“Angie, Angie“-Sprechchöre im Konrad-Adenauer-Haus. Trotz des schlechtesten Wahlergebnisses der Union seit 1949 feierte die Partei ihre Vorsitzende.

Berlin. Es war 19.06 Uhr, als Angela Merkel endlich vor ihre Anhänger trat. Erschöpft, aber glücklich. Und im Bewusstsein, dass nicht nur die 4000 Gäste im Konrad-Adenauer-Haus zuhörten, sondern auch die Millionen vor den Fernsehern. Ihre ersten Worte gingen im Taumel der "Angie! Angie!"-Rufe unter.

Die Union ist den ungeliebten Koalitionspartner der zurückliegenden vier Jahre gestern losgeworden. Aber Angela Merkel hat nicht ohne Grund bereits auf die harte Arbeit hingewiesen, die vor der neuen Bundesregierung liege. Zumal sie es nun mit einem Regierungspartner zu tun hat, der die Verwirklichung seiner ambitionierten Ankündigungen einfordern wird. Da wären in erster Linie massive Steuersenkungen, die die CDU-Vorsitzende so nicht will. Dazu kommen die nahezu unausweichlichen Einschnitte ins Sozialsystem, von denen die FDP seit Wochen spricht, die in der Union bisher aber nur Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) aufs Tapet gebracht hat. Es wird also kein Spaziergang werden für Merkel und Westerwelle.

Und wenn es nur die gigantische Staatsverschuldung wäre und die Wirtschaftskrise, deren Folgen noch gar nicht alle absehbar sind. Nein, Merkel muss auch noch damit rechnen, dass sich die geschwächte CSU und die erstarkte FDP an ihrem Kabinettstisch in die Haare bekommen werden. Auf den Ausgang solcher Streitereien darf man jetzt schon gespannt sein. Anders als in ihren ersten vier Regierungsjahren wird sie sich nicht auf die Moderatorenrolle zurückziehen können - sie wird bei Gelegenheit auch Schiedsrichterin und letzte Instanz sein müssen. Zwischen einer deutlich geschwächten Schwesterpartei und einer FDP, die doppelt so viele Mandate errungen hat wie die CSU. Man muss also kein Prophet sein, um vorauszusagen, dass die CSU mehr denn je versuchen wird, sich in Berlin zu profilieren. Am Wahlabend gab sich CSU-Chef Horst Seehofer angesichts der erzielten 42,6 Prozent noch kleinlaut: "Das Abschneiden der CSU in Bayern ist nicht zufriedenstellend", sagte er in München. Angela Merkel wird wissen, dass es bei solchen Tönen nicht bleiben wird. Am Sonntag legte sie erst einmal Wert auf die Festellung, dass sie "die Kanzlerin aller Deutschen sein" wolle.

Minuten später zeigte sich dann der andere Wahlsieger seinen Anhängern. Guido Westerwelle. Als sich der FDP-Vorsitzende in den Römischen Höfen - die Großveranstaltung hätte die Parteizentrale völlig gesprengt - zeigte, gingen die Fans von den "Guido! Guido!"-Rufen schnell zum Gesang über: "So sehen Sieger aus, tadadadada, so sehen Sieger, tadadadada ...".

Aber auch Westerwelle gab sich trotz des größten Triumphs seiner Partei in der bundesrepublikanischen Nachkriegsgeschichte staatstragend. Er wandte sich an die "lieben Mitbürgerinnen und Mitbürger", die den zuletzt immer schärferen Warnungen vor der vermeintlichen "gelben Gefahr" nicht verfallen waren. Fast 15 Prozent für die als neoliberal bezeichnete Partei - Westerwelle versprach dennoch, die FDP werde "auf dem Teppich bleiben". Das waren unerwartete Töne von einem, der seit elf Jahren am Regierungscomeback der FDP und seinem eigenen Aufstieg ins Auswärtige Amt gearbeitet hat. Von einem, der lange als Spaßpolitiker gegolten hat und jetzt ins seriöse Fach überwechselt.

Was war Westerwelle und Merkel im Wahlkampfendspurt nicht alles unterstellt worden. Schwarz-Gelb werde es auch dieses Mal wieder nicht schaffen. Und wenn doch, dann nur dank irgendwelcher "illegitimer" Überhangmandate (O-Ton Franz Müntefering), hatte es geheißen.

