Die deutschen Wähler haben gestern für einen Wechsel in der Politik gestimmt. Wie wird sich der in den kommenden Wochen vollziehen?

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat rasche Koalitionsverhandlungen angekündigt. Sie habe schon mit FDP-Chef Guido Westerwelle telefoniert. Bereits heute gebe es erste Gespräche, und "wir werden dann auch ganz schnell Nägel mit Köpfen machen", sagte die CDU-Chefin gestern Abend. In der ARD sprach die Bundeskanzlerin von "schnellen, sehr entschiedenen Koalitionsverhandlungen". Es gehe um Arbeitsplätze, "das wird mein oberstes Ziel sein", sagte sie.

Mit dem Sieg für Schwarz-Gelb sei das Wahlziel der Union erreicht. "Wir haben etwas Tolles geschafft", rief Merkel am Sonntagabend in Berlin CDU-Anhängern zu. Es sei eine stabile Mehrheit von CDU, CSU und FDP erreicht worden. Im ZDF betonte Merkel, es sei auch deshalb wichtig, dass es eine stabile Mehrheit gebe, da das Land "vor vielen Problemen" stehe.

Für die entscheidenden Klärungen - die Regierungskoalition und die Person an ihrer Spitze - geben das Grundgesetz und die politische Tradition Abläufe und Fristen vor, die eine lange Unsicherheit verhindern sollen. Bis zur ersten Sitzung des neuen Bundestags, die nach dieser Wahl spätestens am 27. Oktober stattfinden muss, werden die Koalitionsverhandlungen normalerweise abgeschlossen.

In der Phase bis zur Wahl des neuen Kanzlers kommt Bundespräsident Horst Köhler eine diskrete und informelle Rolle zu. Er könnte seine regelmäßigen Gespräche mit den Partei- und Fraktionschefs verstärken und auf die Bildung einer stabilen Konstellation dringen. Im ersten Wahlgang hat Köhler das Vorschlagsrecht. "Der Bundeskanzler wird auf Vorschlag des Bundespräsidenten vom Bundestag ohne Aussprache gewählt", heißt es in Artikel 63 des Grundgesetzes.

Wie erfolgreich die neue Regierung handeln kann, hängt aber wesentlich auch von den Mehrheitsverhältnissen im Bundesrat ab. Entscheidend dafür, ob Schwarz-Gelb auch in der Länderkammer über eine Mehrheit verfügt, war der Ausgang der Landtagswahl in Schleswig-Holstein am Sonntag. Eine schwarz-gelbe Mehrheit in der Länderkammer hatte es bis zum 30. August gegeben, als die CDU-Regierungen in Thüringen und dem Saarland abgewählt wurden. Derzeit regieren Union und FDP noch gemeinsam in Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und in Bayern. Dies macht zusammen 29 der 69 Sitze in der Länderkammer aus. Hinzu kommen noch die vier Stimmen aus Sachsen. Dort regierte bislang eine CDU/SPD-Koalition, nach der dortigen Wahl vom 30. August formierte sich inzwischen aber eine schwarz-gelbe Koalition. Aber auch die dadurch erreichten 33 Stimmen ergeben noch keine Mehrheit in der Länderkammer.

Nur wenn es nun nach der Landtagswahl in Schleswig-Holstein auch für Schwarz-Gelb reicht, haben Union und FDP mit 37 von 69 Stimmen wieder eine Mehrheit im Bundesrat. Doch dort war der Wahlausgang den Hochrechnungen zufolge knapp, regieren können CDU und FDP in dem nördlichsten Bundesland unter Umständen nur mithilfe der Grünen oder des Südschleswigschen Wählerverbands (SSW), der Vertretung der dänischen Minderheit. Keine Rolle wird das Ergebnis in Brandenburg spielen, wo ebenfalls ein neuer Landtag gewählt wurde. Denn dort gibt es keine Chance für ein Bündnis von CDU und FDP.

Sollte es in Kiel nicht zu einer schwarz-gelben Regierung kommen, wäre dies ein Handicap für eine entsprechende Koalition im Bund. Denn für viele wichtige Vorhaben - etwa eine Reform des Steuersystems - braucht jede Bundesregierung das Ja der Länderkammer. Für etwaige Änderungen der jetzigen Gesetze müsste Schwarz-Gelb dann also Kompromisse eingehen. Dafür käme die SPD infrage, aber auch die Grünen, die in Hamburg bereits mit der CDU regieren.

Eine verpasste Bundesratsmehrheit wäre für Christdemokraten und Liberale auch deshalb ärgerlich, weil das mindestens bis 2011 Bestand hätte. Denn 2010 wird es nur eine Landtagswahl geben, und zwar in Nordrhein-Westfalen. Dort regieren aber schon jetzt CDU und FDP, der schwarz-gelbe Block könnte sich also nicht vergrößern. Größer ist die Gefahr, dass das bürgerliche Lager im größten Bundesland seine Mehrheit verliert.