SPD-Kandidatin Hannelore Kraft gibt die “Landesmutti“ und punktet gegen den CDU-Regierungschef mit Bürgernähe und Beharrlichkeit.

Hamburg. Die Herausforderin hat es schwer. Wer aus der Opposition gegen einen amtierenden Ministerpräsidenten antritt, der muss sich den Wählern bekannt machen und gleichzeitig natürlich auch beliebt bei ihnen, sich gegen den Amtsbonus des anderen durchsetzen, der ohnehin ständig präsent ist. Nordrhein-Westfalens SPD-Kandidatin Hannelore Kraft, die Arbeitertochter aus dem Pott, hat diese mühsame Ochsentour gegen den sozialdemokratischsten aller CDU-Ministerpräsidenten, Jürgen Rüttgers, eigentlich gerade erst so richtig begonnen - und sah bisher für die Wahl am 9. Mai weit abgeschlagen aus.

Bisher. Bis Rüttgers in die Sponsoring-Affäre geriet. Die aktuellste Umfrage für den ARD-Deutschlandtrend katapultiert sie ganz nah an Rüttgers heran. Bei einer Direktwahl würde Hannelore Kraft 43 Prozent der Stimmen bekommen, Rüttgers stürzte um sieben Prozentpunkte auf 44 Prozent. SPD-Chef Sigmar Gabriel, der sich Kraft im November als Stellvertreterin an die Seite holte, wird aus Berlin mit Stolz auf seine Hoffnungsträgerin blicken. Wären am Sonntag Wahlen, hätte die schwarz-gelbe Regierung in Düsseldorf demnach keine Mehrheit mehr. CDU (35 Prozent) und FDP (zehn Prozent) kämen insgesamt nur auf 45 Prozent der Stimmen. SPD (33 Prozent) und Grüne (13 Prozent) überflügeln das Bündnis sogar mit 46 Prozent, hätten aber auch keine absolute Mehrheit. Nach einer Umfrage für die "Bild" liegen beide große Parteien sogar mit 36 Prozent gleichauf. Drittstärkste Kraft sind dem Blatt zufolge die Grünen mit elf Prozent, die FDP käme auf sieben Prozent. Auch die Linkspartei erreichte sieben Prozent und würde demnach erstmals den Einzug in den Landtag schaffen.

Die SPD darf in ihrem Stammland, das sie sich 2005 nach 39 Jahren von der CDU abnehmen ließ, Morgenluft wittern. Wobei allerdings die möglichen Koalitionen völlig offen sind: Da es für Schwarz-Gelb oder Rot-Grün nicht reichen wird, sind ein Jamaika-Bündnis aus CDU, FDP und Grünen sowie eine Großen Koalition denkbar. Hannelore Kraft lehnt eine Zusammenarbeit mit den Linken bisher ab, sodass sie sich auf kein rot-rot-grünes Wagnis nach dem missglückten hessischen Vorbild von Andrea Ypsilanti einlassen wird.

Kippt Rüttgers' Mehrheit, dann verliert auch die schwarz-gelbe Bundesregierung im Bundesrat ihre Mehrheit. Die SPD würde wieder Einfluss zurückerobern. "Wir wollen mit einem Regierungswechsel und einer Ablösung von Rüttgers einen Politikwechsel in Berlin einleiten", hat Gabriel denn auch erst vor wenigen Tagen beim NRW-Landesparteitag vorgegeben. Er hat längst auf Angriff geschaltet und diesen unter Ausnutzung von Rüttgers' Sponsoring-Affäre bis nach Berlin getragen. "Ein Amtsträger hat Amtszeit verkauft. Das ist nun wirklich etwas anderes als Sponsoring", sagte er über die Angebote der NRW-CDU, die Sponsoren gegen mehrere Tausend Euro Einzelgespräche mit Rüttgers angeboten hatte. In der ARD sprach Rüttgers zwar von "Diffamierung". Der Vorwurf der Käuflichkeit sei ihm aber unter die Haut gegangen, gab er zu. Um das Vertrauen der Wähler zurückzugewinnen, werde man nun alles offenlegen, was offenzulegen sei. Trotz allem sei er siegesgewiss, sagte der Regierungschef am Freitag beim Zukunftskongress seiner Partei in Neuss.

Auf Unterstützung aus Berlin darf Rüttgers aber kaum noch hoffen. Bei einem Kamingespräch der CDU-Ministerpräsidenten mit Kanzlerin Merkel soll vereinbart worden sein, die geplanten Reformen der Bundesregierung schneller voranzutreiben - ohne Rücksicht auf die nordrhein-westfälische Landtagswahl, meldeten "Handelsblatt Online" und Bild.de

Trotz all dieser offenen Flanken ihres politischen Gegners, hält Hannelore Kraft sich mit Aggressivität zurück. Sie gibt lieber die "Landesmutti", die einer "Kümmerer-Partei" vorsteht. Man weiß, dass das bei den Nordrhein-Westfalen, die ihren langjährigen Ministerpräsidenten Johannes Rau (SPD) deswegen liebten, gut ankommt. Um ganz nah an die Bürger heranzukommen, hat sie mit ihren Genossen im Landtag die "Initiative Tatkraft" gestartet. Acht Stunden wollen alle in die Arbeitswelt eintauchen. Diplom-Ökonomin Kraft fertigte mit Frauen aus neun Nationen in Zwei-Euro-Jobs einen Wandteppich für einen Kindergarten. Sie will sich damit "neu erden in der wirklichen Welt der Menschen", sagt sie. So etwas kommt gut an. Die verheiratete Mutter eines jugendlichen Sohnes versteht es auch, sich im Arbeitermilieu Respekt zu verschaffen. Sie kommt an, doch manche vermissen eine deutliche, klare Linie. Dafür hat sie noch zwei Monate Zeit.