Strukturen in Bundeswehr und im Ministerium gefährdeten das Leben der Soldaten. Es gebe „zu viele Häuptlinge und immer weniger Indianer“.

Berlin. Bei der Reform der Bundeswehr steht viel auf dem Spiel: Es geht um Milliardensummen, um Sicherheit und um Menschenleben. Dass eine Reform notwendig ist, bestreitet kaum jemand. Ohne Veränderung würden die Streitkräfte den Steuerzahler bald 5,5 Milliarden Euro mehr kosten als heute, erklärt Generalinspekteur Volker Wieker.

Dabei soll sie bis 2014 gut acht Milliarden Euro einsparen. In der Truppe drängen Fachleute auf drastische Veränderungen. Mehrere Stabsoffiziere forderten in Gesprächen mit der Nachrichtenagentur dapd die Streichung ganzer Führungsebenen in der Truppe und im Verteidigungsministerium. Die Analyse der einsatzerfahrenen und mit den Verwaltungsstrukturen vertrauten Offiziere: Überbürokratie und Parallelstrukturen bei Bundeswehr und Ministerium gefährden die Soldaten, die etwa in Afghanistan im Einsatz sind.

Es gebe im Verteidigungsbereich „zu viele Häuptlinge und immer weniger Indianer“, kritisieren sie. Die Zahlen geben ihnen recht: 1992 dienten fast 470.000 Soldaten. Geführt wurden sie von 193 Generälen bei der Bundeswehr. Im Verteidigungsministerium saßen noch einmal 44 Generäle. Seitdem hat sich bei der Truppe viel getan. Sie schrumpfte mit heute rund 251.000 Mann auf nahezu die Hälfte. Die Generalsebene erwies sich dagegen als zäh. Die Bundeswehr sparte ganze 29 dieser Spitzenpositionen ein, gerade einmal 15 Prozent.

Im Ministerium sieht das Verhältnis noch schlechter aus. Dort sank die Zahl der Generäle um einen auf jetzt 43. Die Folge: Im Verhältnis zur Mannschaftsstärke hat sich die Zahl der Generäle fast verdoppelt. „Das Problem zieht sich durch alle Befehlsebenen. Dadurch gibt es aktuell zu viele Stabsoffiziere“, kritisieren die Insider, die namentlich nicht genannt werden wollten, und ergänzen: „Wir haben das Problem mit den alten Männern, die oben Dienstposten besetzen, während uns unten Stellen fehlen.“ Das Berufsbild des Offiziers müsse geändert werden. Es könne nicht für jeden eine nach oben offene Laufbahnperspektive geben.

Nach ihrer Einschätzung ist bei der Bundeswehr mit der Divisionsebene praktisch eine komplette Führungsstruktur zu streichen. „Die Divisionen werden nach Ende des Kalten Krieges nirgendwo mehr gebraucht“, urteilen sie. Franzosen und Briten hätten bereits erfolgreich ganze Führungsebenen gestrichen. Zur Koordination bei internationalen Einsätzen reiche ein Divisionsstab aus. Gleichzeitig müssten die darunter angesiedelten Brigaden gestärkt werden. „Das sind nämlich die, die in den Einsatz gehen“, erklären die Offiziere.

Das Verteidigungsministerium sah sich 14 Tage lang nicht imstande, die Zahl der Soldaten in den Stäben der bisher acht Divisionen zu benennen. Nach dapd-Recherchen sind die Stäbe bei den großen Panzerdivisionen des Heeres jeweils mit 230 bis 400 Soldaten besetzt. Das Einsparpotenzial ist erheblich.

Das gilt auch für weitere parallel bestehende Strukturen: Das Einsatzführungskommando in Potsdam führt alle Einsätze. Dazu gehören auch diejenigen, die mit Einheiten anderer Staaten koordiniert werden. „Gleichzeitig leisten wir uns in Ulm ein Extra-Kommando zur Führung multinationaler Einsätze“, kritisiert ein Offizier. Allein in Ulm arbeiten 900 Soldaten.

Auch im Verteidigungsministerium seien deutliche Schnitte und Umstrukturierungen notwendig. „Das muss jetzt endlich kommen“, fordern die Offiziere. Bisher gebe es dort für jedes Vorhaben viel zu viele Instanzen.

So werde die Bewertung einer Vorlage etwa für die Einsatzplanung auf verschiedenen Ebenen mehrfach gemacht. Ein fiktives Beispiel: „Vonseiten der Bundeswehr schlägt das Führungskommando des Heeres für den Afghanistan-Einsatz das Jägerregiment aus Schwarzenborn vor. Ob das einsatzbereit ist, wird also zunächst vom Stab dieses Kommandos geprüft. Von dort geht der Vorschlag ins Ministerium und wird vom Führungsstab des Heeresinspekteurs geprüft. Dann wandert der Vorschlag zum Führungsstab der Streitkräfte, wird dort erneut geprüft und kommt dann auf den Tisch des Generalinspekteurs.“

Zusätzlich gibt es noch den Einsatzführungsstab im Ministerium, der für die Einsatzplanung beim Generalinspekteur wichtig ist, und das Führungskommando bei der Bundeswehr, das die Einsätze leitet. Die haben oft auch noch ein Wörtchen mitzureden.

Gleichzeitig gibt es in den Ministerien für jede Truppengattung noch einen Inspekteur mit eigenem Stab, selbst für die Sanitäter. Die Expertise dieser Inspekteure ist nach Einschätzung der Stabsoffiziere unverzichtbar. Fraglich sei aber, ob sie Stäbe haben müssen. Im Kern gehe es darum, erklären die Offizieren, „eine komplette Verwaltungsebene zu streichen, ohne Wissen und Fähigkeiten zu verlieren“.

Handlungsbedarf sehen die Stabsoffiziere auch bei der Beschaffung. „Dort sollten die Verantwortlichen weniger darüber nachdenken, wie sie etwas verhindern können, sondern sich darum kümmern, wie Abläufe zu beschleunigen sind“, schimpfen die Offiziere. Da herrsche noch immer das alte Denken: „Erst zehn Jahre etwas entwickeln, bis es optimal ist, und dann stellt man es der Bundeswehr auf den Hof.“ Heute gehe es aber darum, den Soldaten im Einsatz gute Ausrüstung schnell zur Verfügung zu stellen. Da müssten bei Details auch mal Abstriche gemacht werden. „Eine schnell zur Verfügung stehende Spitzenausrüstung ist für unsere Männer im Einsatz von überragender Bedeutung“, betonen die Offizieren, „sie kann da draußen über Leben und Tod entscheiden.“