Es hat gereicht - trotz des historisch schlechten Abschneidens der Union. Es reicht sogar für eine deutliche Mehrheit im neuen Bundestag. Tatsächlich spielten die leichten Verluste im Vergleich zum ohnehin schon schwachen Ergebnis der Union 2005 im Adenauer-Haus am Sonntag Abend keine Rolle mehr.

Jedenfalls nicht, nachdem man das SPD-Ergebnis gesehen hatte. Auch haderte niemand damit, dass CDU und CSU dieses Mal Stimmen in erheblichem Umfang Stimmen an den künftigen Koalitionspartner FDP abgegeben hatte. Schließlich war der Union dadurch ein Kunststück gelungen. Nämlich erstmals bei einer Wahl aus der Regierung heraus einen Regierungswechsel zu organisieren, was Angela Merkel gestern kurz ansprach: "Wenn ich das so sagen darf, das hat es in Deutschland zuvor noch nicht gegeben", meinte die CDU-Chefin lächelnd. Wohlwissend, dass die parteiinternen Kritiker zusahen und zuhörten.

All diese Kritik war gestern mit einem Schlag obsolet. All die Vorwürfe, Merkels Wahlkampf sei zu leise, zu inhaltsleer, zu wenig pointiert und angriffslustig gewesen, die sogar unter den Unionsministerpräsidenten hochgekommen war. Unmittelbar vor der Bundestagswahl hatte Angela Merkel fast schon etwas allein gewirkt.

Legitim wäre es, jetzt auch den Sieg alleine auszukosten. Namentlich bedankt hat sich Angela Merkel gestern jedenfalls nur bei einem einzigen: bei Ronald Pofalla, ihrem Generalsekretär, der den bekrittelten Wahlkampf organisiert hatte. Pofalla stand die Rührung ins Gesicht geschrieben. Und wenn die Zeichen nicht trügen, wird Merkel ihm in ihrem neuen Kabinett tatsächlich zum Minister machen. Egal, wie viele Posten die FDP nach ihrem Triumph für sich reklamiert.

Überhaupt wird die Kanzlerin das Erstarken der Liberalen verkraften können. Denn dieses Mal hat sie die Erwartungen ihrer Partei erfüllt. Die bürgerliche Mehrheit, die Angela Merkel vor vier Jahren noch verfehlt hatte, ist jetzt da. Andernfalls wäre sie eine Vorsitzende auf Abruf geworden. Jetzt ist sie quasi unangreifbar. Das wissen auch jene, die sie gerne beerbt hätten. Niedersachsens Ministerpräsident Christian Wulff sagte gestern: "Angela Merkel ist absolut unangefochten."

Gestern war im Konrad-Adenauer atmosphärisch zu greifen, wie sehr die Christdemokraten unter der Großen Koalition und dem ewige Kompromissemachen gelitten haben. Und unter den zuletzt rüden Attacken einer zusehends panischer um sich schlagenden SPD-Parteiführung. Das war ein Stil, den sich Merkel nie hat aufzwingen lassen. Auch am Wahlabend ist es ihr nicht eingefallen nachzutreten. Dasselbe galt übrigens auch für Guido Westerwelle, der es beim Blick auf die SPD mit dem Satz beließ: "Wer Verluste erklären muss, muss lange reden, wer etwas feiern kann, kann sich kurz fassen."

Angela Merkel hat einen Arbeitssieg errungen. Die Kanzlerin und ihr neuer Vize-Kanzler Guido Westerwelle werden es zunehmend mit Firmenpleiten zu tun bekommen, mit einer steigenden Arbeitslosigkeit und mit einem CDU- Wirtschaftsflügel, der Teile des FDP-Sozialprogramms lieber heute als morgen in die Tat umsetzen würde.

Deutschlands Wähler haben der Bundeskanzlerin gestern trotzdem das Vertrauen ausgesprochen. Weil sie an das Prinzip der praktischen Vernunft glauben, das Angela Merkel in den zurückliegenden vier Jahren zum Primat ihres Handelns gemacht hat.