Der CDU-Politiker Günther Oettinger spricht über seinen unerwarteten Wechsel nach Brüssel - und mahnt die neue Regierung.

Hamburg/Stuttgart. Abendblatt: Herr Ministerpräsident, warum werden Sie EU-Kommissar?

Günther Oettinger: Die Entwicklung der Europäischen Union ist für Deutschland und gerade für ein Exportland wie Baden-Württemberg wichtiger denn je. Ich habe auf diese Aufgabe nicht hingearbeitet, sie auch nicht irgendwie angestrebt. Ich war überrascht. Aber ich glaube, so ein einmaliges Angebot kann man nicht ablehnen.

Abendblatt: Ist das ein Aufstieg? Roland Koch, Ihr hessischer Amtskollege, wollte partout nicht nach Brüssel wechseln...

Oettinger: Das Amt des Ministerpräsidenten ist sehr attraktiv, aber Europa ist eine andere Dimension. Wenn man sieht, wie hochrangig andere große Länder in Brüssel vertreten sind, dann glaube ich schon, dass dieser einzige deutsche Kommissar eine sehr wichtige Stellung hat.

Abendblatt: Wann haben Sie das Angebot von Angela Merkel bekommen?

Oettinger: Am vergangenen Donnerstagnachmittag.

Abendblatt: Es gibt die Deutung, die Kanzlerin habe sie abgeschoben.

Oettinger: Das wird schon durch die Bedeutung des Amtes entkräftet. Wer mir nicht gut will, mag das so deuten. Wer aber weiß, wie intensiv Angela Merkel dieses Amt für die CDU reklamiert hat, erkennt, dass solche Behauptungen provinziell und bösartig sind.

Abendblatt: "Wir können alles außer Hochdeutsch" - mit diesem Slogan wirbt Baden-Württemberg für sich. Können Sie Europäisch?

Oettinger: Also, ich verstehe Hochdeutsch sehr gut. Außerdem habe ich gute Englischkenntnisse. Ich bin da durchaus verhandlungssicher. Ich verstehe Französisch sehr gut und spreche es leidlich. Und Sie können davon ausgehen, dass ich bestrebt bin, meine Sprachkenntnisse zu vervollständigen - gerade, was Fachbegriffe angeht.

Abendblatt: Haben Sie schon mit Kommissionspräsident Barroso telefoniert?

Oettinger: Nein, die Reihenfolge muss eine andere sein. Als erstes wird die Kanzlerin ihren Personalvorschlag überbringen. Dann wird im Europäischen Rat über den genauen Zeitplan zur Bildung einer neuen Kommission gesprochen. Erst danach werde ich weitere Gespräche führen.

Abendblatt: Günter Verheugen, Ihr Vorgänger, ist Industriekommissar. Welches Ressort würde Sie reizen?

Oettinger: Der große Themenbereich Wirtschaft ist wichtig für Deutschland, darum geht es zuallererst. Unsere Industrie, unser Mittelstand, unser Handwerk und unsere freien Berufe haben ein Interesse daran, dass sie durch einen deutschen Kommissar vertreten sind. Das sieht die Kanzlerin genauso. Sie hat mir das Angebot gemacht, weil sie mir Wirtschaftskompetenz zutraut.

Abendblatt: Wer aus Baden-Württemberg kommt, kennt die Bedeutung der Autoindustrie. Hat die EU mit ihren Klimavorgaben für Neuwagen über das Ziel hinausgeschossen?

Oettinger: Ich werde mich dafür einsetzen, dass die Europäische Kommission ihre Kompetenzen voll ausschöpft, sie aber nicht überschreitet oder in Graubereiche geht. In dem Verfahren zur Festsetzung von CO2-Emissionsgrenzen haben wir am Ende einen nachvollziehbaren Kompromiss hinbekommen. Aber es war schon erkennbar, dass manche Länder die Grenzwerte dazu benutzen wollten, um ihren Autoherstellern gewisse Marktvorteile zu verschaffen. Es wird mein Bestreben sein, einer solchen Standortideologie entgegenzuwirken.

Abendblatt: Deutschland verstößt in diesem Jahr wieder gegen den Euro-Stabilitätspakt, die EU-Kommission hat ein Defizitverfahren eingeleitet. Was empfehlen Sie dem künftigen Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble?

Oettinger: Wolfgang Schäuble hat ein sehr wichtiges, aber auch das schwierigste Amt in der neuen Bundesregierung bekommen. Ich halte es für richtig, bis zur Jahresmitte 2011 die Bewältigung der Wirtschaftskrise auch in der Haushaltspolitik in den Vordergrund zu stellen. Danach muss aber die Haushaltskonsolidierung verstärkt aufgenommen werden. In dieser Phase wird die Autorität von Wolfgang Schäuble dringend gebraucht werden.

Abendblatt: Wann muss Deutschland den Euro-Stabilitätspakt wieder einhalten?

Oettinger: Spätestens 2012 braucht Deutschland eine mittelfristige Finanzplanung. Sie muss darauf abzielen, schrittweise die Vorgaben der Schuldenbremse und des Euro-Stabilitätspakts zu erfüllen.

Abendblatt: Schäuble hält einen ausgeglichenen Bundeshaushalt in dieser Legislaturperiode für utopisch ...

Oettinger: Ich denke, dass der Bund erstmals 2016 in die Nähe eines ausgeglichenen Haushalts kommen wird. Vorher wird das nicht möglich sein.

Abendblatt: Mit welchem Gefühl verlassen Sie Baden-Württemberg?

Oettinger: Ich bleibe ja Baden-Württemberger und werde hier immer Freunde und Kollegen haben. Das Amt verlasse ich mit gewisser Wehmut. Aber ich glaube, ich kann für Baden-Württemberg in Brüssel und Straßburg genauso viel tun.

Abendblatt: Was geben Sie Ihrem Nachfolger mit auf dem Weg?

Oettinger: Wenn mich der Nachfolger um Rat fragt, werde ich ihm Rat geben. Öffentliche Ratschläge will ich nicht geben.

Abendblatt: Ihre Lebensgefährtin Friederike Beyer lebt in Hamburg. Wird sie mit nach Brüssel kommen?

Oettinger: Wir hatten noch keine Zeit, das zu besprechen. Ich werde erst meinen Zeitplan ordnen müssen. Ich werde mich in Brüssel, aber auch in vielen anderen europäischen Hauptstädten aufhalten. Meine Partnerin ist in Hamburg berufstätig. Aber ich bin sicher, dass sie meinen Lebensweg weiter begleiten wird.