Kanzlerin und Kabinett zeigen sich solidarisch mit Christian Wulff. Aber die Union verliert langsam die Geduld in der Debatte um mehr Transparenz.

Berlin. Vielleicht hatte Guido Westerwelle schon von Weitem bemerkt, dass das Präsidentenpaar nach stundenlangem Defilee eine kleine Aufheiterung brauchte. Nachdem Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Vizekanzler Philipp Rösler (FDP) mehr höflich als herzlich den Wulffs die Hände geschüttelt hatten, war es Zeit für den Auftritt des Außenministers: Es folgte eine ausgesprochen fröhliche Begrüßung für Christian Wulff, dann ein Küsschen links, ein Küsschen rechts für Gattin Bettina. So vertraut hatte sich bis dahin keiner der Gäste des Neujahrsempfangs im Schloss Bellevue mit den Wulffs gezeigt. Auch die Kanzlerin, die immerhin mit einer zarten Armberührung sichtbare Nähe zu Bettina Wulff zeigte, stellte er in den Schatten. Auf das Raunen im Saal entgegnete Westerwelle strahlend: "Man muss nicht verschweigen, wenn man sich mag."

Die Kanzlerin lächelte milde, als sie das hörte. Sie war die Erste, die nach dem offiziellen Foto ihres Bundeskabinetts mit den Wulffs den Saal verließ. Auch sie hatte sich zuletzt Vorwürfe anhören müssen, sie dränge "ihren" Bundespräsidenten nicht genug, den Forderungen nach mehr Transparenz in der Kredit- und Medienaffäre nachzukommen. Wochenlang hat Merkel Wulff inzwischen öffentlich ihr Vertrauen ausgesprochen. Es scheint, als ob sie dies auch weiterhin tun muss.

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Wulff selbst zeigte beim Empfang, zu dem er auch engagierte Bürger aus allen Bundesländern eingeladen hatte, stundenlang ein routiniertes Lächeln. Ob ihn die auch gestern weiter kochende Debatte über mögliche Nachfolger beschäftigte? Er ließ es sich nicht anmerken. Auch nicht, dass sein Empfang von Absagen überschattet wurde: Die Spitzen von SPD und Grünen blieben fern. Die Vorsitzende der Anti-Korruptions-Organisation Transparency International, Edda Müller, und der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Michael Konken, kamen aus Protest nicht.

Zugleich schwand gestern der Rückhalt des Staatsoberhaupts in der Union. Die Diskussion um Wulff werde so schnell nicht enden, und die Dinge würden auch nicht in einem Jahr vergessen sein, sagte der Berliner CDU-Bundestagsabgeordnete Karl-Georg Wellmann dem ZDF. "Und deshalb wäre das ein Schrecken ohne Ende, und ein Ende mit Schrecken wäre besser." Das Amt des Präsidenten sei schon jetzt beschädigt, allein durch die Diskussion in den Medien. Der Brandenburger CDU-Bundestagsabgeordnete Hans-Georg von der Marwitz legte nach: "Aufgrund der unwürdigen Diskussion der vergangenen Woche lege ich es dem Bundespräsidenten nahe, Verantwortung zu übernehmen und Konsequenzen zu ziehen", sagte er dem "Tagesspiegel".

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Auch im niedersächsischen Heimatverband Wulffs verliert die CDU-Führung die Geduld: "Wulff hat im Fernsehen vor 18 Millionen Bürgern zugesichert, dass die 450 Fragen beantwortet und offengelegt werden. Ich denke, darauf warten wir alle, und das muss jetzt auch passieren", sagte der niedersächsische CDU-Landtagsfraktionschef Björn Thümler der "Nordwest-Zeitung". Die Weigerung der Anwälte Wulffs, Informationen aus rechtlichen Gründen nicht zu veröffentlichen, "mag juristisch richtig sein, aber es ist politisch falsch", sagte er weiter.

Der Druck steigt auch, weil mehrere Medien der detaillierten Veröffentlichung von Fragen und Antworten zur Kreditaffäre zustimmen. In einem Brief habe die "Bild"-Zeitung die "ausdrückliche Genehmigung" zur Veröffentlichung ihrer Anfragen sowie Wulffs Antworten erteilt, damit der Präsident eine "größtmögliche Transparenz" herstellen könne, sagte ein Sprecher der Axel Springer AG.. "Wir hoffen, dass viele Journalisten dem Beispiel folgen werden." Neben "Bild" gaben auch die "Berliner Zeitung" und die "Frankfurter Rundschau" ihre Fragen frei. Auch der "Spiegel" ist offen für eine Verbreitung seiner Anfragen. Wulffs Anwalt Gernot Lehr hatte argumentiert, seine Kanzlei sei "aus Rechtsgründen daran gehindert", die Medienanfragen und die Antworten darauf zu veröffentlichen.

Auch unter den Gästen des Empfangs im Schloss Bellevue gehörte Wulffs Umgang mit der Wahrheit zu den bestimmenden Diskussionsthemen. Für die Hamburger Ehrengäste Ulrike Gatzke, Gürol Gür, Mohammed Khalifa, Zaman Masudi und Dorit Pluns war eine Absage aber nicht infrage gekommen. Doch auch hier gab es Kritik am Präsidenten: "Ich finde es nicht gut, was Herr Wulff aus dem Amt gemacht hat", sagte Zaman Masudi nach der Begegnung mit Wulff. Die Ansprechpartnerin für Flüchtlinge in Hamburg hatte dem Staatsoberhaupt bei der Begrüßung einen offenen Brief gegeben, der auf die schwierige Situation von Flüchtlingen in Deutschland aufmerksam machen soll. "Er hat gesagt, er werde ihn lesen", sagte Masudi mit einem leichten Zweifel in der Stimme. Auch Orientwissenschaftler Mohammed Khalifa hatte Wulf ein Geschenk mitgebracht: ein kleines Papyrusschiffchen, versehen mit einem arabischen Spruch: "Auf schwierige Zeiten kommen gute Zeiten." Khalifa sagte nach dem Treffen, er habe einen positiven Eindruck von Wulff. Angesprochen auf die Affäre wurde Khalifa deutlich: "Ich komme aus Ägypten. Und aus ägyptischer Sicht ist diese Affäre eine lächerliche Sache."