Die Präsidentschaft von Christian Wulff stand von Anfang an für Merkels Taktik. Das führt auch zu Überreaktionen auf seine Fehler

Ist der Fall Wulff inzwischen auch ein Fall Merkel?

Die CDU-Vorsitzende und Bundeskanzlerin konnte doch wirklich nicht ahnen, dass der vermeintlich solide Politprofi Christian Wulff wegen seines fahrlässigen Umgangs mit neureichen Gönnern dermaßen in die Bredouille geraten würde. Angela Merkel konnte auch nicht ahnen, dass Wulffs Vorgänger Horst Köhler ohne nachvollziehbaren Grund so einfach als Bundespräsident zurücktreten würde. Genauso wenig konnte 1999 der damalige Kanzler Gerhard Schröder ahnen, dass Johannes Rau im Präsidenten-Amt von einer Wulff-ähnlichen Affäre um kostenlose Flüge eingeholt werden würde.

Und dennoch: Drei Bundespräsidenten, drei Krisen - und jedes Mal waren auch die Regierungskoalition und die Kanzlerin beziehungsweise der Kanzler davon betroffen und gerieten in die Kritik. Dreimal zu Recht, vor allem jetzt bei Wulff. Denn dreimal war es bei der Präsidenten-Wahl nicht nur darum gegangen, ein geeignetes und würdiges Staatsoberhaupt ins Schloss Bellevue zu bringen, sondern dreimal sollte durch die Wahl auch Regierungs- und Koalitionsmacht vorgeführt werden. Nach dem Motto: Mehrheit ist Mehrheit. Ganz besonders gilt das für die Wahl Wulffs im vergangenen Jahr, als Merkel sich über den faszinierenden Kandidaten Joachim Gauck hinwegsetzte, nur um ihrem wackeligen schwarz-gelben Bündnis mal wieder zu einem Erfolgserlebnis zu verhelfen.

Deshalb war Wulffs Präsidentschaft von Anfang an viel zu sehr machtpolitisch aufgeladen, deshalb artet Wulffs persönliche Affäre nun zur parteipolitischen Schlacht aus. SPD und Grüne revanchieren sich damit an Merkel für die Gauck-Niederlage. Das macht die Krise größer als angemessen. Sie hat ohnehin schon eine maßlose Dimension dadurch bekommen, dass das Präsidenten-Amt immer mehr auch mit schier unerfüllbaren Hoffnungen und Ansprüchen vieler Bürger aufgeladen wird. Das führt nun zu manchen hasserfüllten Überreaktionen auf Wulffs Fehler.

Bundespräsident - das war schon immer eine ganz vage Job-Beschreibung. Das Staatsoberhaupt soll das Volk repräsentieren, gute Figur bei Auslandsreisen und Sternsinger-Empfängen machen. Der Präsident (oder bald vielleicht die Präsidentin) soll aber auch oberster Staatsrechtler sein, wenn er die neuen Gesetze prüft und unterzeichnet. Er soll wegweisende Reden halten, voller Intellektualität, Lebenserfahrung und moralischer Autorität. Je mehr die Bürger den Anschluss an das komplexe Politik-Geschehen verlieren, desto größer werden ihre Erwartungen. Politikverdrossene wollen vom Bundespräsidenten von ihrer Verdrossenheit erlöst, Wutbürger wieder mit dem Staat versöhnt werden.

Das kann kein Mensch, das gibt das Bundespräsidenten-Amt nicht her. Es verliert ja seit Jahren eher noch an Einfluss- und Wirkungsmöglichkeiten, weil in der globalisierten Weltpolitik jedes Land nur von einer einzigen, der mächtigsten politischen Figur repräsentiert wird - und das ist in Deutschland die Bundeskanzlerin.

Deshalb wäre es auch nicht sinnvoll, den Bundespräsidenten direkt vom Volk wählen zu lassen. Dazu müsste man ihm mehr Macht geben, wodurch das Staatsgefüge ins Ungleichgewicht geriete. Bliebe das Amt im heutigen Zuschnitt, würde das Interesse rasch abflauen und die Wahlbeteiligung wäre bald peinlich gering.

Gelegentlich wird schon gefordert, den Bundespräsidenten ganz abzuschaffen. Doch auch dann müsste das Staatsgefüge neu justiert werden. Und es wäre schade um die Chance, dem Präsidentenamt nach Wulff doch wieder Ansehen und Gehör zu verschaffen. Gerade weil es keine genaue Arbeitsbeschreibung gibt, kann ein guter Präsident (oder eine gute Präsidentin) das Amt ganz persönlich prägen und gewichten.

Es darf aber kein Präsident mehr sein, dessen Durchsetzung in der Bundesversammlung ein machtpolitischer Gewaltakt ist, sondern einer, bei dessen Auswahl es nicht um Partei-Taktik, sondern ausschließlich um persönliches Format und geistiges Potenzial geht. Auch so einer kann einmal in eine Krise geraten, aber es ist dann keine Partei- oder Regierungskrise. Und eine Staatskrise schon gar nicht.