Nach den Hartz-IV-Vorschlägen der SPD-Spitzenkandidatin für NRW schlagen die Wellen hoch - und das auf beiden Seiten.

Düsseldorf. Zwei Monate vor der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen heizen die Vorschläge von SPD-Landeschefin Hannelore Kraft zur freiwilligen Beschäftigung von Hartz-IV-Empfängern den politischen Schlagabtausch an. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers bezeichnete den Vorschlag zur gemeinnützigen Beschäftigung von Langzeitarbeitslosen im Bayerischen Rundfunk als zynisch. „Das Hauptproblem ist, dass ein Viertel der Langzeitarbeitslosen mit diesem Vorschlag abgeschrieben wird“, sagte der CDU-Politiker. „So darf man nicht mit Menschen umgehen." Außerdem sei Krafts Vorstoß „undurchdacht“. Denn es bestehe die Gefahr, dass sozialpflichtige Arbeitsplätze abgebaut würden, wenn man die Programme zur Beschäftigung von Arbeitslosen massiv ausweite.

Unterstützung bekam Kraft dagegen von der eigenen Partei. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, betonte im Sender N24: „Frau Kraft hat nicht gefordert, wir wollen mehr Sanktionen gegen Arbeitslose, weil sie im Prinzip arbeitsunwillig sind. Sondern wir wollen für Arbeitswillige, die aber im Moment keine Chance haben, einen guten und hoch bezahlten Job auf dem ersten Arbeitsmarkt zu kriegen, mehr öffentliche Beschäftigung organisieren.“ SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles sagte, die Vorschläge Krafts, die als Spitzenkandidatin bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen im Mai antritt, basierten auf Freiwilligkeit und seien somit „das Gegenteil“ der umstrittenen Ideen von FDP-Chef Guido Westerwelle.

Kraft hatte vorgeschlagen, dass Hartz-IV-Empfänger Straßen fegen oder in Altenheimen und Sportvereinen helfen sollen. Dies seien Möglichkeiten für eine freiwillige Arbeit zum Wohl des Gemeinwesens. Im Unterschied zu FDP-Chef Guido Westerwelle gehe es ihr nicht um Zwang, sondern um eine "dauerhafte Perspektive" für nicht vermittelbare Langzeitarbeitslose. Doch die Skepsis gegenüber ihren Vorschlägen ist groß. "Wir organisieren bereits heute in erheblichem Umfang gemeinnützige Jobs für Langzeitarbeitslose, denkt man an die Ein-Euro Jobs", sagte Heinrich Alt, Mitglied im Vorstand der Bundesagentur für Arbeit (BA), dem Abendblatt. Ziel der BA sei es, möglichst viele Arbeitslose wieder an den regulären Arbeitsmarkt heranzuführen, ihre Beschäftigungsfähigkeit zu verbessern. Alt kritisierte zudem die öffentliche Debatte über Hartz IV. "Wir reden zu viel über Geld und zu wenig über Integrationsarbeit." Es gelte, eine Debatte zu führen, wie man die Teilhabemöglichkeiten erschließen kann. "Gelingt dies nicht, unterstützt der Staat übergangsweise mit Sozialtransfers", sagte Alt.

Der Vorsitzende des CDU-Sozialflügels, NRW-Arbeitsminister Karl-Josef Laumann, nannte es unerträglich, dass die SPD-Landeschefin einem Viertel der Hartz-IV-Empfänger keine Chancen mehr einräume. Und der designierte Generalsekretär der NRW-CDU, Andreas Krautscheid, sprach gar von einer "Kapitulationserklärung gegenüber allen Arbeit suchenden Menschen". Statt neue Ideen zu präsentieren, kopiere Kraft Westerwelle.

Auch die Gewerkschaft ver.di kritisierte die Vorschläge. Kraft werte hoch qualifizierte Tätigkeiten im sozialen Bereich ab und unterschätze Verdrängungs- und Dumpingeffekte zulasten regulärer Beschäftigung durch niedrig oder gar nicht entlohnte Arbeitskräfte. Von einer "missverständlichen Idee" sprach auch die Präsidentin des Sozialverbands VdK, Ulrike Mascher. Es gebe bereits eine beachtliche Zahl von gemeinnützigen Jobs.

Der Direktor des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft, Michael Hüther, nannte die Schaffung eines gemeinnützigen Arbeitsmarktes dagegen "berechtigt". Ergänzend zur normalen Arbeitsvermittlung könnten solche Angebote funktionieren, weil es eine große Anzahl von Langzeitarbeitslosen gebe, die auf dem ersten Arbeitsmarkt nicht vermittelt werden könne.

Wer Kraft kennt, weiß dass ihre Vorschläge nicht aus heiterem Himmel kamen. Seit Jahresbeginn ist sie auf einer "Tat-Kraft-Tour" unterwegs und arbeitet tageweise in sozialen Einrichtungen mit - Seite an Seite mit Ein-Euro-Kräften. Und sie erhält auch Zustimmung abseits der eigenen Partei. "Es ist gut, wenn Politiker aller Parteien endlich darüber reden", sagte FDP-Sozialpolitiker Heinrich Kolb. Ein Lob, das auch nach einer Rechtfertigung für die lauten Töne seines Chefs Westerwelle klingt.