Parlamentarische SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann kritisierte, dass in der „chaotischen Sitzung“ die „vielleicht wichtigste Gesetzgebung in dieser Legislaturperiode“ nur unzureichend beraten worden sei. Die Bundesregierung habe „monatelang mit der Atomlobby gesprochen“, im Ausschuss sei dagegen nach den Geschäftsordnungsdebatten nur noch eine Stunde Zeit geblieben, um die Pläne zu erörtern – noch dazu in Abwesenheit von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU).

Die SPD will spätestens im Januar gegen die gesetzliche Verlängerung der Laufzeiten vor das Bundesverfassungsgericht ziehen. Die Prozessbevollmächtigten für die gemeinsame Normenkontrollklage von Bundestagsabgeordneten der SPD und der Grünen seien bereits bestellt, sagte Oppermann. Auf einen Eilantrag werde verzichtet.

Am Donnerstag stimmt der Bundestag über die Atom-Gesetzentwürfe ab. Kernpunkt ist die Verlängerung der Atomlaufzeiten . Die Bundesregierung will die deutschen Kernkraftwerke im Schnitt zwölf Jahre länger am Netz lassen als bisher vorgesehen. Angesichts der Auseinandersetzungen wollen SPD und Grüne nun beantragen, das Thema von der Tagesordnung abzusetzen. Viel Aussicht auf Erfolg haben sie damit allerdings nicht. Möglich ist zwar eine sogenannte Geschäftsordnungsdebatte, in der die Fraktionen ihre Forderung und ihre Verfahrenskritik einbringen können. Die Koalitionsfraktionen dürften den Vorstoß jedoch mit ihrer Mehrheit ablehnen.

Mehrere große Bundesverbände wehren sich gemeinsam gegen die Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken. Einen Tag vor der abschließenden Lesung des Energiekonzepts im Bundestag beklagte DGB-Chef Michael Sommer: „Statt falscher Lobbypolitik gegen die Mehrheit der Menschen braucht unser Land vielmehr eine intelligente und nachhaltige Industrie- und Dienstleistungspolitik mit einem sicheren und sauberen Energiemix, der uns zukunftsfest aufstellt“, sagte Sommer.

Neben dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) kritisierten auch der Bundesverband der Verbraucherzentralen (vzbv) und der Deutsche Naturschutzring (DNR) die Pläne der Bundesregierung. Sommer warnte zudem davor, den Konflikt „auf dem Rücken von Polizisten“ auszutragen. Es sei „völlig unsinnig“, dass die Regierung zunächst gesellschaftliche Konflikte provoziere und Polizisten diese dann durchsetzen müssten . Es sei schwierig, dass sich die Politik über die gesellschaftliche Mehrheit hinweg setze. Hubert Weinzierl vom DNR sagte: Bei der Atomkraft handle es sich nicht um eine „Brückentechnologie“, sondern um eine „Blockadetechnologie“.

vzbv-Vorstand Gerd Billen betonte, längere Laufzeiten brächten keine Preisvorteile für Verbraucher. Es gehe aber nicht nur um die Strompreise, sondern auch um Gesundheit und Sicherheit. Im Ernstfall trage zudem die Allgemeinheit die Kosten eines Unfalls. Vom Bundesumweltministerium würden diese auf rund fünf Billionen Euro geschätzt. Zur Schadensregulierung stünden jedoch pro Kraftwerk nur 2,5 Milliarden Euro zur Verfügung. Im unmittelbar betroffenen Umkreis der Kraftwerke lebten jedoch rund eine Million Menschen, von denen jeder Geschädigte demnach maximal 2500 Euro erhalten würde.