Sein erster Auslandsbesuch führt Joachim Gauck nach Warschau. Dort wird er als “Symbol der Verantwortung und Wahrheit“ gewürdigt.

Warschau. Was für ein schöner Dienstag! An seinem ersten regulären Arbeitstag, am Montagnachmittag, war Joachim Gauck in Berlin ins Flugzeug gestiegen. Der Kompass seines Herzens hatte ihm die Richtung vorgegeben:Seine erste Reise hatte das ihm wohlvertraute Polen zum Ziel. Dort absolvierte er gestern ein kurzes Besuchsprogramm.

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Und anders als bei früheren Besuchen gab es diesmal zwischen Deutschen und Polen nicht ansatzweiseKrisenstimmung, und erst "beschnuppern" musste man sich auch nicht. Deutsche Präsidenten hatten in Polen früher immer wieder wichtige Signale gesetzt. Roman Herzog hatte, an der Seite seines damaligen Gastgebers Lech Walesa, 1994 eine bedeutende Rede zum 50. Jahrestag des Warschauer Aufstands gehalten. Acht Jahre später hatten die Präsidenten Rau und Kwasniewski angeregt, mit einem "Europäischen Netzwerk Erinnerung und Solidarität" die Geschichte gemeinsam aufzuarbeiten. Es war die Zeit, als heftige Debatten über die Geschichte aufkamen, die jahrelang anhalten sollten.Da konnte auch Horst Köhler nicht viel ausrichten. Doch er bemühte sich,Signale zu setzen, und machte seinen ersten Besuch, wie jetzt Gauck, inPolen. Sein Nachfolger Wulff hatte zwar seine ersten Reisen nach Frankreich und Brüssel unternommen, war als Präsident dann jedoch siebenmal in Polen.

+++Das ist der engste Vertraute von Joachim Gauck+++

Und jetzt Gauck. Abendessen bei Staatspräsident Bronislaw Komorowski im Warschauer Schloss Belvedere, mit Lebensgefährtin Daniela Schadt und Anna Komorowska. Zwei Präsidenten jenseits der Lebensmitte, beide Väter mehrerer Kinder, beide mit der Erfahrung, wie schmerzhaft Gewaltherrscher eingreifen können in das Leben einer Familie. Sie haben sich verstanden, der Plauderer Komorowski und der Prediger Gauck. "Ich hatte eine sehr gute Stimmung erwartet", flüstert JacekMichalowski, der Chef des gastgebenden Präsidialamtes, als gerade diePressekonferenz beginnt. "Aber dass sie noch besser werden würde als das ..."

Im Präsidentenpalast treten die beiden Herren vor die Kameras. Gauck freut sich über die "Offenheit und Freundlichkeit", mit der er empfangen worden sei. Er erinnert daran: "Ich bin ein älterer Deutscher", auch deswegen sei ihm die Frage deutscher Schuld und ihrer Aufarbeitung sehr gegenwärtig. Das Geschehen sei ja "vor meiner Zeit" gewesen, sagt Gauck. Und doch mag er sich erinnert haben an das Jahr 1943, als er bei seinem Vater nahe Danzig wohnte. Der Vater, zur Kriegsmarine eingezogen, war dorthin versetzt worden.

Mit Komorowski ging es, so stellte der Gast befriedigt fest, fast nur umGegenwart und Zukunft. Nicht um alte Lasten, sondern um gemeinsameWerte - erprobt im Kampf gegen die Diktatur - und um künftige Aufgaben. Um das, was man gemeinsam tun könne. Vor allem für Polens östliche Nachbarn, die zugleich die Nachbarn der EU sind: Gauck lobte das "Geschick" Polens im Einsatz für eine nähere Anbindung dieser Länder an die Gemeinschaft. Aber auch zwischen Deutschen und Polen gibt es einiges zu besprechen. Man wolle vielleicht in der Begegnungsstätte im schlesischen Kreisau (Krzyzowa)etwas veranstalten, auch das Deutsch-Polnische Jugendwerk weiter fördern.

Auch Fragen muss sich der neue Präsident gefallen lassen. Was er von der Schuldenkrise in der Euro-Zone halte und von der heftig umstrittenen Erhöhung des Rentenalters in Polen. Er lässt sich nicht aufs Glatteis locken."Als Bürger und als Präsident", sagt er, als wolle er sich noch einmal seineralten Rolle vergewissern: Es gebe das "Leitmotiv Europa" als Richtschnur. Mehr Europa wagen!

Am Ende noch mehr Verbindendes. Schon eingangs hatte Gauck hervorgehoben: "Für mich ist Polen das europäische Land der Freiheit. Ein Liebhaber der Freiheit wird sich dort immer wohlfühlen." Und noch ein Satz, ein Lob, das aber nicht schulterklopfend daherkommt: "Wir haben viel zu lernen von unseren polnischen Nachbarn." Das Fundament sei da. Auch wenn die Deutschen und früher die Westdeutschen vor allem nach Italien und Frankreich gefahren seien, wo "die Freiheit geleuchtet" habe: Andere, etwa ehemalige Breslauer und Stettiner, seien nach Wroclaw und Szczecin gefahren.

Dann noch ein Überraschungsgeschenk: Komorowski lässt ein gerahmtes Plakat bringen. Es zeigt Gary Cooper in "High Noon", wie er zum Duell schreitet. In seiner Hand anstatt des Colts ein Stimmzettel mit der Aufschrift "Solidarnosc". Mit diesem Plakat hatte die Solidarnosc-Bewegung 1989 zu den ersten halbwegs freien Wahlen mobilisiert. Nur hatte Komorowski sich verrechnet: Gauck hat das Plakat bereits, in seiner Wohnung, wie er sagt. "Es hat uns damals ermutigt", so erinnert er sich an die Wende in der DDR. Jetzt will er ein Plakat zu Hause, eines im Schloss Bellevue aufhängen.

Gestern folgte noch ein Treffen mit Premier Donald Tusk, der recht gut Deutsch spricht. Im polnischen Parlament dann hatten die Mühen der Ebene den Gast wieder eingeholt: Solidarnosc-Gewerkschafter, die in Zelten gegen die Rentenreform protestieren, und hungrige Oppositionspolitiker. Parlamentspräsidentin Ewa Kopacz begrüßte mit Gauck, dem einstigen Chef der Stasi-Aktenbehörde, ein "Symbol der Verantwortung, Freiheit und Wahrheit".