Franz Josef Jung ist jetzt von den langen Schatten seines alten Amtes als Verteidigungsminister eingeholt worden.

Berlin. Politik kann unerbittlich sein. Als Franz Josef Jung gestern im Deutschen Bundestag um sein Leben lächelte - es war die sichtbare Schockreaktion auf die Nachricht von der Entlassung seines ehemaligen Staatssekretärs und des Generalinspekteurs - , trat Christian Ströbele ans Mikrofon. Und nachdem er den einstigen Verteidigungsminister und amtierenden Arbeitsminister noch einmal streng ins Auge gefasst hatte, erklärte der Grünen-Politiker, er habe jetzt genug von "diesem Herrn, der immer noch auf der Regierungsbank sitzt und nichts tut außer lächeln!"

Jung hat an diesem Tag lange gebraucht, bis er selbst in der Lage war, ein paar Worte zu sagen. Während die SPD einen Antrag zur Geschäftsordnung einbrachte, die ihn ans Rednerpult zwingen sollte, saß er wie gelähmt in seinem Sessel. Und erst, als Union und FDP den Antrag mit ihrer Mehrheit abgeschmettert hatten, raffte er sich auf, freiwillig zum Rednerpult zu gehen. Er wolle, sagte er dann, die Chance "erbitten", den Sachverhalt zu überprüfen, um "im Laufe des Tages Stellung nehmen zu können". Zu Jungs Überraschung gab es für diese Ankündigung dünnen, aber anerkennenden Beifall aus allen Fraktionen.

Als Jung das Plenum verstört verließ, kursierten schon die ersten Rücktrittsforderungen. Immerhin hatte der neue Bundesverteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) morgens offenbart, dass ihm bei Amtsübergabe womöglich einige heikle Informationen vorenthalten worden sind. Insbesondere hinsichtlich der zivilen Opfer, die bei dem von der Bundeswehr am 4. September angeordneten Bombenangriff am Hindukusch den Tod gefunden haben.

Am Donnerstag ist Jung von seiner glücklosen Zeit im Verteidigungsministerium eingeholt worden. Einer Zeit, in der Jung zwar von "Gefallenen" sprach, in der er aber auch geradezu verzweifelt versuchte, das Wort "Krieg" aus der Afghanistan-Debatte herauszuhalten. Wer Jung kennt, weiß, dass er nach der Bundestagswahl froh war, diese Last los zu sein. Die Erleichterung über den gelungenen Wechsel ins Arbeitsministerium war dem 60-Jährigen in den zurückliegenden Wochen anzusehen.

Am Donnerstag - es war ausgerechnet der Tag, an dem der Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehrmandats für Afghanistan debattieren wollte - hat Franz Josef Jung auf der Regierungsbank sehr einsam gewirkt. Um zu begreifen, wie es um ihn stand, brauchte er nur zum Unions-Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder hinüberzublicken. Der hatte gegenüber dem Fernsehsender N24 gemeint, "natürlich" werde "von Minister Jung die Frage zu beantworten sein, ob er das gewusst hat oder nicht". Man erwarte "jetzt eine klare Äußerung dazu".

Die Oppositionsparteien erwarteten Jungs Rücktritt. Offenbar seien Öffentlichkeit und Parlament Informationen "systematisch vorenthalten worden", sagte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier. Und die Grünen-Vorsitzende Claudia Roth erklärte, egal, ob Jung gelogen habe oder ob ihm nur Führungsversagen vorzuwerfen sei -in jedem Fall sei er als Minister nicht mehr tragbar.

Für den Winzersohn aus Erbach muss der gestrige Tag wie ein böses Déjà-vu gewesen sein. Hat er doch tatsächlich schon einmal zurücktreten müssen. Im September 2000, als aufflog, dass die hessische Union Schwarzgelder als "jüdische Vermächtnisse" getarnt hatte. Da musste der ehemalige hessische CDU-Generalsekretär, der inzwischen zum Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten aufgestiegen war, gehen. In Berlin haftet ihm der Ruf des "U-Bootes aus Hessen" an, der am Kabinettstisch von Angela Merkel vor allem die Interessen des hessischen Ministerpräsidenten Roland Koch (CDU) verfolgt, mit dem er seit Jugendtagen eng befreundet ist.

Gestern ist Franz Josef Jung nicht zurückgetreten, er hat im Bundestag die angekündigte Stellungnahme abgegeben. Die achtminütige Erklärung, die Jung mit ein paar Wacklern in der Stimme ablas, gipfelte im Satz, er habe Parlament und Öffentlichkeit "korrekt" über seinen "Kenntnisstand informiert".