Der EU-Energiekommissar über das Staatsoberhaupt, eigene Ambitionen und die Frage, wie Europa energiepolitisch wettbewerbsfähig bleibt.

Hamburg. Deutschlands Nummer eins in Brüssel ist ein langjähriger Weggefährte Christian Wulffs . Man kennt sich schon aus der Jungen Union. Oettinger sieht den Parteifreund nun eine "schwere Zeit" durchleben.

Hamburger Abendblatt: Herr Oettinger,hatten Sie in den vergangenen Wochen Kontakt zu Christian Wulff?

Günther Oettinger: Nein, ich hatte keinen direkten Kontakt zu ihm. Ich habe Christian Wulff zuletzt im November bei einer Wirtschaftstagung getroffen. Da haben wir uns ausgetauscht. Seitdem aber nicht mehr.

Sie kennen sich seit Jahrzehnten. Wissen Sie, wie es ihm geht?

Oettinger: Ich glaube, dass er besten Willens ist, sein Amt weiter auszuüben und seinen vielfältigen Verpflichtungen nachzukommen. Er will und wird die volle Autorität dafür zurückerlangen. Er durchlebt eine schwere Zeit, die nicht vergleichbar ist mit normalen Amtsgeschäften.

Sie beide waren Ministerpräsidenten. Hat Wulff das Amt des Staatsoberhauptes unterschätzt?

Oettinger: Das glaube ich nicht. Auch als Ministerpräsident hat er wichtige Repräsentationspflichten wahrgenommen. Das ist ein Amt, das gegenüber dem Amt des Bundespräsidenten vergleichbare Züge aufweist. Wulff ist mit viel Erfahrung und mit genügend Wissen über seine neuen Aufgaben Bundespräsident geworden.

Was erwarten Sie jetzt von Wulff?

Oettinger: Er soll weiter allen seinen Amtsaufgaben nachgehen. Er hat die Macht des Wortes und kann mit eigenen Beiträgen wichtige Themen entscheidend mitprägen. Darin sehe ich jetzt eine große Chance für Christian Wulff.

Sollte der Anruf des Bundespräsidenten auf der Mailbox von "Bild"-Chefredakteur Kai Diekmann offengelegt werden?

Oettinger: Sein Anruf auf der Mailbox war eine Art Vieraugengespräch. Da sollte Vertraulichkeit bewahrt werden. Eine Veröffentlichung bringt keineneuen Erkenntnisse. Und man sollte da jetzt nicht mehr hineingeheimnissen als objektiv erwartet werden kann.

Haben es Politiker heute schwerer als noch vor Jahrzehnten?

Oettinger: Anders als früher ist diePrivatsphäre von Entscheidungsträgern in Wirtschaft und Politik nicht mehr automatisch gesichert. In einer sich immer schneller drehenden Kommunikationswelt haben die Menschen viel direktere Zugänge zu Informationen. Politiker müssen sich darauf einstellen, unter diesen veränderten Rahmenbedingungen zu arbeiten.

Hat Sie die Affäre Wulff auch vorsichtiger gemacht?

Oettinger: Grundsätzlich muss man sich in jedem demokratischen Amt immer wieder überprüfen. Was muss man verbessern, was muss man beobachten?

Sie wollen Ihre Aufgabe als EU-Kommissar nur bis 2014 ausüben. Sind Sie amtsmüde?

Oettinger: Überhaupt nicht. Aber es ist vorgeschrieben, dass die Amtszeit 2014 endet. Die Frage nach einer zweiten Amtszeit stellt sich momentan nicht. Ich will diesen Gedanken nicht generell ablehnen. Ich habe aber eher Interesse, nach der Zeit in Brüssel noch eine Aufgabe in der Privatwirtschaft anzunehmen.

Können Sie sich ein Comeback in der deutschen Politik vorstellen?

Oettinger: Ich bin gebeten worden, für Deutschland in die EU-Kommission zu gehen. Ich fühle mich in Brüssel wohl. Die Europäisierung der Energiepolitik liegt ganz im Interesse der deutschen Wirtschaft, und ich will diesen Interessen gerecht werden. Eine Rückkehr etwa auf die Landesebene in Baden-Württemberg kann ich mir nicht vorstellen.

Wird die Eurokrise in Brüssel eigentlich anders wahrgenommen als etwa in Deutschland, in Hamburg und Berlin?

Oettinger: Durchaus. Was hierzulande nicht immer gesehen wird: Es gibt in Brüssel und im gesamten Europa die klare Erwartung an Deutschland, eine besondere Verantwortung für den Erhalt des Binnenmarktes und der europäischen Währung wahrzunehmen. Vor allem wird ein kollegialer deutscher Kurs bei der Exportwirtschaft erwartet, aber auch ein besonderer Beitragzur Stabilisierung strukturschwächerer europäischer Staaten.

Und soll die Bundesrepublik all diese Erwartungen erfüllen?

Oettinger: Ja, weil der Erhalt des europäischen Binnenmarktes und der europäischen Währung gerade auch im Interesse unserer Arbeitsplätze und der deutschen Wirtschaft liegt.

Droht Europa eine weitere Spaltung, sollte die Finanztransaktionssteuer nur in der Euro-Zone und nicht in der gesamten EU eingeführt werden?

Oettinger: Nein, ich halte eine Einführung der Transaktionssteuer zunächst in der Euro-Zone für vorstellbar.

Bald könnte es wieder eng werden für manche Eurostaaten. Sollten Schuldensünder aus der Euro-Zone ausgeschlossen werden können?

Oettinger: Eine solche Diskussion sollten wir gar nicht erst führen. Wenn die Staatengemeinschaft Griechenland ausschließt, dann schwindet automatisch das Vertrauen in weitere Euro-Staaten. Wir sind auf dem Weg, für Griechenland einen Schuldenschnitt zu erarbeiten, bei dem auch private Gläubiger ihren Beitrag leisten. Wir können damit die griechischen Staatsschulden auf das Niveau Italiens führen. Und wenn wir Italien zutrauen, seine Probleme zu lösen, dann können wir dieses Vertrauen auch in Griechenland haben.

Herr Oettinger, die Energiewende ist erst am Anfang. Auf welche Energien sollEuropa überhaupt setzen?

Oettinger: Wir haben in Europa alle Möglichkeiten, einen arbeitsteiligen Energiemix aufzubauen. Die Länder sollten sich daher spezialisieren. Finnland hat hervorragende Eignungen für Biomasse. Österreich und die Schweiz bieten sich perfekt an für Speicher- und Wasserkraftwerke. Wir haben von Irland über Norddeutschland bis Skandinavien hervorragende Standorte für Windenergie. Spanien, Griechenland, aber auch europäische Nachbarn wie Marokko, Tunesien und Libyen sind ideal für Solarenergie. Wenn wir ein paneuropäisches Energienetz aufbauen, erschaffen wir damit einen Exportmarkt für Strom und ein breites europäisches Energie-Know-how.

Welche Märkte haben Sie im Blick?

Oettinger: In den nordafrikanischen Staaten bieten sich enorme Entwicklungschancen. Bislang wird in diesen Regionen Strom weitgehend durch Ölverbrennung gewonnen. Europa kann helfen, die Ölverbrennung dort Stück für Stück zu beenden, und kann einen entscheidenden Beitrag für eine umweltfreundliche Stromgewinnung leisten. Europa sollte jetzt mit den nordafrikanischen Staaten eine partnerschaftliche Energiestrategie aufbauen.